Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Autor: Ingo Arend (Seite 1 von 6)

Die Frau ergreift das Wort

In Istanbul wird die Künstlerin Melek Celâl in einer Schau wiederentdeckt. Ein Werk im Zeichen der Emanzipation, wie sie die türkische Republik versprach.

Eine sanft blickende Frau in weißer Bluse, den Kopf leicht zur Seite geneigt, auf dem Kopf ein kokettes Hütchen in Schwarz. Auf den ersten Blick wirken weder die Person des kleinen Selbstporträts, auf das die Be­su­che­r:in­nen im Istanbuler Sabancı-Museum zulaufen, besonders revolutionär, noch seine Malweise. Weiterlesen

Feministisch dekonstruiert

Charlotte Mullins’ beeindruckend leicht erzählte Geschichte der Kunst räumt auf mit der Männerzentriertheit der Kunst

Eine Kunstschule für Frauen. Weil es in ihrer Heimat keine Ausbildung für Künstlerinnen gab, griff Elisabetta Sirani 1660 in Bologna zur Selbsthilfe. Die Malerin, 1638 geboren, starb mit 27 Jahren und hinterließ über 200 Gemälde. In kunsthistorischen Lehrbüchern muss man lange nach der Künstlerin suchen, die gern weibliche Helden aus Antike und Bibel als Motiv wählte. Im 17. Jahrhundert überstrahlt das Licht Guido Reni alles und alle. Bezeichnenderweise liegt Sirani heute in dem Grab ihres Bologneser Zeitgenossen. Weiterlesen

Absichtslos Sensibilität für die Natur schaffen

Robert Fleck denkt über Kunst und Ökologie nach. Sein überzeugend geschriebenes Buch ist Pflichtlektüre für den Kunstbetrieb und ein Augenöffner für interessierte Laien

Tomatensuppe auf Vincent van Goghs Sonnenblumen. Beim Thema Kunst und Ökologie schnellen im kollektiven Bewusstsein zumeist Bilder wie die der zwei Frauen auf, die im Oktober 2022 zwei Dosen „Heinz“-Tomatensuppe auf den Publikumsmagneten von Londons National Gallery warfen. Die Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen kommen in Robert Flecks jüngstem Buch mit dem sachlichen Titel „Kunst und Ökologie“ nur am Rande vor. Darin zeigt der Professor für Kunst und Öffentlichkeit an der Kunstakademie Düsseldorf, dass der Diskurs über die beiden Bereiche der Kunst und der Ökologie und ihr Verhältnis zueinander eine längere Geschichte hat, als es der Londoner Kamikaze-Populismus suggeriert. Weiterlesen

Von der Wüste geblendet

Aufträge und Aufmerksamkeit verspricht die Kulturpolitik Saudi-Arabiens. Dabei fehlt oft der Blick auf die Menschenrechte im autoritären Regime.

“Shame on the Sacklers – Schande über die Sacklers“: Der Slogan, unter dem es der Kampagne der Fotografin Nan Goldin gelang, die Pharma­dynastie Sackler als Sponsoren aus US-Museen zu vertreiben, gilt als epochaler Erfolg bei dem Ringen um einen ethisch verantwortlichen Kunstbetrieb. Es schmälert den Erfolg, wenn diese erkämpften Standards nur selektiv gelten. Nehmen wir den Fall von Ute Meta Bauer. Weiterlesen

Der Platz im Alltäglichen

Das Kölner Museum Ludwig richtet der 85-jährigen Füsun Onur eine Retrospektive aus. Sie ist eine ganz Große für die zeitgenössischen Kunst der Türkei

Abgesessene Möbel, Blechdosen auf Regalen, vergilbte Familienfotos an der Wand. In der altertümlichen Istanbuler Wohnung scheint die Zeit stillzustehen. Lautlos schreitet eine Katze durch ein leeres Wohnzimmer, vor dem Fenster glitzert die ewig bewegte Oberfläche des Bosporus. Der Eindruck von Nostalgie, den der türkische Videokünstler Ali Kazma in seinem Film „Home“ von 2014 eingefangen hat, täuscht. Denn das scheinbar verstaubte Kuriositäten-Kabinett im Stadtteil Kuzguncuk auf der asiatischen Seite der 15-Millionen-Metropole ist seit über 57 Jahren das Zuhause einer der großen Avantgarde-Künstlerinnen der Türkei. Weiterlesen

Das Treffen der Engel

Orhan-Pamuk-Ausstellung in Dresden: Bildlichkeiten dies- und jenseits des Bosporus: Autor Orhan Pamuk rekonstruiert sein „Museum der Unschuld“ in Istanbul für die Dresdner Sammlungen.

