Wenn Olaf Scholz Bundeskanzler werden will, ist er durch nichts aufzuhalten. Er ist schlau genug zu warten, bis Merkel freiwillig aufhört. Durch einen Mann ist sie sowieso nicht zu schlagen. Aber wenn es so weit ist, wird Olaf zur Stelle sein …..
Dem ordnet sich zur Zeit natürlich alles unter.

Das vorausgestellt nun zu uns.
Es ist eine Binsenweisheit, dass Gewaltaktionismus, Beschädigung von Menschen und Sachen bestens geeignet ist, politische Diskurse und Forderungen verschwinden zu lassen. Für diesen Zweck wurde schon im Römischen Reich, und vermutlich schon Jahrhunderte zuvor, von Herrschenden der “Agent Provocateur” erfunden – V-Männer und -Frauen, die die Revoltierenden infiltrieren und zu Fehlern verleiten, um ihre politischen Absichten wirkungsvoll und nachhaltig zu diskreditieren. Es wäre eine sensationelle Neuigkeit, wenn irgendein politisches System oder irgendeine Regierung oder herrschende Klasse von diesem Mittel Abstand genommen haben sollte. Im Gegenteil: in anonymen, klandestinen, abenteuerlich-verschwörerischen Milieus schwimmen solche Staatsangestellten wie die Fische im Wasser.

Was kann daraus die Konsequenz sein?
Böse Herrschende – gemeine Regierung – siehste, siehste, wie verbrecherisch die G20 sind? Das ist so hilf- und wirkungslos, dass man auch zuhause bleiben kann. Was sehr viele ja auch getan haben, wirkungsvoll betrieben von Innenministern und -senatoren die seit Wochen vor tausenden, natürlich oft “ausländischen” Gewalttätern warnten, und siehe da: ihre Prophezeiung ist eingetroffen. Die linke Protestbewegung war doof genug, dem Vorschub zu leisten.

Nach meiner Wahrnehmung gab es nicht, wie noch zur Berliner Anti-TTIP-Demo ein breites politisches Bündnis, das durch seine politische Breite und soziale Verankerung für ein Minimum an sechsstelliger Quantität garantierte. Sondern, was heute schönfärbend als “Vielfalt” bezeichnet wird: jeder Club, jeder Verein und jede Sekte machte ihr eigenes Ding. Und das soll zusammengenommen dann “bunt” sein.
Die indianerspielgeilen Dummköpfe und ihre Freunde aus dem Staatsapparat (s.o.) sind so nicht mehr durch die disziplinierende politische Masse kontrollierbar, sondern machen sich in ihrem eigenen Laufstall heiss und brechen dann – sie würden es “anarchistisch” nennen – daraus aus, verwüsten ein Stadtviertel, in dem die CDU unter der 5%-Hürde bleibt, weswegen die Polizei auch gerne mal drei Stunden zugeschaut und abgewartet hat. Es gibt eben auch bei ihr eine Vielfalt von Taktiken.

Wie anders haben wir das zu Hauptstadtzeiten in Bonn gemacht. Wir haben Bündnisse gebildet von Katholiken und Soldaten über alle demokratischen Parteien bis hin zu DDR-Kommunist*inne*n und Autonomen. Jede*r hatte dabei seine Rolle: vom Ausstrahlen von Friedfertigkeit, über ausdauernde Diskussionsfreude bis zum Finden von Konsensen, bis hin zu eigenen Ordnungskräften mit breiten Schultern und Oberarmen. Entscheidend war: unsere politische Botschaft soll durch kein Seitengeschehen überdeckt oder auch nur beschädigt werden.
Dabei hatten wir in Bonn Polizeipräsidenten wie Hans-Wilhelm Fritsch und Michael Kniesel, die der FDP nahestanden, aber im Gegensatz zu der heutigen Figur Lindner, auch tatsächlich ein liberales Amtsverständnis hatten, das sie sogar bisweilen zu offenem öffentlichen Widerspruch gegen den damaligen Bundeskanzler veranlasste. Wir haben so lange zusammengesessen, bis unser Recht auf Demonstrationsfreiheit als auch die öffentliche Sicherheit der unbeteiligten Bürger*innen in einem gemeinsamen Konzept unter einen Hut gebracht war. Und das wurde dann auch eingehalten.
Das Know-How, wie sowas bewegungspolitisch organisiert werden kann und muss, ist bis heute im Bonner Büro des Netzwerk Friedenskooperative vorhanden und abrufbar.

Nun haben sich die Zeiten und Kräfteverhältnisse seitdem sehr verändert. In den Medien ist weniger Zensur möglich. Sogar der Deutschlandfunk berichtete sporadisch polizeikritisch. Am aktionistisch verengten Blick der meisten Medien hat sich allerdings nichts geändert, der ist mangels Zeit und Personal eher enger geworden. Schlimmer ist die Strategielosigkeit der gesellschaftlichen Linken. Waren früher in der Friedensbewegung SPD, Grüne, Linksliberale und linke CDUler repräsentiert, selbstverständlich nie ohne Reibungen und Befürchtungen, sind im G20-Protest Parteien aller Art überhaupt nicht mehr bemerkbar. Ihre Organisationskraft, ihr Know-How wird nicht mehr kritisch nachgefragt und überprüft, sondern angstvoll gefürchtet – obwohl es doch in Wahrheit fast schon verschwunden ist. Dafür muss man doch nur mal in die Parteien reingucken.
Organisierende strategische Köpfe, wie einst Andreas Zumach, Jo Leinen, Tissy Bruns oder Mechthild Jansen, oder wie bei der Anti-TTIP-Demo noch Ernst-Christoph Stolper, werden aus Hierarchieangst bekämpft. In Wirklichkeit wird damit jedoch nur die Angst vieler Protestgruppen vor ihrer eigenen Unfähigkeit zu strategischem politischem Diskurs gestillt.

Dabei kommt dann raus, was jetzt in Hamburg rausgekommen ist: für Angela Merkel und Olaf Scholz ein voller Performance-Erfolg. Alles läuft weiter wie bisher, und wir können uns weiter rechtschaffen darüber aufregen, ohne irgendwas tun zu können oder gar Verantwortung übernehmen zu müssen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net