von Klemens Roloff
Es wäre eine Schande, wenn das in den Archiven verschwände

Großen Dank für den Hinweis auf den wunderbaren Dokumentarfilm „Kulenkampffs Schuhe“ (Mediathek noch bis Mittwoch) von Regina Schilling. Es wäre eine wahre Schande, wenn er demnächst im Dunkel der Senderarchive verschwände. Er hat vielmehr ein großes Publikum verdient. (Einschaltquote um 22.30 h: knapp 2 Mio.) Wenn es sich nicht um einen Film, sondern um einen literarischen Text handelte, würde man sagen: Pflichtlektüre für die Schule!

„Kulenkampffs Schuhe“ erinnert in mancherlei Hinsicht an die großen Romane von Heinrich Böll. Dass Regina Schilling, Jahrgang 1962, ebenso wie der spätere Literaturnobelpreisträger, geboren 1917, in Köln zur Welt kam, ist dabei eher ein Zufall. Wie Böll macht sie den Krieg und das, was er aus den Menschen macht, zum Thema. Ihr meisterliches Dokumentarstück, ausschließlich aus Archivmaterial zusammengestellt, zeigt Nachkriegsgeschichte auf ungewöhnliche und sehr berührende Art und Weise: Anhand von Ausschnitten aus TV-Shows von damals, Interviews, privatem Super8-Material, historischen Dokumenten und Fotos eröffnet es eine ganz neue Sicht auf das Unterhaltungsfernsehen der Bundesrepublik, das angetreten war, eine ganze Nation von ihren Kriegstraumata zu therapieren.

Showmaster wie Hans Joachim Kulenkampff oder Peter Alexander gehörten wie Regina Schillings Vater einer sehr besonderen Generation an: Teilnehmer am Zweiten Weltkrieg, missbraucht vom Nationalsozialismus, dann eingespannt in das Hamsterrad der Wirtschaftswunderzeit, die von Traumatisierungen nichts wusste oder nichts wissen wollte.

Für mich, Jahrgang 1949, war die Begegnung mit diesem Dokumentarfilm ein regelrechtes Déjà-vu. Dabei habe ich die Unterhaltungssendungen im Fernsehen damals als Kind oder Jugendlicher gar nicht gesehen – in meinem Elternhaus gab es bis Ende der Sechzigerjahre keinen Fernsehapparat. Dennoch vermittelt Regina Schillings Dokumentation die damaligen Stimmungen und Debatten mit einer Wucht, die sonst nur große Literatur oder Filmkunst auszulösen vermag.

Einstweilen hat ihr Film mich überaus traurig gemacht: Was waren das für Männer, unsere Väter und Großväter? Als Soldaten im Ersten und Zweiten Weltkrieg sicherlich Täter und Opfer. Und welche Rolle spielten sie später, an Leib und Seele beschädigt, aber lebend aus der Katastrophe heimgekehrt, in der sogenannten Nachkriegszeit? Ja, die Anfänge der Bundesrepublik standen unter keinem guten Stern. Was machen wir Nachgeborenen aus dieser Bilanz? Ein Fragenkomplex, an den sich vielleicht gerade auch feministisch orientierte Zeitgenoss*inn*en einmal heranwagen sollten.

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