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Danke, Martin Schumacher

Selbst war ich nie Kultur-Fachpolitiker. Immer nur Konsument, Nutzer, Interessent. Kulturpolitik und -produktion war dabei für mich kein nebensächlicher Luxus, sondern ist in meinem Weltbild konstitutives Element unserer Demokratie, und in Deutschland ein sehr spezielles Widerstandsnest gegen den Neoliberalismus und seine Tendenz, alle unsere Lebensbereiche zu ökonomisieren, “in Wert zu setzen”. Mir ist schon schlecht, wenn ich das nur so schreibe…..
Das vorangestellt, habe ich vieles, was Martin Schumacher in Bonn erleben musste, von der Seitenlinie aus mit offenem Mund bestaunt, im ambivalenten Sinne des Wortes, nicht bewundert. Nachdem ich hier vor ein paar Tagen den tagelang meistgelesenen Text dieses Blogs zum Umgang der eigenen Partei mit ihrer Grünen Integrationsbeauftragten verfasst habe: Ähnlichkeiten mit Schumacher sind nicht zufällig.

Der GA gab ihm heute Gelegenheit in einem ausführlichen und informativ-höflichen Interview seine Amtszeit zu bilanzieren. Ich mag hier – aus meiner, anderen Perspektive – nicht verschweigen, auf welche Revanchefouls er gentlemanlike verzichtet.

Aufräumen hinter Nimptsch

Traumatisch in mir eingebrannt hat sich der damalige Beginn seiner Dezernentenamtszeit. OB Nimptsch (SPD) hatte soeben eine Furche der Verwüstung im öffentlichen Kulturpolitikdiskurs gezogen und ohne gross nachzudenken, oder sich gar beraten zu lassen, über alle möglichen – scheinbaren – Sparmöglichkeiten (Opernfusion mit Köln etc.) dahergeschwätzt. Bei den Kulturmacher*innen waren gerade alle Alarmanlagen durchgebrannt, als Schumacher mit seiner Arbeit beginnen musste. Beiläufig erfuhr ich von ihm persönlich zu jener Zeit, dass sein Vater gestorben war – ich hatte gleichzeitig gerade meine Mutter verloren – und niemand, aber wirklich überhaupt niemand aus Parteien, Verwaltung, Medien, Szene, nahm bei ihm darauf auch nur eine Sekunde lang Rücksicht. Da war ich platt. (Schumacher selbst beklagte sich darüber, nach meiner Wahrnehmung, nicht.) Das gab mir zu denken. Und beeinflusste sehr stark meine eigenen, folgenden Lebensentscheidungen (zu meinem besten).

In den eigenen Grünen-Reihen, an denen war ich am nächsten dran, merkte ich zügig, kaum dass er gerade von ihnen dem Rat vorgeschlagen und gewählt worden war, intern über ihn gemeckert und gezweifelt wurde, als er noch kaum mit seiner Arbeit beginnen konnte. Es ist dieser in der Kommunalpolitik als Regel anzutreffende Mechanismus, nach einer getroffenen Entscheidung nicht dabeigewesen sein zu wollen – es könnte ja mal was schiefgehen.

Personalentscheidungen als Segen für diese Stadt

Zur fachlichen Beurteilung von Schumachers kulturpolitischer Arbeit kann ich wenig beitragen. Aus meinen überregionalen Kontakten, vom Ruhrgebiet, über Augsburg, München bis Berlin, wurde mir heftig bestätigt, wie gut seine Personalentscheidungen bzw. -beeinflussungen (Helmich, Wagner, Kaftan usw.) waren. Schumacher hat also eine Stärke, die in anderen Feldern gerade die Achillesferse dieser Stadt ist.
Ihm kommt hier zugute, was sich mir in seiner Zeit als Interims-Sozialdezernent aus eigener Zusammenarbeit bestätigte: sein anständiger Umgang mit – hart – arbeitenden Menschen. Während Politiker*innen bisweilen beklagten, dass er sich nicht festnageln lasse – ich führe das auf seine Abneigung zu lügen oder rheinisch zu flunkern oder sich aufzublasen zurück – hat Schumacher eine absolut seriöse Art des Alltagsumgangs, des Zusammenführens von Stärken und des Ausgleichens von Schwächen, und der effizienten Organisation von Informationsaustausch. So habe ich persönlich es bei der anstrengend-hektischen Flüchtlingsaufnahme in Bonn wahrgenommen.

Diese Eigenschaften und Fähigkeiten, die ich – nur in diesem Feld – wahrnehmen konnte, dürften sich in den anderen Feldern (Kultur, Sport) kaum als Nacheile entpuppen.

Zu weich?

Möglich ist vielleicht, so weit will ich hier zu spekulieren wagen, das so ein seriöser (und charmanter) Mann “zu weich” für die harten Lobbys und die alltäglich-intriganten und extrem rustikalen kommunalpolitischen Umgangsformen ist.
Ich kenne das besser als bei Schumacher an seinem Essener Amtskollegen, und Bonn-Flüchtling, Andreas Bomheuer. Er hat zum Jahresende seine Amtszeit zuende gebracht. Bomheuer sass auf dem Schreibtischstuhl im Alten Rathaus, auf dem ich 10 Jahre ausgehalten habe, nur gut 6 Monate. Auch sein Aufenthalt im Bonner Kulturamt war kurz. Dann wurde er ins Kulturdezernat nach Hattingen gelockt. Kaum hatte er sich dort akklimatisiert, warfen sich alle Ratsfraktionen in der viel grösseren Nachbarstadt (und unserer gemeinsamen Heimatstadt) Essen vor ihm in den Staub, er möge das gleiche Amt doch bitte dort übernehmen. Andreas ist ein kluger, strategisch weitblickender, kreativer Kopf, ein charmanter Womanizer, aber mit einem weichen, selbstkritischen Kern. Solche Menschen hat man gern. Aber sie sind in der Gefahr, im wenig kulturaffinen kommunalpolitischen Intrigenalltag abzusaufen. Da unterscheiden sich die grosse Stadt Essen und die kleine Stadt Bonn nicht.

Weder Martin Schumacher noch Andreas Bomheuer wurden zu ihren Karrieren gezwungen. Es war ihre eigene Entscheidung das zu wagen. Und sie werden mit der sozialen Sicherung kommunaler Wahlbeamter belohnt; und mit garantiert zahllosen grossartigen Erlebnissen und persönlichen Begegnungen. Ob es sich am Ende gelohnt hat, muss jeder selbst entscheiden. Ich hätte es nicht gewagt, bin ein grösserer Feigling, als sie es gewesen sind. Ich bin so gesund geblieben.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Rainer Bohnet

    Ebenfalls in die Amtszeit von Martin Schumacher fiel auch die Ernennung von Hans-Joachim Over, den Rock- und Popbeauftragten der Stadt Bonn. Daran war der damalige OB Jürgen Nimptsch positiv beteiligt.

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