Dietrich Leder, seit etlichen Jahren der gebildetste und immer komplexe Zusammenhänge durchdenkende beste medienpolitische Publizist deutscher Sprache, widmet dem mit 88 Jahren verstorbenen Dokumentarfilmer und Fernsehmacher Klaus Wildenhahn in der Medienkorrespondenz einen nicht unkritischen aber sehr würdigen Nachruf. Wieder einer weniger, denken Freund und Feind. Ich habe einzelne von Wildenhahns Werken als Jugendlicher in den damals noch aufregend-experimentellen Dritten Programmen gefesselt verschlungen. Solche wie ihn würden wir heute noch brauchen.
Wolf Reiser kenne ich nicht. Ich bin auch nicht sicher, ob es ihn wirklich gibt, oder sich ein bekannter Mensch anderen Namens hinter einem Pseudonym verbirgt; Rio Reiser gab es wirklich, ich bin mit Menschen befreundet, die mit dem gelebt und gearbeitet haben. Wolf Reiser ledert heute wohlinformiert bei telepolis über den Journalismus ab. Ich teile die meisten seiner Einschätzungen, aber nicht seine verbitterten Gefühle (und habe den Verdacht, dass wir ähnlichen Alters sind).
Ich hatte und habe allerdings gegenüber ihm auch den lebensgeschichtlichen Vorteil, nicht von Journalismus leben zu müssen – und dem Augenschein auf sein Wohnzimmer nach: niedrigere Lebenshaltungskosten. Darum habe ich einen optimistischeren Ausblick. Das alte Mediensystem geht vielleicht nicht unter, aber es kackt ab, selbstverursacht, und hat es auch nicht besser verdient. Wir wissen noch nicht, was alles Neues kommen wird. Einiges ist schon da, was ich heute als digitalen Monopolkapitalismus bezeichnen würde (Facebook, Apple, Amazon, Google, Baidu, Alibaba etc.). Das ist nicht das Ende der Geschichte. Wie in der Vergangenheit werden sich auch in Zukunft Menschen gegen Unterdrückung und Beherrschung wehren – wie immer zu wenige, aber manchmal genug für die eine oder andere Revolution.
Das ist die passende Überleitung zu Chantal Mouffe, die der Schweizer Republik ein langes, offenes, in Teilen aufregendes Interview gab. Ich bin sicher, dass ich anders als sie, näher bei Habermas als bei Schmitt bin. Und die Migrationsthematik wird von ihr fatal untergewichtet und banalisiert, ähnlich wie bei ihrer Verehrerin Wagenknecht, während sich selbst Melenchon in dieser Frage angeblich zu korrigieren beginnt. Die Frage an unsere Humanität stellt sich hier und jetzt, trennt Menschenfreund*inn*e*n von Menschenfeind*inn*en. Die Menschen werden sich auf ihrer Flucht vor Elend und Suche nach Lebensglück von linkspopulistischen Führern nicht dirigieren lassen. Von dieser gewichtigen Schwachstelle abgesehen, hat Frau Mouffe allerdings einen scharfen Blick auf die politischen Kämpfe in Europa, von dem sich mit einem Minimum an Aufnahmebereitschaft reich profitieren liesse. Lesen vorausgesetzt.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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