Eine geborstene weiße Keramik, geformt wie ein Herz, aus der ein roter Samtfaden wie ein Blutstrom quillt. Es sind skurrile Objekte wie dieses, denen das Istanbuler Museum of Innocence seinen Ruf als Touristenattraktion verdankt.

In dem kleinen, fensterlosen, rot gestrichenen Bau in einer versteckten Seitenstraße des Design- und Trödelviertels Çukurcuma hat der Schriftsteller Orhan Pamuk die 83 Kapitel seines 2000 erschienenen Romans „Das Museum der Unschuld“ mit Hunderten Objekten nachgestellt. Weiterlesen

Utopie und Realität

Wie sieht es in Rojava im zehnten Revolutionjahr aus? Christopher Wimmer ist für sein Buch hingereist

“New World Summit – Rojava“. Der Name, den der niederländische Künstler Jonas Staal 2015 einem Kunstprojekt gab, demonstriert, wie die umkämpfte Region in Nordsyrien als Modell herhalten muss. Denn Staals flaggengeschmücktes Rundgebäude für ein Parlament von Rojava beherbergte im selben Jahr eine Konferenz von Delegierten aus aller Welt, die das Modell einer staatenlosen Demokratie proklamierten. Weiterlesen

Fragwürdige Ernennung

Streit um Kuratorin der Istanbul-Biennale: Die britische Kuratorin Iwona Blazwick soll 2024 die Kunstbiennale in Istanbul leiten. Doch die Personalie und die Vergabekriterien erregen Protest.

„Wir freuen uns, dass Iwona Blazwick unserer Einladung gefolgt ist, die 18. Istanbul-Biennale zu kuratieren.“ Als die Istanbuler Stiftung für Kunst und Kultur (IKSV) in der vergangenen Woche diese Pressemitteilung verschickte, klang das nach den rituellen Formeln des Kunstbetriebs. Weiterlesen

Die Geister fürchten sich

Zwischen Tom of Finland und Kulturkampf: eine Reise durch den finnischen Kunstsommer. Noch gibt sich die neue Rechtsregierung moderat. Doch die Kulturszene ist besorgt

Hexe, Voodoo-Zombie oder Vogelscheuche? Wer in diesem Sommer die Insel Vallisaari in der See vor Helsinki durchstreift, trifft immer wieder auf furchteinflößende Puppen mit schwarzen Gothic-Umhängen und Köpfen aus Gestrüpp.

Das ehemalige Militäreiland, eine halbe Fährstunde vom Südhafen der finnischen Hauptstadt, ist der Schauplatz der 2. Helsinki Biennale. Weiterlesen

Mit Ironie in Ruinen

Kunstbiennale im Kosovo: Die klitzekleine Autostrada-Kunstbiennale im Kosovo ist so schön wie politisch. Und das Bottom-Up-Projekt begibt sich in ein kulturelles Vakuum.

Pferde ohne Reiter, hoch erhoben auf ehernen Sockeln. Luchezar Bouyadjievs Werke sind schon oft ausgestellt worden. Aber noch nie dürften sie so gut platziert worden sein wie auf der 4. Autostrada-Biennale jetzt im kosovarischen Prizren. Seit zwanzig Jahren dekonstruiert der bulgarische Künstler mit seinen Fotografien die Repräsentation von Militärs, Königen und nationalen Helden auf öffentlichen Plätzen. Dazu retuschiert er aus Reiterstandbildern, die er auf der ganzen Welt ablichtet, die menschlichen Gestalten heraus. Weiterlesen

Transparente Fischschuppen

Das Museum Istanbul Modern feiert seine Wiedereröffnung. Der neue Renzo-Piano-Bau ist erdbebensicher und soll auch politisch ein Zeichen setzen

“Road to Tate Modern“. So heißt ein Video der kurdischen Künstler Şener Özmen und Erkan Özgen aus dem Jahr 1971. In dem Streifen sieht man die beiden in der Manier von Cervantes’ Klassiker „Don Quijote“ auf Eseln durch den steinigen Südosten der Türkei reisen – auf der nie endenden Suche nach dem Heiligen Gral der Kunstwelt. Eine großartige Metapher auf die Kunstwelt, aber auch auf die Perspektive der Peripherie auf das ästhetische Versprechen des Westens. Weiterlesen

Nicht bloß eine Frage des Glaubens

Demokratie in Bedrängnis: Der Berliner Philosoph Volker Gerhardt rekonstruiert die philosophisch-politische Diskussion um sie seit der Antike

Die Welt als Wille und Vorstellung. Bei Volker Gerhardts neuestem Werk fühlt man sich an Arthur Schopenhauers Klassiker von 1844 erinnert.

Weltweit ist die Demokratie unter Beschuss: Diktatoren bauen sie zur „illiberalen“ um, Rechtspopulisten blasen zum Sturm auf ihre Institutionen. Inmitten ihrer bislang schwersten Bewährungsprobe hält der Seniorprofessor für Philosophie der Humboldt-Universität in seinem Band mit dem Motto dagegen: Man muss fest an sie glauben. Weiterlesen

Nachwirken des Genozids

Roman über Nachwirken des Genozids: Bleibende Erinnerungen – Die Großmutter eine Überlebende, der Großvater ein Profiteur des Genozids an den Armeniern. Marc Sinans Debütroman „Gleißendes Licht“.

Aghet – die große Katastrophe. So nennen die Armenier das Trauma, welches ihr historisches Selbstverständnis bis heute prägt. Am 24. April 1915 begann mit der Deportation der armenischen Elite aus Konstantinopel deren Genozid im Osmanischen Reich. Rund 1,5 Millionen Menschen fielen ihm zum Opfer. International aufgearbeitet, bleiben die barbarischen Geschehnisse von 1915 im Lande selbst tabuisiert. Jeder Versuch, sie zur Sprache zu bringen, trifft auf den erbitterten Widerstand des türkischen Staates. Weiterlesen

Gute Miene zum autoritären Spiel

Erdoğan und die säkulare Kultur – Recep Tayyip Erdoğan eröffnet den Neubau des Kunstmuseums Istanbul Modern. Kurz vor der Stichwahl ist der Noch-Präsident auf Stimmenfang.

Bleibt Türkiye, so heißt die Türkei seit Neuem auf Geheiß ihres Dauerpotentaten, doch modern? Schwer zu sagen, ob Recep Tayyip Erdoğan diese Message senden wollte, als er kürzlich im Kunstmuseum Istanbul Modern aus den Händen von Oya Eczacıbaşı ein Bild des Hauses entgegennahm. Seit Monaten hatte die türkische Kunstszene gerätselt, wann der Neubau des 2004 in einer Lagerhalle an der Uferpromenade des Stadtteils Karaköy eröffneten Kunstmuseums endlich öffnen würde. Weiterlesen

Das Ende der Glühbirne

„Ich bin weit weg von Politik“, sagt Timur Celik. Mit melancholischem Alltagsrealismus ist der Maler zum Chronisten des Erdoğan-Regimes geworden. Ein Atelierbesuch am Hermannplatz kurz vor den türkischen Wahlen

Eigentlich begann alles mit einem Zufall, elf Jahre ist es nun her. Eine Glühbirne in Timur Celiks Atelier direkt an der Ecke von Neuköllns Hermannplatz war zerplatzt und lag auf der Werkbank.

