Beueler-Extradienst

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Laschet, Baerbock … oder was?

Die Nervosität steigt, umgekehrt proportional zur politisch-inhaltlichen Polarisierung. Es gibt keinen Streit um nichts, dafür umso mehr um die Nasen. Das ist ein Fest für bräsige, denkfaule Medien. Sie müssen nichts in Journalismus investieren und können die kostengünstigste Variante als Spektakel verkaufen. Sie merken nicht, dass sie damit selbst zum Teil des Problems (der Demokratie) werden. Denn so, wie die grösste Gruppe weder Laschet, noch Baerbock noch Scholz will, wie schon lange die grösste Gruppe die der religiös Ungläubigen (= unspektakulär = nicht berichtenswert) ist, so wächst die Gruppe derer, die sich eine Meinung unabhängig vom veröffentlichten Medienstrom bildet. Oder selbst darauf gerne verzichtet, und an der kommenden Bundestagswahl gar nicht teilnehmen werden.
taz-Chefin Ulrike Winkelmann gefällt das, zu meiner Überraschung, Ich hatte bisher eine hohe Meinung von ihr. Moritz Küpper/Hauptstadtbrief leuchtet das Berater*innen-Umfeld von Laschet aus. Etwas brav geraten, wie er bereits langjährig als DLF-Korrespondent aus Düsseldorf berichtet hat. Küpper vergräbt mglw. kritische Gedanken immer zwischen den Zeilen, leider längst nicht so virtuos, wie es Günter Bannas pflegt. Was Küpper an Deutlichkeit fehlen lässt, liefert ergänzend Ulrich Schulte/taz.
Annalena Baerbock hat dem DLF ein “Interview der Woche” gegeben. Das ist ein Premium-Sendeplatz für Politiker*innen. Nicht weil Volksmassen zuhören. Die tun das nicht. Aber die was-mit-Medien-Leute beachten es alle. Schon allein, weil der DLF es das ganze Wochenende in seinen Nachrichten ankündigt, und nach dem Sendetermin (sonntags, 11.05 h) meistens weiter abfeiert. Lesen Sie sich das mal in Ruhe durch. Mein Eindruck ist – mit dem Blick eines früheren PR-Strategen – ein “noch ausreichend” mit starker Tendenz zum “mangelhaft”. Warum?
An diesem Sendeplatz kann eine Politikerin mehrere Sätze hintereinander sprechen, also regelrecht argumentieren. Ein angenehm ausgeruhter diskursiver Kontrast zum allgegenwärtigen Talkshow-Trash und selbstreferentiellen Getwittere. Sie muss nicht, wie in der Radio-Primetime der werktäglichen Morgensendungen, live auf die Sekunde genau sprechen und schweigen. Das Gespräch wird aufgezeichnet, kann also unterbrochen und geschnitten werden. Der Interviewer Klaus Remme kommt vom rechten Flügel des DLF-Hauptstadtbüros (“Sicherheitsexperte” = Nato, Geheimdienste, Bundeswehr etc., legitimer Nachfolger meines alten Geheimdienst-Buddys Rolf Clement aus meiner politischen Jugendzeit). Baerbock wird zwar selbst als massive “Atlantikerin” verdächtigt, beraten von den Ostkreuzzügler*innen des Ehepaars Fücks/Beck, aber es dürfte nicht ihre Wahl, sondern eine des DLF-Hauptstadtbüros gewesen sein.
Baerbocks Wunsch nach einem “Mehrheitsprinzip in der EU” hat ihr vermutlich noch ein ganz Anderer eingeflüstert; das dürfte der Herr Joseph Fischer gewesen sein. Er muss es ja nicht mehr ausbaden. Es ist eine von zahllosen Fragen an die demokratische Verfasstheit der EU. Dazu hat sich Baerbock den Stempel nun selbst auf die Stirn gesetzt, was in den anderen Regierungskanzleien aufmerksam registriert werden wird: als deutsche Dominanz-Aggression. Und ihr, würde sie Kanzlerin, bei ihrem ersten EU-Gipfeltreffen mit den anderen 26 Amtskolleg*inn*en wenig Freude bereiten wird.
Zum Handwerk für so ein Gespräch gehört es, sich Gedanken über die eigene inhaltliche Agenda zu machen, die dabei “rübergebracht” werden soll. Das ist rhetorisch machbar, selbst dann, wenn sie nicht mit der des Fragenden übereinstimmt. Deutscher Rekordhalter in dieser Disziplin ist immer noch der langjährige Bundesaussenminster Hans-Dietrich Genscher, von dem die nachfolgenden Politiker*innen bestürzend wenig gelernt haben. Dieses kleine Einmaleins kann ich leider in diesem Gespräch überhaupt nicht erkennen. Sie?
Die DLF-Nachrichtenredaktion hat dann noch das Beste rausgeholt und als Nachricht verpackt. Eine Zuspitzung, auf die Baerbock (fahrlässig oder absichtlich???) verzichtet. Oder lesen Sie das anders?
Also Scholz?
Also Olaf Scholz als legitime Fortsetzung von Merkel? Der Sieger im Füsse-stillhalten? Der Star der Wähler*innen*mehrheit mit schlechtem Gedächtnis. Die Skandale um Wirecard und Cum-Ex-Steuerbetrügereien, alles milliardenschwer (also teurer als Andy Scheuer!!) sind nicht ausgestanden. Der windige Olaf sitzt einfach die Tatsache aus, dass Parlamentarische Untersuchungsausschüsse mit der Legislaturperiode automatisch enden. Ich kenne ihn gut genug, dass ich weiss, wie ihn das im Inneren diebisch amüsiert. Mit ähnlicher Schadenfreude betrachtet er das Dilettieren von Laschet und Baerbock (oder auch das seiner eigenen Parteiführung). Und gaaaanz wichtig: er darf das in keiner Sekunde zeigen. Die Macht der Bilder. Das weiss er und das kann er. Kanzler, das kommt später.
Eine gute Freundin aus den USA sagte, politisch weit stärker leidgeprüft als wir selbstmitleidigen Deutschen: “Ich unterstütze alles, was die Welt besser macht.” Wo ist dieses Angebot? Wurde es Ihnen schon unterbreitet?

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Roland Appel

    Tja, Baerbock redet und redet – aber sie sagt nichts.

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