Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Gleichgeschaltet?

Vor wenigen Tagen beschwerte ich mich bei einem Rundfunkratsmitglied über die Tagesschau. Christiane Meier, die in ihrer Jugend bei Küppis ZAK und “Privatfernsehen” gelernt hat, und später sehr lange Hauptstadtberliner-Frondienste für das ARD-Morgenmagazin schob, hat sich vor einiger Zeit endlich einen der heissgeliebten New-York-Korrespondentinnen-Jobs des WDR gesichert. Es gibt noch Gerechtigkeit, dachte ich, und gönnte es ihr. Nun hatte sie der Tagesschau einen Bericht vom UN-Sicherheitsrat geliefert, zum Streit um die Syrienhilfe, der in der gesendeten Fassung (Video finde ich nicht mehr) zwar einen O-Ton der UN-Botschafterin der USA enthielt – aber keinen anderen. So kenne ich die Meier nicht, und meine persönliche Verschwörungstheorie ist, dass die Endfassung bei “ARD-aktuell” in Hamburg (NDR) zurechtgeschnitten wurde.
Egal, ob das stimmt, oder ob Meier das freiwillig gemacht hat, bleibt die Frage, welches Medium der Öffentlichkeit überhaupt noch erlaubt, die Aussenpolitik der Bundesregierung kritisch zu betrachten. Wohlgemerkt: es geht mir nicht um eine andere Meinung, sondern um die Abbildung mehrerer Meinungen. Die deutsche Berichterstattung über den deutschen Vorsitz im UN-Sicherheitsapparat liefert das nicht, sondern ist zur Propagandaabteilung des Auswärtigen Amtes degeneriert. Eines Aussenministeriums, das wahrlich in seiner Geschichte schon bessere Leistungen vollbracht, und dafür mehr kritisiert wurde, als unter seiner heutigen Leitung.
Es gibt Alternativen.
Thomas Pany/telepolis kommentiert kritisch, aber nicht einseitig.
Christoph Marischka/telepolis markiert die Leerstellen der deutschen Propaganda.
Politisch deuten sie auf Folgendes hin: Deutschland soll noch von dieser Regierung in eine nostalgisch anmutende Front des real gar nicht mehr existierenden “Westens” eingereiht werden, hauptsache, es geht gegen Russland und China. In diesem “Westen” ist sogar das Erdogan-Regime eingemeindet, was weiter westlich in Paris wenig amüsiert, und den diplomatischen Erfolg des deutsch-französischen Corona-Rettungspakets mit dem Arsch wieder einreisst (dieser Link verschwindet in Kürze in einem Paywall-Archiv).
Vermutlich wird davon geträumt, auch ich tue das, dass im November mit Joe Biden wieder ein “normaler” US-Präsident gewählt wird. Es mag ja sein, dass das einem wie dem Aussenminister das Denken vereinfacht. Den Komplikationen der heutigen realen Welt wird das gewiss nicht gerecht.
Auf die tradierten Medien als halluzinierte “Vierte Gewalt” ist jedenfalls kein Verlass. Beispiel Iran-Berichterstattung: was sich die Biden-nahe und im liberalen Europa gepriesene New York Times erlaubt (auch dieser Link wird in einigen Tagen in einem Paywall-Archiv verschwinden), ist von Geheimdienstpolitik weniger weit entfernt, als von seriösem Journalismus. Es ist schon eine Aktion von Notwehr, wenn die ökonomisch vor sich hin vegetierende Junge Welt Bulletins der chinesischen Regierung dokumentiert (an dieser Stelle bald nur hinter Paywall). Ich will wahrlich nicht unter so einem Regime leben, noch nicht mal unter einem der Jungen Welt. Aber ich möchte authentisch informiert werden, was die denken, sagen und machen – um mir ein eigenes Urteil bilden zu können.
Fabian Goldmann/uebermedien hat sich das Missvergnügen gemacht, die Diskursstrategie deutscher öffentlich-rechtlicher Talkshows auszuwerten: Themensetzung, Gästeauswahl. Es ist ein radikales Plädoyer für mein persönliches Verhalten: Trash, gar nicht erst ignorieren. Relevant ist es nur dafür, die Denkwelt der Veranstalter*innen zu enthüllen. Was es dabei zu sehen gibt, sieht nicht gut aus, erregt in seiner Weltabgewandtheit fast Mitleid.
Einen – von vielen – Grund sehe ich darin, dass von dem, was in der BRD einst als Journalismus gelehrt wurde, nicht mehr viel übrig ist. Die Strategie der privaten Konzern- und öffentlichen Sender-Arbeitgeber besteht seit 40 Jahren darin, Fachjournalismus auslaufen zu lassen (mit jeder*m Ruheständler*in gehts voran), und vollflexible und formbare “Human Ressources” heranzuziehen. Das schafft Menschen, die zu allem bereit sind, um einen geilen Job zu bekommen und behalten, aber fachlich von nix ‘ne Ahnung haben.
Thomas Knüwer hat diese Verzweiflung mal wieder für seinen Blog in die Tastatur gehämmert. “Shopify” – schon mal gehört? Warum nicht? In der seit Jahren wachsenden Krise des Einzelhandels gibt es kaum Wichtigeres. Immerhin: meine tägliche Quelle heise-online ergibt 34 Treffer. Sind also nicht alle gleich doof.
Wo soll das alles enden? Wie kann es weitergehen?
Einen Tropfen in diesen Aralsee giesst die Grüne Bundestagsfraktion mit ihrem Vorschlag zur Gemeinnützigkeit von nonprofit-Journalismus. Ähnliches verhungert schon im Bundesrat. Beim gegenwärtigen Tempo deutscher Medienpolitik kann das nur noch 50 Jahre dauern …

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Helmut Lorscheid

    Martin da erwartest Du zuviel dieser Windbeutel., dieses leere Hemd im Amt des Außenministers ist mit dem was man allgemein als Denken bezeichnet, deutlich überfordert. Der benimmt sich wie ein kleiner Zwergpinscher, der, wenn die großen Hunde schon müde sind, noch mal nachbeißen darf. Dieses blase, Mitleid erregende Kommunionkind, war schon als Justiz und Verbraucher-Minister deutlich überfordert. Bitte gebt ihm Geld, soviel wie man im Saarland so braucht für ein unauffälliges Leben und sucht jemand der das kann, Außenminister. Das ist eigentlich ein verantwortungsvoller Job, den aber seit Brandt und in Ansätzen auch Scheel und Genscher niemand mit eigenen Ideen mehr ausgefüllt hat. Diese Emporkömmlinge, diese Darsteller wie Kinkel, Westerwelle, Fischer, Gabriel haben doch selbst nichts beigetragen zur Freidenserhaltung oder gar Friedensschaffung in der Welt.

    • Martin Böttger

      Ich gebe Dir in den meisten Punkten recht. Nur die Tiervergleiche gefallen mir nicht. Aber was mich noch mehr entsetzt, als es ein schlechter Minister kann, ist, wenn 90-95% der real existierenden Medien daran nichts mehr auszusetzen haben.

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