Was wäre bei uns gewesen? Die Funke-Mediengruppe sah eine 55%-Mehrheit für deutsche öffentlich-rechtliche Medien; der WDR beruhigt sich mit über 80%. Und zeigt damit schon: sie lernen nichts.
Aus diesem aktuellen Anlass habe ich meine Bilanz aus 6 Jahren WDR-Rundfunkrat rausgekramt. 15 Jahre ist das schon her, seit ich sie im Freitag veröffentlicht habe. Nach erneutem Lesen überkam mich ein Schaudern: nichts würde ich heute ändern. Alles ist immer noch genauso wie damals. Unverändert! Für mich der Beweis: das “System” ist niemals imstande, sich selbst zu erneuern, und damit zu retten. Bei der Erhaltung unserer Demokratie bleiben die öffentlich-rechtlichen Medien Teil des Problems, nicht der Lösung.

Die Aussenwelt hat sich in den 15 Jahren revolutionär verändert, gerade im Medienbereich. Es gibt wahnwitzig innovative Möglichkeiten, das Publikum an “seinen” Medien teilnehmen zu lassen. Die Intendant*inn*en und Programmdirektor*inn*en denken dabei immer noch an so grauslige und staubige Sendeformen wie “Call-In”-Sendungen im Radio (eine Pest!) oder “Townhall-Meetings” im TV. Die nutzen sie in der Regel nur dafür, sich selbst zu präsentieren – das Publikum ist Kulisse, und ein blamabler Abklatsch dessen, was z.B. heute Fußball-Ultras als ihre eigenen Regisseure viel professioneller (und politischer!) inszenieren.
Es wäre heute noch einfacher, das Publikum Gremienmitglieder wählen zu lassen. Diskursive Wahlkämpfe könnten für billiges Geld online organisiert werden. Dem Publikum könnten sogar Programmentscheidungen zur Abstimmung gestellt werden. Wofür wieviel Geld? Oder Ausschreibung von Produktionsetats, auf die sich Produzent*inn*en oder Drehbuchschreiber*innen in einem offenen Wettbewerb bewerben können; das Publikum entscheidet, was sein Sender macht. Ob sich das auf einem offenen Massenmarkt oder in kleinen Nischen inhaltlich Interessierter abspielt, ist eine Frage, welches Marketing ein Sender darin investiert. Es muss nicht alles auf einmal und für das komplette Programm passieren. Es müsste endlich angefangen werden, damit alle Beteiligten in diesen Prozessen dazulernen und sie verbessern.

Aber darauf können wir lange warten. Ich beziehe täglich eine lange medienpolitische Publikationsliste des DIMBB. Heute geht aus ihr hervor, dass nahezu jedes Publikationsorgan zu NoBillag was zu schwätzen hatte. Wie das öffentliche-rechtliche System aber durch Demokratisierung zu erhalten ist, dazu fällt niemandem etwas ein. Noch nicht einmal die Formulierung einer entsprechenden Frage. Dramatisch.

Auf Dauer sind öffentlich-rechtliche Medien nur zu retten, wenn wenigstens ein engagierter Teil ihres Publikums sie als “seine” Medien begreift und sich für sie einzusetzen bereit ist. Das kann nur bei Minderheiten überhaupt gelingen. Mehrheiten haben keine Zeit und keine Lust zu Engagement; die fallen allenfalls abends aufs Sofa. Die engagementbereiten Minderheiten werden aber von den Führungen der Sender miss- und verachtet. Genau diese Mentalität wird den Ruin herbeiführen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net