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Italien: Personalisierung als Populismusturbo

von Andrea Arcais

Ja, ich habe schon vor einer Woche per Briefwahl abgestimmt. Und zwar mit grosser Überzeugung: Ja.

Die Berichterstattungen in den deutschen linken und semi-linken Medien lassen ja den Eindruck entstehen, als ob hier ein kalter Putsch vorbereitet würde. Eine Einschätzung, die weiter nicht von der Realität entfernt sein könnte.
Das italienische Zwei-Kammer-System mit identischen Rechten ist gerade von der italienischen Linken seit den 1950er Jahren als zu reformieren und in seiner Funktion als abzuschaffen angegriffen worden.

Die heutigen Nein-Kampagnen-Teilnehmer, zumal Diejenigen aus der PD-Minderheit, haben im Parlament noch für die Reform gestimmt, um nun, da sie die Chance sehen, Renzi durch eine Niederlage stürzen zu können, die Herankunft einer neuerlichen Diktatur an die Wand zu malen.

Was sich hier leider erneut zeigt, ist das Grundübel der italienischen Linken: Ihr offensichtlich nicht zu überwindendes Sektierertum. Dass diese Kräfte dabei auch nicht davor zurückschrecken offen mit Neofaschisten (Casa Pound u.a.), Rechtspopulisten, Nationalisten und Rassisten (Lega Nord, Forza Italia, 5Stelle) zusammen in einer gemeinsamen Kampagne zu agieren ist leider nicht nur dämlich, sondern brandgefährlich! Diese Herrschaften bereiten Grillo und seiner Truppe von wahlweise Irren bis zu offen xenophoben Abgeordneten den Weg an die Macht. Wie unverantwortlich kann man eigentlich sein?

Ich hoffe sehr, dass das Referendum mit dem Gewinn für die Reform ausgeht. Übrigens auch aus dem Grund, weil sich damit die Hoffnung verbindet, dass die Karrieren einiger dieser Herrschaften damit beendet sein dürften. Eine besonders üble Rolle spielt dabei Massimo d’Alema.

Was ich besonders bedauere ist das Fehlen jeglicher Selbstkritik innerhalb der Linken. Man kann Matteo Renzi vor allem vorwerfen, dass er nicht in der Lage ist, einen politischen Diskurs zu führen, der Mehrheiten nachhaltig zu organisieren in der Lage ist. Dass er selbstverliebt eine egozentrische Rethorik pflegt. Daran ist die Linke mit der Einführung der offenen Vorwahlen (Primarie) wesentlich selbst schuld!
Ich bekenne, dass ich zu Denjenigen in Deutschland gehörte, die vor Jahren davon angetan waren und sich für das Ausprobieren auch in Deutschland ausgesprochen haben. Ich muss heute konstatieren, dass ich mich ganz grundsätzlich getäuscht habe: Das aus den USA übernommene System hat vor allem Eines bewirkt: Die Frage, wer den Vorsitz einer Partei übernimmt, wer Kandidaturen übertragen bekommt, ist endgültig zu einer reinen Personenwahl verkommen. Der Personenkult folgte auf dem Fusse. In Folge wurde die PD (Demokratische Partei) in ihrem ehrenamtlichen Aktivismus wie demokratischer Delegation fast vollständig ausgehölt. Die PD ist heute weit entfernt davon als kampagnenfähig zu sein oder wieder zu werden.

Aber von solcher Analyse sind die Protagonisten auf der Linken, die gegen die Parlamentsreform agitieren, himmelweit entfernt. Sie müsste sich an die eigene Nase fassen und erkennen, dass diese Hinwendung zu einer formalen Basisdemokratie in Wirklichkeit keine grössere Mobilisierung für Inhalte bewirkt hat. Tatsächlich wurde damit der repräsentative Demokratie ein weiterer informeller Klientelismus hinzugefügt. Dem Parlamentarismus wurde damit ein Bärendienst erwiesen und eine Personalisierung befördert, die nun als Populismus-Turbo wirkt.

Eine Erkenntnis, die sich die demokratischen politischen Kräfte auch in Deutschland zu eigen machen sollten.

Ich bin sehr gespannt auf das Ergebnis.

Zur Undurchsichtigkeit der “5-Stelle”-Bewegung noch der Hinweis auf diesen Tagesschau-Bericht.

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2 Kommentare

  1. Dr. Heinz Baues

    Ich finde dich Ausführung von Andrea Arcais sehr zutreffend!

  2. Alexandra

    Ich kann den Artikel auch nur teilen und bedaure, bei aller Kritik an Renzi, den Ausgang des Referendums. Hoffentlich kann Italien den Personenkult irgendwann überwinden.

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