Wieder einmal ist die FAZ dafür zu loben, dass sie ein Problem überhaupt aufgreift, und dafür zu kritisieren, dass sie wieder zu kurz springt. Der deutsche Wein, und nicht nur der, ist in Gefahr. Die Monopolisierung des Lebensmitteleinzelhandels ist sein potenzieller Mörder. Es ist systemisch nicht anders vorgesehen, als als Lebensmitteleinzelhändler Aldi, Lidl, Rewe oder Edeka Milliardenumsätze zu machen. Das funktioniert nur über grosse Massenverkäufe, über Standardisierung und Industrialisierung, um “gleichbleibende Qualität” garantieren zu können. Das Produkt Wein wird so den gleichen Tod sterben, wie es aktuell das Bier schon tut. Gleichheit ist der Tod des Weines.

Die Faszination des Produktes Wein lebt davon, dass – da ähnelt er der Welt insgesamt – er ständig faszinierende Neuentdeckungen anbietet, Neuentdeckungen die in sehr vielen Fällen mit neuen Qualitätssteigerungen verbunden sind. Wer mal guten Wein getrunken hat, mag keinen schlechten mehr. Darum sind die Winzer und ihre individuelle Persönlichkeit, sowohl in der Erzeugung als auch in der Vermarktung so wichtig, auch und gerade wenn sie sich in ihren Regionen zusammenschliessen und für sich gemeinsame Strategien entwickeln.

Mit den großen deutschen Lebensmittelkonzernen funktioniert das alles nicht, auch mit den Onlineplattformen (Amazon u.a.) wird das nicht besser sondern schlimmer werden. Die beherrschen zwar Qualitätskontrolle; das sind Dienstleistungen, die auf dem Arbeitsmarkt eingekauft werden können und da werden sie nicht am falschen Ende sparen. Die Produkte in ihrem Regal werden also nicht schlecht sein. Was schlecht ist, ist ihre Handelsmacht. Mit der sind sie sowohl ihren Lieferanten als auch uns Verbraucher*inne*n überlegen und können die Preise diktieren. Gleichzeitig diktieren sie so, was es überhaupt noch zu Essen und zu Trinken gibt. Das ist ein Politikum, von den Grünen will sich das niemand gefallen lassen, aber im öffentlichen Diskurs findet diese reale Macht keinen Eingang. Oder kennen Sie eine Partei (oder gar ein Ministerium?), die sich darum kümmert? Dafür sind – nicht zuletzt – die FAZ und ihre Eigentümer*innen entscheidend mitverantwortlich.

Was können wir, ausser Wählen, tun?
Wer in urbanen Regionen wie Bonn oder Köln seinen Wein im Supermarkt kauft, ist ein fauler Sack. Es gibt Fachhändler*innen. Die sind zu klein, um den Weinbauern auszupressen. Und sie sind auf mein Vertrauen als Kunde angewiesen. Sie sind ansprechbar, wenn was nicht funktioniert hat (ob es der Wein oder der Korken war), und wenn sie Ihnen einen Wein nicht verkaufen wollen, weil er Ihnen sicherlich “zu teuer” sei, dann wollen die den lieber selber trinken. Den sollten Sie nehmen. Sie sehen: Wein kaufen und trinken kann auch Spass machen, und verbessert mitmenschliche Kontakte.
Es gibt bei den Supermärkten immer mal wieder Ausnahmen. Der Genossenschaftskonzern Edeka erlaubt seinen Filialleitern die Entwicklung eigener Profile im Sortiment. So teilte Edeka-Lange z.B. längere Zeit meine Vorliebe für Weine aus Sardinien. Sie haben aber zuwenig Umsatz gemacht, ich saufe zuwenig. Sie verloren ihre Plätze im Regal wieder. Es liegt nicht an Lange oder mir, sondern am umsatz- und renditeorientierten System.
Wein zu teuer? Blödsinn. Ihr Auto ist zu teuer. Ihr Fleisch- und Fertiggerichtekonsum ist zu teuer. Als Single folgende Faustregel: regelmässig eine Weinflasche öffnen, nicht täglich, sondern wöchentlich. Der letzte Schluck ist der Leckerste. Dann beginnt die Vorfreude auf die nächste Flasche. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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