Stellen Sie sich vor, Angela Merkels CDU gewinnt bei der Bundestagswahl 5,5% hinzu. Anschliessend fordert Horst Seehofer ihren Rücktritt. Sie würden Fragen: hat der noch alle Tassen im Schrank? Hätten wir das britische Mehrheitswahlrecht, wäre das nicht so abwegig, sondern spielt sch im United Kingdom (UK, “Vereinigtes Königreich”) heute morgen exakt so ab. Wie bei den alten Römern, Cäsar und Brutus, ist der ärgste Feind immer in der unmittelbaren politischen Nähe.
Davon weiss auch Jeremy Corbyn ein Lied zu singen. Dieser weisshaarige Typ “trockenes Brötchen” mit seinen scheinbar so “altmodischen” Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit und staatlicher Verantwortung für das Wohlergehen der Bürger*innen, in radikaler Opposition zur konservativen Ideologie des “There is no society”, hat mit 40 % einen Weltrekord für Sozialdemokraten erzielt. Während über Wallfahrten deutscher Kampagnenmanager in die USA Obamas ausgiebig berichtet wurde, fehlen entsprechende Berichte zum England in unserer unmittelbaren Nähe. Vermutlich ist es Corbyns Mobilisierung zu verdanken, dass die Wahlbeteiligung um mehr als 2 % auf knapp unter 70% gestiegen ist. Es sind die Jungen, die der alte Mann und seine Kampagne mobilisiert haben, und die seiner Partei einen sechsstelligen Zuwachs an Mitgliedern erbrachten, dass es seine eigene Parlamentsfraktion, die ihn fortgesetzt zu stürzen versuchte, regelrecht ängstigte.
AfD-Vorbild UKIP hat nicht nur ihren Parlamentssitz sondern auch fast alle Stimmen eingebüsst, über 10%. Spektakulär aber wenig beachtet, und in deutschen Medien bisher absolut nicht analysiert. Es dürfte mit Theresa Mays Zugewinn (s.o.) zu tun haben, ist damit aber nicht vollständig erklärt.
Interessanter als die Zahlen wäre es, berichtet zu bekommen, was sich gesellschaftlich ereignet und zur Mobilisierung für Labour und die Konservativen geführt hat.
Die Tücken des Wahlrechts, die NRW-CDU und -FDP hatten sich 2005-2010 in ihrer Landesregierung intensiv damit beschäftigt, und es für die Oberbürgermeisterwahlen ähnlich ausgedacht (Rot-Grün hat das 2010 sofort korrigiert und wieder ein Stichwahl eingeführt). Da konnte man mit 30% die Wahl gewinnen und mit über 40% trotzdem verloren haben. Wie gestern Mrs. May.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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