Die Idylle um den Kommentalweg habe ich geliebt. Ein Trampelpfad, mit dem Fahrrad gut befahrbar, führte direkt von meinem Bäcker Schmitz in Schwarzrheindorf zum Bröltalbahnweg, durch Kleingärten und wilde Brombeeren. Verschiedentlich meldeten sich von den Zäunen an der Seite kleine Nutztiere. Da, wo jetzt die Bonava-Neubauten stehen, verbargen sich zwei kleine, etwas abgewrackte hexenhäuschenartige Anwesen, von wildem Gebüsch von der Niederkasseler Strasse abgeschirmt, die mal ein Kinderparadies gewesen sein könnten. Alles zusammen eine kleine Oase in der Stadt, die ich fast jeden Samstagvormittag vor dem Einkaufen genoss.

Das ist vorbei. Und ich bejammere es nicht. Ich bin dafür, mehr Wohnungen zu bauen. Denn wir haben in unserer Stadt Wohnungsnot. Das von mir beschriebene Gelände liegt im “Innenbereich” unserer Stadt. D.h. Versiegelung und Flächenvernichtung, Bedrohung von artenvielfalt – das muss nicht mit Wohnbebauung vorangetrieben werden. Das Gegenteil kann der Fall sein. Es ist längst nachgewiesen, dass Städte, adäquat begrünt und mit Freiräumen, eine klar grössere ökologische Vielfalt ermöglichen als die heutige agroindustrielle Landwirtschaft.

Darum bin ich für dieses Wohnbauprojekt. Dennoch bleiben qualitative Fragen. Die öffentliche Aufregung konzentrierte sich auf Bauhöhe und Zahl der Stockwerke. Das interessiert mich weniger. Negativ bedeutender ist für mich die maximale Quadratmeterauslastung in der Fläche. Die ist nämlich Berechnungsgrösse für den Cashflow aus Vermietung und Verkauf. Die Gärten, die Bonava auf ihre Homepagebilder montiert hat, gibt es (bisher) nicht. Was zu sehen ist, sind – grosszügig formuliert – erweiterte Sitzecken für die Paterrewohnungen. Und grosszügig dimensionierte Tiefgaragenrampen. Einen angepflanzten Baum hinter dem Gebäuderiegel an der Niederkasseler Strasse will ich nicht verschweigen – die vorher gefällten habe ich nicht gezählt. Und der Sandkasten neben der Tiefgarageneinfahrt soll auch nicht unerwähnt bleiben.
Mag sein, dass es im nächsten Bauabschnitt, für den derzeit die Baugruben ausgehoben werden, mehr Grün gibt. Hier sollen Reihenhäuschen entstehen, für die vermutlich noch ganz andere Verkaufspreise aufgerufen werden. Die fertiggestellten Eigentumswohnungen, “verkehrsgünstig” gelegen, kosten das Doppelte wie meine 1999, die in einer verkehrsberuhigten Stich- und Spielstrasse liegt.

Das ist das entscheidende Problem dieses Wohnungsneubaus: schön, dass es über 200 neue Wohnungen gibt. Schlecht, dass Normalbürger*innen sie nicht bezahlen können. Nun will Bonava weiterbauen. Richtung Norden, am Nordosteck des Mirecourtviertels gibts noch Fläche. Dazu hat die Stadtverwaltung nun Eckpunkte für einen zu erstellenden Bebauungsplan vorgelegt, die, wie leider üblich, in den Gremien des Stadtrates, u.a. der Bezirksvertretung Beuel erst mal eine Vertagungsrunde einlegen. Kommunalpolitiker*innen sind Feiglinge. Sie wissen, dass Nachbar*inne*n (fast) immer gegen Neubauprojekte sind. Ich zähle mich nicht dazu. Ich begrüsse auch, dass entsprechend der Beschlusslage des Stadtrates eine 30%-Quote für sozial geförderte Wohnungen vorgesehen ist. Denn nichts brauchen wir in dieser Stadt dringender als die.

Die soziale Lage ist heute so, das 50% der Bevölkerung, das ist geringfügig mehr als die vom Bonner Wutbürger imaginierten Sozialhilfeempfänger, aufgrund ihres unzureichenden Einkommens Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein haben. Es handelt sich in erster Linie um Familien und Alleinerziehende mit Kindern. Geförderte Mieten sind nicht niedrig, eher schon zu hoch, dank unserer “Marktwirtschaft”. Sie sind aber zu gering, gemessen an den Baupreisen, die die Baukonzerne aufrufen. Und darum gibt es kein Unternehmen mehr, das in Bonn sozial geförderte Wohnungen baut – ausser unserer eigenen Wohnungsbaugesellschaft Vebowag. Sie gehört Ihnen und mir, allen Bonner*inne*n.

Die Vebowag hat z.B. in den 90ern meine Eigentumswohnung gebaut – eine von 76 in unserer Wohnanlage, verteilt auf vier Gebäude. Mit dem Verkauf dieser Wohnungen konnte sie denn Bau der rund 250 Altensozialwohnungen An der Wolfsburg und in der Rheindorfer Strasse gegenfinanzieren. Beim aktuellen Bauprojekt am Kommentalweg dagegen soll die Bonava die Gewinne einstreichen. Die Vebowag käme nur bei den sozial geförderten Wohnungen zum Zuge. Warum eigentlich?

Müssen wir in Bonn schwedische Milliardäre reicher machen? Grösster Aktionär der Bonava ist die Nordstjernan AB. In der sind die geschäftlichen Aktivitäten des Johnson-Familienclans, mglw. die reichsten Schwed*inn*en überhaupt, gebündelt. Ich habe nichts gegen die, sie sollen auch ruhig Wohnungen bauen und daran verdienen. Aber unsere Stadt hat vielleicht genauso viele Schulden (2 Mrd. €) wie die Familie Johnson Vermögen. Warum also weiter umverteilen?

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net