Nein, ich will jetzt nicht aus eigenen Erfahrungen plaudern. Mein Sichtfeld der letzten Jahre, die Bonner Kommunalpolitik war zu uninteressant und langweilig (nicht für mich, aber für Sie). Die dabei gewonnenen Erfahrungen erlauben aber einen analytischen Blick auf wichtigere Prozesse. Fangen wir, was die Wichtigkeit betrifft, ganz unten an und arbeiten uns dann nach “oben”.

Nehmen wir also zunächst die Linkspartei und Die Grünen. Es tut zum Fremdschämen weh, wie sie sich aktuell lächerlich machen und aus jedem politischen Spiel selbst herausnehmen. Die Krankheit heisst “Spitzenkandidatur”. Im deutschen Wahlrecht existiert sie nicht. Bei der Bundestagswahl können Direktkandidat*inn*en eines Wahlkreises (“Erststimme”), sowie die Landes-Reserveliste einer Partei (“Zweitstimme”) gewählt werden. Letzteres entscheidet über die Kräfteverhältnisse im Bundestag, und nur darüber vermittelt, wer Aussichten hat, Bundeskanzler*in zu werden; darüber entscheidet das Parlament, nicht das Volk. Wirkliche “Spitzenkandidaturen” gibt es also nur auf den Reservelisten der Parteien in den 16 Bundesländern.
Das aber ist den Berliner Hauptstadtmedien (“Nervöse Zone”) zu langweilig. Und inhaltliche Diskussionen sind ihnen zu kompliziert, zumal sie ihre Leser*innen und Zuschauer*innen grundsätzlich für zu doof halten, davon irgendwas zu kapieren. Darum wollen sie Personaldebatten haben. Die lassen sich dramatischer zeichnen.

Linkspartei und Grüne kriechen vor den Hauptstadtmedien zu Kreuze und tun ihnen diesen Gefallen. Scheinbar gezwungenermassen vertagen sie so, was sie eigentlich jetzt tun müssten: Konzepte und Strategien entwickeln, mit denen linke, fortschrittliche und liberale Bürger*innen gegen den rechten Mob mobilisiert werden könnten. Und am Ende eines solchen Prozesses vielleicht auch für eine alternative Mehrheit bei der Bundestagswahl. Das erzwänge die Investition von erheblichen Mengen an Gehirnschmalz und Intelligenz, die Austragung politischer statt persönlicher Konflikte. Wird das vielleicht gescheut, weil es mit einem Offenbarungseid enden würde?

Der kommt bei den augenblicklich sichtbaren Tendenzen zwangsläufig und unaufhaltsam. Und so unterhaltsam, wie die Hauptstadtmedien es in ihren eigenen Drehbüchern vorgesehen haben. In der Linkspartei gibt es einen Vierkampf zwischen Personen, die es nicht lange gemeinsam in einem Raum miteinander aushalten. Riexinger, Kipping, Wagenknecht, Bartsch. Letztere zwei nutzen als Fraktionsvorsitzende ihren medialen Vorteil, könnten damit aber innerparteilich ein fulminantes Eigentor geschossen haben. Wer den Machtkampf verliert, stolpert nicht über falsche Politik, sondern über seine fehlgeleitete Eitelkeit. Besser kann man eine systemkritische Partei im Neoliberalismus eigentlich nicht enteiern. Die Konkurrenz darf begründet hoffen, dass sie sich damit noch mehrere Monate lahmlegt.

Die Grünen haben das quasi schon, was sie selbst betrifft, versprochen. Sie haben dafür sogar umfangreiche Regularien und sind auch noch stolz darauf. Höhnisch riet Grünen-Sekretär Kellner der Linkspartei, es doch mal mit einer Urwahl zu versuchen. Ein bisschen demokratischer wäre das wohl tatsächlich. Bei den Grünen kompensiert das jedoch lediglich den Empathiemangel, die Entscheidungsschwäche, die Verhandlungs- und Kompromissunfähigkeit ihres eigenen Führungspersonals. Schlimm genug, dass sie sich daran schon gewöhnt haben. Mit den Vorwahlen in den USA oder den Urwahlen in Italien hat ihr eigenes Schmierentheater nichts zu tun. Denn die politische Kultur in diesen Ländern hat eine völlig andere Geschichte, baut auf andere Gewohnheiten und Diskurse. Man kann sich streiten, wie gut oder schlecht das ist, wegdiskutieren lässt es sich nicht. Nachmachversuche sind vor allem ein Zeichen frappierender Unkenntnis und Interesselosigkeit. So sind also auch die Grünen-Mitglieder und -Parteiorgane über Monate beschäftigt und stören nicht in tatsächlich bedeutsamen politischen Prozessen oder Bewegungen. Wer freut sich wohl darüber?

