Beueler-Extradienst

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Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Arbeit

von Derya Gür-Seker und Jupp Legrand (Vorwort)/Otto Brenner Stiftung
Die digitale Transformation in den (sozialen) Medien
Vorwort

„It’s you against the machine“ titelte der Nachrichtendienst Bloomberg, der briti­sche Guardian schrieb „Welcome to dystopia“. In beiden Berichten ging es um einen Paketlieferanten des Amazon Subunternehmens Flex, der durch eine automatisierte Email über seine Kündigung informiert wurde. Der Algorithmus, der sein Arbeits­tempo kontrollierte, hatte berechnet, dass er seinen Aufgaben nicht produktiv ge­nug nachgehe, und automatisiert entschieden, den Fahrer zu entlassen. Bekannt wurden auch Planungen von Amazon, