Es gibt einen weiteren Friedensappell. Nervt Sie das? Dann lesen Sie besser woanders weiter. Dieser Ist kürzer als seine Unterschriftenliste, darum will ich ihn kurz dokumentieren:

Frieden für die Ukraine: Ein Friedensappell aus der Mitte der Gesellschaft

Frieden schaffen: Waffenstillstand, Verhandlungen und gemeinsame Sicherheit. Das fordert eine Friedensinitiative für Europa, für die Ukraine.

Mehr als ein Jahr dauert bereits der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Jeder weitere Tag Krieg bedeutet für die betroffenen Menschen mehr Leid und Zerstörung, mehr Verwundete und Tote. Mit jedem Tag wächst die Gefahr der Ausweitung der Kampfhandlungen. Der Schatten eines Atomkrieges liegt über Europa. Aber die Welt darf nicht in einen neuen großen Krieg hineinschlittern. Die Welt braucht Frieden. Das Wichtigste ist, alles für einen schnellen Waffenstillstand zu tun, den russischen Angriffskrieg zu stoppen und den Weg zu Verhandlungen zu finden.

Aus dem Krieg ist ein blutiger Stellungskrieg geworden, bei dem es nur Verlierer gibt. Ein großer Teil unserer Bürger und Bürgerinnen will nicht, dass es zu einer Gewaltspirale ohne Ende kommt. Statt der Dominanz des Militärs brauchen wir die Sprache der Diplomatie und des Friedens.

Die Friedens- und Entspannungspolitik, der wir die deutsche Einheit und die Überwindung der europäischen Spaltung verdanken, ist nicht überholt. Wir haben uns in der Vergangenheit für ihre Ziele eingesetzt und tun das auch heute. Um es mit Willy Brandt zu sagen: „Es gilt sich gegen den Strom zu stellen, wenn dieser wieder einmal ein falsches Bett zu graben versucht.“

Die Vereinten Nationen haben mit dem Konzept der gemeinsamen Sicherheit den Weg in eine friedliche Welt aufgezeigt. Es hat seine Wurzeln in der deutschen Friedens- und Entspannungspolitik. In diesem Geist kam es zur Schlussakte von Helsinki und zur Charta von Paris für ein neues Europa. Daran knüpfen wir an. Frieden kann nur auf der Grundlage des Völkerrechts und auch nur mit Russland geschaffen werden.

Unsere Welt ist auf Gegenseitigkeit angewiesen, nur so sind die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen. Entscheidend ist es, die Eskalation des Krieges zu stoppen. Wir ermutigen den Bundeskanzler, zusammen mit Frankreich insbesondere Brasilien, China, Indien und Indonesien für eine Vermittlung zu gewinnen, um schnell einen Waffenstillstand zu erreichen. Das wäre ein notwendiger Schritt, um das Töten zu beenden und Friedensmöglichkeiten auszuloten. Nur dann kann der Weg zu einer gemeinsamen Sicherheitsordnung in Europa geebnet werden.

Initiatoren und Verantwortliche: Prof. Dr. Peter Brandt, Historiker; Reiner Braun, Internationales Friedensbüro; Reiner Hoffmann, ehem. DGB-Vorsitzender; Michael Müller, Bundesvorsitzender der Naturfreunde, Parl. Staatssekretär a. D.

Fettschrift von mir. Hier wird das innenpolitische Motiv erkennbar, den Bundeskanzler im sozialdemokratischen Tauziehen auf eine friedensorientierte Seite zu ziehen. Denn seien wir ehrlich: tatsächlich benötigen die genannten Staaten keinen deutschen Bundeskanzler, um ihre eigenen aussenpolitischen Interessen zu erkennen und zu verfolgen. Allerdings benötigt die SPD Kompass und Orientierung. Beides fehlt ihr schon bestürzend lange. Dazu wollen die Initiatoren und Unterzeichner*innen erkennbar einen Beitrag leisten.

Sie repräsentieren den “alten” Teil der Friedensbewegung, etliche kenne ich persönlich. Wolfgang Biermann erkenne ich wieder, einen klugen friedensbewegten Strippenzieher in der ehemaligen SPD-“Baracke”, der immer noch viele der Unterzeichner*innen mitgebracht haben dürfte. Eine alte grüne Freundin ist dabei: Annelie Buntenbach, Ex-MdB (1994-02), und lange und verdienstvoll im DGB-Bundesvorstand (2006-20) und in der Deutschen Rentenversicherung (2006-17) tätig. Ich habe innerhalb der Grünen nur sehr wenige integrere Leute kennen gelernt als Annelie. In den 90ern haben wir gemeinsam eine Antirassismus-Broschüre für die NRW-Grünen produziert. Selten hat das so so effizient und reibungslos funktioniert, wie mit ihr.

Das politische Problem dieses und vieler anderer derartiger Aufrufe ist, dass der einstige Einflussreichtum seiner Unterzeichnenden weitgehend verblichen ist. Sie stehen “nur” noch für sich. Sie hätten verdient, dass ihnen zugehört wird. Denn sie haben nachgewiesen – bei allen Meinungsverschiedenheiten, die ich z.B. mit dem Bonner Ehepaar Dieckmann hatte: sie sind ja nicht doof. Aber dafür hat heute keine*r mehr Zeit. Am wenigsten die real existierende Ampelkoalition.

Das Thema des gewiss kontrovers zu diskutierenden Aufrufs wird von zwei Interviews vertieft, die ich als lesenswert für den eigenen Denkapparat empfehle:

Michael Maier (Interview)/Berliner Zeitung: Kann linker Pazifismus falsch sein? – Der Chef der Berghof Foundation sagt, die Tradition des linken Pazifismus verdiene größten Respekt. Es sei jedoch nötig, die Engführung von ‘Nie wieder Krieg!’ zu hinterfragen.”

Michael Hesse (Interview)/FR: Adam Tooze: ‘Es ist de facto eine wirtschaftliche Kriegserklärung der USA an China’ – Der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze über die Folgen einer neuen Bankenkrise, den Segen der Inflation, Deutschlands Zukunft und das amerikanische Hegemonialprinzip.”

Letzteres markiert die Zwickmühle für Olaf und seine Regierung. Ist die EU überhaupt noch in der Lage, eine Position einzunehmen, wie Tooze sie anregt? Ich meine: eher Nein. Wie schön, dass Murdochs “Sun” heute das Gerücht verbreiten liess, unsere ehemalige “Flinten-Uschi” solle erneut “Flinten-Uschi” werden, dieses Mal an der Spitze der Nato. Absicht solcher Durchstiche ist oft, das “Schlimmste” zu verhindern. Viele bei der EU würden sich dankbar bekreuzigen, wie es schon Angela Merkel getan hat …

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net