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Überholt

Von Günter Bannas
Eigentlich hatte Otto Schily, der vor 40 Jahren Gründungsmitglied der Grünen war, nicht Bundesinnenminister werden wollen. Außenminister wollte er werden. Also suchte er in den 1980er-Jahren – als Mitglied der Grünen-Fraktion – Kontakte zu Botschaftern in Bonn. Schily beherrschte die Usancen der Diplomatie. Interessierte Gesprächspartner gab es genug – zumal zu Zeiten des Streits über die Aufrüstung der Sowjetunion mit SS-20-Mittelstreckenraketen und die Nachrüstung der Nato mit amerikanischen Pershing-II-Raketen. Bei einem Treffen mit Richard Burt, dem amerikanischen Botschafter, wurde Schily gefragt, was die Grünen vom SDI-Programm des Präsidenten Reagan hielten, im Weltraum einen Abwehrschirm gegen sowjetische Interkontinentalraketen zu entwickeln. Dessen Antwort: „Besser Krieg im Himmel als auf Erden.“

Ende 1986, wenige Wochen vor der Bundestagswahl, war eine Delegation der Grünen in Moskau. Schily war mit dabei. Die sowjetischen Gastgeber hatten den Grünen ein Programm zusammengestellt, als wären sie schon Regierungspartei. Lukas Beckmann, damals einer ihrer Vorstandssprecher, erinnert, dass sie vier Stunden lang bei Eduard Schewardnadse waren, dem Außenminister der zweiten Supermacht. Schily fragte Schewardnadse, wie die Sowjetunion reagieren würde, wenn nach der Bundestagswahl eine rot-grüne Bundesregierung die atomaren Raketen abschaffen würde. Schewardnadse zeigte sich verblüfft. Er beriet sich mit seinen Fachleuten. „Die Sowjetunion wird gar nicht reagieren“, lautete seine Antwort. Nun war es Schily, der verblüfft war. Wie denn das? „Sie haben gar keine Atomraketen“, beschied Schewardnadse seinem Gesprächspartner. „Und die DDR hat auch keine Atomraketen.“

Schily, der sich als „Liberaler in den Grünen“ verstand, trat 1989 der SPD bei, weil ihm die Grünen zu „links“ waren. Auch Grünen-Mitbegründer des „fundamentalistischen“ Flügels (Jutta Ditfurth, Rainer Trampert) verließen die Partei. Ihnen waren die Grünen zu „bürgerlich“. Für Joschka Fischer war der Weg frei: 1998 wurde er Außenminister. Schily wurde Innenminister. Für Kanzler Schröder deckte er den rechten Flügel der Wählerschaft ab. Jahre später treffen sich zufällig zwei ehemalige Innenminister. Friedrich Zimmermann, CSU, ein „harter Hund“, wie es hieß, zu Otto Schily: „Sie haben mich ja wohl rechts überholt.“ Schily soll nicht widersprochen haben. Brüder im Geiste.

Günter Bannas ist Kolumnist des HAUPTSTADTBRIEFS. Bis März 2018 war er Leiter der Berliner Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus “DER HAUPTSTADTBRIEF AM SONNTAG in der Berliner Morgenpost”, mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion.

Über Guenter Bannas / Gastautor:

Günter Bannas ist Kolumnist des Hauptstadtbriefs. Bis März 2018 war er Leiter der Berliner Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seine Beiträge sind Übernahmen aus "Der Hauptstadtbrief", mit freundlicher Genehmigung.

Ein Kommentar

  1. Roland Appel

    Alles richtig, lieber Herr Bannas; nur der falsche CSU-Minnister: Günther Beckstein war es, der 2002 öffentlich zugegeben hat, dass ihn Otto Schily rechts überholt hat.

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