Muss ich über die Intrigen in der SPD noch was schreiben? Das ist wirklich unnötig. Vor einigen Tagen hatte ich hier zu einem selbstkritischen Analysetext des Berliner Fraktionsvorsitzenden Saleh verlinkt. Der sieht sich nun heftiger Kritik in den Parteigremien ausgesetzt. Nicht am Inhalt, nein. Wie konntest Du nur? In der Öffentlichkeit? Warum hat er nichts in den Gremien gesagt? Was ist seine verborgene Agenda (gegen Bürgermeister Müller)? Das können ja berechtige Fragen sein, ich bin mit den kommunalpolitischen Details in Berlin nicht vertraut. Aber was für eine Auseinandersetzung ist das, auf welchem Niveau? Gibt es etwa sonst keine wichtigeren Probleme zu diskutieren nach einem 21%-Ergebnis in einer SPD-“Hochburg”?

Und so sind wir schon beim Gipfel, in der nationalen Spitze: die CDU. Zu Seehofer und Merkel ist alles schon woanders geschrieben worden. Wie niedrig, wie unterirdisch es werden kann, erlebt z.Z. Merkels Sekretär Tauber. Er ist jedoch nicht nur Opfer, sondern selbst Teil des Problems. Rechtsoppositionelle Kreise in der Hessen-CDU, die anders nicht mehr zum Erfolg zu kommen vermögen, versuchen mit einer “Sexismus”-Debatte, wie sie die AfD auch nicht besser würde aufziehen können, die – noch – nicht angreifbare Bundeskanzlerin über ihren Generalsekretär zu treffen. Der hatte sich selbst in einer klassisch-klischeehaften rechtskonservativen Jungskultur auf den Karriereweg nach oben gemacht. Und die Scheisse, die er vor 10 Jahren dabei zweifellos gebaut hat, soll er nun auslöffeln, damit seine Kanzlerin in der Führung ihrer Partei endlich mal wirksam geschwächt wird. Wie arm ist das denn? Die hessischen Heckenschütz*inn*en aus der Tradition der einstigen Kriegshelden Dregger, Kanther, Wallmann & Koch, finden es wohl besonders schlau, die Sexismus-Karte zu spielen, weil die sich schon im Kampf gegen den Islam so bewährt und die Kanzlerin am öffentlichen Widerspruch hindert. Was sie dabei an Substanz auffahren, dazu hat Jan Böhmermann eigentlich schon alles – nicht “gesagt” aber – gespielt.

Wiegen wir also nachdenklich den Kopf und denken: schlimmschlimm, unsere Parteien?
Tja, ist es in Ihrem Fußball- oder Karnevalsverein etwa besser?
Oder in Ihrer Firma?
Wie ist es bei Ihnen selbst, achten sie immer auf intellektuelles Niveau, wenn Sie sich in einen Konkurrenzkampf stürzen? Und Sie machen es natürlich ganz ohne verzweigte Seilschaften, neudeutsch: Netzwerke?
Bringen Sie mich nicht zum Lachen! Die Parteien sind auch in ihrem Elend ein getreues Abbild unserer nach den ökonomischen Gesetzen des Neoliberalismus strukturierten Gesellschaft. Was mich am meisten stört, ist, dass die, die ihre Systemgegnerschaft dabei am meisten im Munde führen, in ihrer organisationspolitischen Praxis nichts anderes machen, als exakt diesen Systemanforderungen “gerecht” zu werden.
Hoffnung macht, dass sie mit Nachwuchsmangel bestraft werden. Kinder und Jugendliche verstehen und analysieren mit wachsender Intelligenz und Geschwindigkeit diese Prozesse, ziehen eigene Schlüsse und entwickeln völlig andere Interessen und Verhaltensweisen. Die pädagogischen Machtverhältnisse in Familie und Schule kehren sich immer mehr um. Beobachten Sie mal junge Eltern mit ihren Kleinkindern und Säuglingen! Wir lernen viel von den jungen, Kleine und Große.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net