Eine stark in Erinnerung gebliebene Reise mit einem russischen Schlafwagen unternahm ich in den 90ern. Die DDR war schon abgeschafft, aber der Paris-Moskau-Express existierte noch (das gleichnamige Restaurant in Berlin in Sichtweite der Bahnstrecke gibt es immer noch und ist nach meiner Kenntnis auch immer noch empfehlenswert). Der “Express” bestand aus einem Kurswagen, der an einen bunt zusammengestellten Zug angehängt war. Eine Freundin und ich wollten von Köln nach Berlin. Und ja, der Zug fuhr seinerzeit noch so langsam, dass diese Strecke im Bett schlafend zurückzulegen war. Leider war uns eine Vorreservierung nicht gelungen, so dass wir uns an den Bahnsteig stellten, um mit dem Bahnpersonal zu verhandeln. Das stellte sich als Erfolgsstrategie heraus.

Wir zahlten der russischen Schlafwagenschaffnerin in bar, verlangten keinen Beleg und bekamen dafür ein 2er-Abteil, in dem wir nicht gestört wurden; leider hatte auch keine Heißmangel zur Verfügung gestanden, die Bettwäsche war zwar gewaschen, aber noch feucht. Jetzt war noch das Problem mit unserem Hunger. Nahrung und Getränke hatte die russische Mitarbeiterin leider nicht im Angebot. Ich wusste aber, dass der Zug in Dortmund längeren Aufenthalt hatte, so dass ich uns in einer Gyrosbude in Hbf.-Nähe mit Frischwaren bevorraten konnte. Die Bude gibt es heute nicht mehr, wurde abgerissen, ungefähr da, wo jetzt das angeberische DFB-Museum steht. Als ich vom Einkauf zurückkam stand der Zug leider nicht mehr an seinem Ankunftsplatz, sondern war rangiert worden. Mit starkem Herzklopfen fand ich ihn in düster-nebliger Nacht auf einem Abstellgleis, an dem das Zusteigen garantiert absolut verboten war. Die Tür des alten Schlafwagens war zum Glück nicht verriegelt. Unsere Reise frei von Hunger und Durst damit gerettet. Eine Reise, die ich nicht vergessen werde.

Seit die DB angekündigt hat, Schlafwagen komplett abzuschaffen, haben sich zahlreiche Journalisten aufgemacht, es schnell noch mal auszuprobieren und aufzuschreiben. Kontraststark gelang das Christian Schwägerl, der erst mit dem “Orient-Express” und dann wie wir damals mit einem russischen Schlafwagen gefahren ist. Ein Fehler seiner Strategie war, dass er die Weintrinker-Regel – “niemals abwärts trinken” – nicht berücksichtigt hat. Zutreffend seine Kritik, dass die Bahnunternehmen keine adäquate Dienstleistungsstrategie finden, und dem Reisen jede Sinnlichkeit austreiben.
Schlafwagen und Fährschiffe als Alternative zum Flug sind schon sehr lange keine luxuriöse Reiseform mehr, aber die Teuerste. Jetzt hat es zumindest die DB endlich geschafft sie zu Tode zu ruinieren. Hoffen wir, dass es der österreichischen ÖBB gelingt, möglichst viel von dieser Lücke zu füllen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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