„Ich schaute sie mir an“, erzählt der Maler, „und dachte: Alles hat seine Zeit, auch die Glühbirne. Sie wird nicht mehr produziert werden. So wird es auch der AKP ergehen.“ Weiterlesen

Ein Fall von Klassenverrat

Franziska Giffeys Berliner SPD macht sich gerade jene Klientel zum Partner für Wohnungsneubau, die eine Volksentscheids-Mehrheit enteignen wollte

“Man kann einen Menschen mit einer Wohnung erschlagen wie mit einer Axt“. Das hat nicht August Bebel gesagt, sondern sein Zeitgenosse Heinrich Zille. Das Mietskasernenenlend des proletarischen „Milljöhs“ am Ende des 19. Jahrhunderts, das der legendäre Künstler mit dem Spruch anprangerte, existiert zumindest im Berlin des 21. Jahrhunderts so nicht mehr. An Cholera, Typhus und den Blattern, wie es Friedrich Engels in seinen Schriften zur Wohnungsfrage beklagte, sterben Mieter:in­nen der deutschen Hauptstadt nicht mehr. Weiterlesen

Mikrogeschichte geborgen

Die Ausstellung „Überlebenswege“ im August Bebel Institut zeigt nicht nur „Zeugnisse über den Völkermord an den Armenier*innen“, sondern erinnert auch an den Anteil der nach Griechenland geflohenen Ar­me­nie­r*in­nen am antifaschistischen Widerstand in Athen

Ein verbeulter Löffel, an der Spitze etwas abgekaut, am Stiel­ende trägt er die Prägung des deutschen Reichsadlers, der in seinen Fängen ein Hakenkreuz hält. Viel mehr erinnert nicht an Krikor Tschilingirian. Der 1897 in Cerrah in der Region Bursa geborene Mann gehörte zu den vielen Flüchtlingen, die 1922 ihre Heimat in Richtung Griechenland verließen. Nach dem Sieg Atatürks im Türkisch-Griechischen Krieg flohen nicht nur türkische Griechen, sondern auch die letzten Armenier:innen, die den Völkermord im Osmanischen Reich überlebt hatten, nach Westen. Weiterlesen

Das Bersten der Melone

Das Katastrophische grundiert die Existenz in der Region im Südosten der Türkei, mit der sich die Künstlerin Fatoş Irwen in Fotografien und Videos auseinandersetzt. Zu sehen in der Galerie Zilbermann in Berlin-Charlottenburg.

Eine Frau kauert in einem steinernen Brunnen in der Ecke eines alten Hauses. Ihr Kopf mit langen dunklen Haaren ist nach unten gebeugt. Der nackte Körper wird von einem Feigenbaum hinter ihr geschützt. Der Farbdruck „Çifte Kuyu – Doppelt gut“, auf den Be­su­che­r:in­nen gleich zu Beginn der Ausstellung „Sûr“ stoßen, spiegelt wie im Brennglas die Themen der Kunst von Fatoş Irwen: Der Körper der Frau, Selbstbehauptung im Rückzug auf sichere Orte, die Bedeutung ihrer Heimatstadt Diyarbakır. Weiterlesen

Kritik als Poliermittel

Die Deichtorhallen in Hamburg zeigen eine hier kaum bekannte zeitgenössische Kunst jenseits des Transatlantiks, doch die dahinter stehende Stiftung aus dem Emirat Schardscha ist widersprüchlich

Ein ovales Holzboot, verwittert von der See, gehalten von einem rostigen Anker. Vor über zehn Jahren hatte die Familie des libanesischen Künstlers Rayyane Tabet den Kahn zufällig an der Nordküste ihrer Heimat entdeckt. Es war genau das Boot, das Tabets Vater fast dreißig Jahre zuvor gemietet hatte, um vor dem Bürgerkrieg im Libanon nach Zypern zu fliehen. Als „bewegliches Denkmal“ hängt es nun von der Decke der Hamburger Deichtorhallen. Weiterlesen

Ob sich Erdoğan einen Gefallen tat?

ifa-Preis für inhaftierten Osman Kavala: Der in der Türkei zu lebenslanger Haft Verurteilte bleibt seinem Humanismus treu. In Abwesenheit erhielt er jetzt den ifa-Preis.

„Ich glaube daran, dass Kunst den Traum einer von einem wahrhaft universalistischen Humanismus geprägten Weltgemeinschaft Realität werden lassen kann“. Wie ein Verzweiflungsruf aus dem Kerker klang der Satz nicht, mit dem sich Osman Kavala am Donnerstagabend im Berliner Allianz-Forum aus der Ferne für den „Preis für den Dialog der Kulturen“ bedankte, den das Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) seit 2009 vergibt. Weiterlesen

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