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Kommt jetzt das “Deutsche Facebook”?

Küppi hat sich vorgestern noch zurecht lustig gemacht über die Schläfrigkeit deutscher, und öffentlich-rechtlicher Medienpolitik. Wenn es aber mehr als ein Gerücht ist, dass der Intendant des Bayrischen Rundfunks und amtierende ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm (und ehemalige Merkel-Regierungssprecher, CSU) sowie der ehrenamtliche Präsident des Bundesverbandes der Zeitungsverleger Mathias Döpfner, im Hauptberuf Boss des Springer-Konzerns, darüber enrsthaft strategisch sprechen wollen, dann würde aus der Juxerei über die Penner Ernst. Weil das Risiko für einen teuren und politisch gefährlichen Alptraum steigt.

Warum sollten Wilhelm und Döpfner das tun? Sie müssen ein Kriegsbeil zwischen den von ihnen repräsentierten Lobbyorganisationen begraben. Wie geht das? Durch einen gemeinsamen Feind. Doch was kommt dann unten raus?

Die öffentlich-rechtlichen Altmedien sehnen sich nach bürokratischer Ruhe. Die unzufriedenen Zuschauermassen kann sowieso keiner zufriedenstellen. Aber die Politiker*innen in Aufsichtsgremien, Bundes- und Landesregierungen. Und die “schlechte Presse” (von wem ist die? sehen Sie, alles ein Kreislauf!), die jeden Morgen via Pressespiegel zuoberst auf dem eigenen Schreibtisch liegt. “Strategie” des WDR: dem Druck nach Informationsprohibition seitens der Zeitungsverleger nachgeben und auf redaktionelle Leistungen im Internet komplett verzichten. Man könnte es auch Abmelden aus der Zukunft nennen. In der Gegenwart spart das Personalkosten und politischen Ärger.

Die Zeitungsverleger können nur noch wenige Jahre mit Millionengewinnen rechnen (in der Vergangenheit angehäufte Milliarden sind bereits im Familienvermögen, Stiftungen und Erbengemeinschaften gebunkert), und können das geringfügig ausdehnen, je besser es ihnen gelingt, offene Informationsflüsse in die Gesellschaft hinein zu verhindern. Denn nur was selten ist, ist wertvoll. Und sie wollen es ja teuer verkaufen. Je dümmer wir gehalten werden, umso besser für den Verlagsmilliardär. Dass die Verleger sich für diese Lobbyaufgabe den Boss von Springer ausgesucht haben, der bereits 70% seines Umsatzes digital erwirtschaftet, und ihnen damit eine lange Nase drehen kann – ja, für was spricht das? Jedenfalls nicht für strategischen Weitblick.

In deren Händen soll also ein digitales deutsches Netzwerk landen?
Roland Appel hatte schon angedeutet, was für ein “schöner Traum” ein datenschutzorientiertes öffentlich-rechtliches Netzwerk sein könnte. Beim Brüten der hier beschriebenen Akteure wird es aber nicht herauskommen.
Es müsste nicht nur Daten schützen.
Es sollte werbefrei sein.
Es sollte gesetzlich geregelt sein.
Es sollte offenen Zugang für Informationen bieten, und sie vermehren statt sie zu beschränken.
Ebenso Meinungen, selbstverständliich im Rahmen des Grundgesetzes und aller anderen Gesetze.
Es sollte sich an den Interessen der Nutzer*innen orientieren.
Es müsste international, mindestens europäisch, und dürfte also keinesfalls deutschnational-borniert sein.
Die Risiken der unvermeidlichen Entstehung eigenbetrieblicher und bürokratischer Interessen müssen gesetzlich (s.o.) eingedämmt werden.
In Unternehmensführung und Kontrollgremien muss die Repräsentanz von Beschäftigten und Nutzer*inne*n gesichert werden.
Die Organisation soll für Innovationen und Veränderungen offen bleiben und darf institutionell nicht davor abgeschottet werden.
Der Staat, seine Regierungen, seine Behörden, insbesondere seine “Sicherheits-“behörden sowie kapitalkräftige Lobbyapparate müssen draussenbleiben.

Sehen Sie: ganau das alles werden Wilhelm und Döpfner ganz gewiss nicht zur Welt bringen. Und Parteien und Politiker*innen, die nach ihrer Pfeife tanzen, auch nicht.
Der Traum eines öffentlich-rechtlichen Netzwerkes, das einer demokratischen Gesellschaft dienen würde, setzt voraus, dass sich gesellschaftliche Kräfte dafür einsetzen, dafür Macht organisieren. Die Medienbeschäftigten und die politische Intelligenz in der IT-Industrie müssen sich gewerkschaftlich organisieren. Die Gewerkschaften, ebenso wie Parteien und Verbände, müssen dabei helfen, ohne es zu dominieren, dass sich auch das Publikum, die Nutzer*innen und Konsument*inn*en organisieren. Ein demokratischer gesellschaftlicher Diskurs ist erforderlich, statt ihn vorbeugend wegzumänätschen. Nur dann könnte aus Rolands “Traum” was Nützliches entstehen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Martin Böttger

    Jo, es fällt mir nicht schwer, Dir da zu folgen.
    Es gibt nur ein Problem: der Kapitalismus. Seinen “Märkten” wohnt – in unterschiedlichem Mass – die Tendenz zur Vermachtung und Monopolisierung inne. Insbesondere dem, was manche heute “digitalen Plattformkapitalismus” nennen, also ungefähr das, über das wir hier reden. Du tust es am Schluss ja auch selbst: den “Gesetzgeber”, also das Parlament dazu auffordern, seine regulierende Arbeit zu machen.
    Und damit es, was bei heutiger Zusammensetzung zu befürchten ist (noch viel Schlimmeres ist beim europäischen Gesetzgeber nach der Wahl im nächsten Jahr zu befürchten), es nicht mehr falsch als richtig macht, ist ein breiterer gesellschaftlicher Diskurs über Nerdszenen hinaus bitter notwendig.

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