Lange schien der atomare Wahnsinn des kalten Krieges der Vergangenheit anzugehören. Viele Atomraketen wurden verschrottet, wenn auch heute immer noch die gegenseitigen Vernichtungspotenziale das übersteigen, was ausreichen würde, um unseren Planeten in Schutt und Asche zu legen und für zehntausende Jahre zu verstrahlen. Außerdem schien es ja zunächst so, als ob nach dem Ende der Sowjetunion ein wichtiger Grund für den “Kalten Krieg”, der Gegensatz zwischen “realem Sozialismus” und “kapitalistischen Staaten” entfallen sei. Der Kapitalismus – ob ungezügelt wie im Westen, “gelenkt” wie in Russland oder sozialistisch-rot diktiert wie in China – ist zwar inzwischen allein beim Wettlauf der Systeme übrig geblieben, aber der zunehmende Kampf um Rohstoffe und Einflußsphären scheint als Kriegsgrund des 21. Jahrhunderts immer wahrscheinlicher.

Wie anders ist zu verstehen, dass Donald Trump nun plant, “kleinere” Atomwaffen zu entwickeln, deren Zerstörungskraft im Bereich von 20 Kilotonnen – etwa der Atombombe von Hiroshima – liegt und die sich ausgesprochen gegen Russland richten sollen? Neu sind diese Pläne nicht. Auch die seit Anfang der 80er Jahre in Deutschland stationierten PershingII-Raketen hatten nicht nur eine gefährlich kurze Vorwarnzeit (die Zeit, die dem Gegner bleibt, um einen Angriff zu entdecken und zu entscheiden, ob er mit einem Gegenschlag antwortet) von 2-3 Minuten, ihre Sprengkraft lag ebenfalls in diesem Bereich. Dazu noch die Fähigkeit “bunkerbrechend” in die Erde einzudringen, um gegnerische Raketensilos gezielt zerstören zu können.

Heute wissen wir, dass es gerade 1983 zu einem beinahe für die menschliche Spezies fatalen Irrtum gekommen ist, als russische Satelliten, geblendet von anderen amerikanischen Satelliten, irrtümlich einen Angriff auf die Sowjetunion mit Interkontinentalraketen meldeten. Nur der Tatsache, dass damals die Vorwarnzeit rund zwanzig Minuten betrug und der verantwortliche sowjetische Offizier nachdachte und zum Schluss kam, dass die USA keinen Angriff mit nur ein oder zwei Atomraketen beginnen würden, und der deshalb den automatisch vorgesehenen Gegenschlag unterband, hat der Menschheit vermutlich ihre Existenz gerettet. Nicht zuletzt dieser Fall und die Krise, ausgelöst durch ein Manöver der Westalliierten ebenfalls 1983, bewogen schließlich US-Präsident Ronald Reagan, mit den START-Verhandlungen zu beginnen und gemeinsam mit Gorbatschow diese Gefahr, wie beide glaubten, für die Zukunft zu bannen.

Wenn heute Danold Trump nun wieder die Entwicklung angeblich “kleiner” Atomwaffen ankündigt, dreht er massiv an der Rüstungsspirale und leitet einen Wiedereinstieg in den Wahnsinn gegenseitiger Vernichtungsbereitschaft ein. Europa wäre wie schon in den 80er
Jahren das potenzielle Schlachtfeld eines 3.Weltkrieges gewesen. Europa kann es nicht gleichgültig sein, was Trump plant und es fordert insbesondere die Besonnenheit von Deutschland und Frankreich, die verständlicherweise immer noch unter Sowjet-Paranoia leidenden Neumitglieder der EU im Baltikum und Polen durch Sicherheitsgarantien einerseits, aber auch durch Diplomatie davon zu überzeugen, dass US-Atomwaffen eine Reaktion der sich – egal, ob begründet oder nicht – ohnehin von der NATO umstellt fühlenden Russen provozieren werden.

Mit “kleineren” Atomwaffen wird der Krieg in Europa, aber auch in Gegenden wie Nahost, Korea oder anderen Krisengebieten ein Stück wahrscheinlicher. Welch aberwitzige Logik dahinter steht, macht das Beispiel der “Honest John” Atomgranaten deutlich. Diese von den sechziger bis in die achtziger Jahre in Deutschland stationierten atomaren US-Gefechtsfeldwaffen mit nur 2 Kilotonnen Sprengkraft und etwa vierzig Kilometer Reichweite hätten mit ihrem Fallout nicht nur die eigenen, sie einsetzenden Truppen, die ins Gefechtsfeld nachrücken sollten, verstrahlt, sondern vor allem die gesamte im Umkreis von hundert Kilometern lebende Zivilbevölkerung. Es wird höchste Zeit, gegen diesen Wahnsinn diplomatisch offensiv vorzugehen und diese Waffen zu ächten. Weder die SPD noch die CDU/CSU haben bisher dazu die Kraft gefunden. Es wird wohl die Aufgabe einer neuen Friedensbewegung werden, sich dem neuen atomaren Wahnsinn entgegen zu stellen.

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Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net