Beueler-Extradienst

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Herrjeh, die SPD

Wenn Sie meinen, Sozialdemokratie sei irgendwas von gestern, dann können Sie ja woanders weiterlesen. Zwar hat die SPD Umfragewerte, die die Grünen früher gerne gehabt hätten. Aber sie sind in der Regierung und können Fakten schaffen.
Ich bin in meiner Jugend im sichersten SPD-Bundestagswahlkreis der West-BRD aufgewachsen. Peter Reuschenbach holte 69,2%. Ich hasste sie, diese Kanalarbeiter, Propagandisten von Kohle, Atom und Antikommunismus. Wenn auch nicht alles schlecht war: die Entspannungspolitik, oder die Vermeidung von Massenarbeitslosigkeit durch Frühverrentungen. Doch was damals noch gut war, ist heute leider weg. Oder?
Das fragte ich mich z.B. nach Lektüre dieses taz-Interviews mit SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Nun weiss ich selbst, dass ein Einzelner, selbst mit diesem hohen Amt, nicht wirklich für die ganze SPD sprechen kann. Die Partei war immer und ist eine Intrigenhölle. Keine*r gönnt der*dem andern “das Schwarze unter den Fingernägeln” (das gab es im Industriezeitalter unter Wählern der SPD). Genosse Mützenich hat sich zuletzt unter den Rüstungslobbyist*inn*en in seiner Partei viele Feind*inn*e*n gemacht. Johannes Kahrs zum Rücktritt gebracht zu haben, bleibt sein historisches Verdienst. Ich kenne viele, die das nie für möglich gehalten haben. Was er nun der taz sagte, steht mir persönlich näher, als das meiste, was ich zu den gleichen Themen von meiner Grünen-Parteiführung vernommen habe.
Was ist es in der Praxis wert? Wenn es nach Jürgen Wagner/telepolis geht: (leider) nichts. Wagners Zeichnung ist allerdings zu holzschnittartig. Eine Partei ist kein einheitlicher Körper, der lügt und betrügt. Sie ist – im besten Fall – von den gleichen Widersprüchen durchzogen, wie die Gesellschaft da draussen. Eine Partei ist dann am Ende, wenn das nicht mehr so ist. Meine Gegenthese ist, dass es wie immer in der SPD-Führung Macht- und Rangkämpfe gibt, selbstverständlich also auch Regierungs- und Kabinettsmitglieder, die dem Fraktionschef Grenzen setzen wollen. Das ist in begrenztem Rahmen legitim. Wenn es aber um milliardenschwere Verschwendung für Massenmordtechnologien geht: dann nicht.
Es gab auch “gute Zeiten”: Hans Schuierer 90
Heribert Prantl erinnert an und würdigt einen Sozi, der ein guter, weitblickender Mann war und ist. Er ist jetzt 90, und war der Mehrheit seiner bayrischen Landsleute intellektuell weit voraus. Ich besitze die Vinyl-Doppel-LP des WAAhnsinn-Konzerts am 26./27. 7. 1986 in Burglengenfeld, deren Plattencover das Zitat des seligen Helmut Ruge ziert: “Sie haben die Festung – wir haben das Fest.” Viele meiner Bonner Freund*inn*en haben daran teilgenommen. 100.000 Besucher*innen, 1.300 Freiwillige, 600 Journalist*inn*en aus 10 Ländern, 600 Musiker*innen. Ich war nur einmal im Leben dort. In Schwandorf nutzte ich einen halbstündigen Zwischenstopp eines D-Zuges nach Prag zum Proviantfassen im Ortszentrum – herrjeh, war das dunkel (es war Winter) und trotzdem übersichtlich. Das war der Sitz vom Schuiererhans, der das seinerzeit möglich gemacht hat, und nicht alle in seiner Parteiführung waren darüber amüsiert. Sterben solche Sozis aus?

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Helmut Lorscheid

    Ja Wackersdorf… Annette Hauschild und ich hatten einen geringen Anteil am Zustandekommen des Dokumentarfilms über dieses “Waahnsinnsfestival” Wir waren deshalb beide in Burg Lengenfeld dabei, vor und hinter der Bühne. Wir haben somit alle dort auftretenden Musiker kennen lernen können. Zu einigen wenigen hatte ich noch länger Kontakt. War schon toll, hat Spaß gemacht.
    Dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, den ich in der Köln-Ehrenfelder Kunstszene kennen gelernt habe, – nicht im Bundestag -habe ich vor paar Tagen zum Spitzenplatz auf der NRW-Landesliste zur Bundestagswahl gratuliert.
    Mützenich war der Ruhr-SPD immer zu links, der kam nicht mal auf Platz 30 – jetzt hat er Platz 1. Das mit Kahrs war schon klasse, seine Ablehnung beewaffneter Drohnen und sein “Nachdenken müssen” über die neuen Atomwaffenträger-Flugzeuge rechne ich ihm hoch an. Gäbe es nur Mützeniche in der SPD – würde ich dort wieder Mitglied. Aber so…

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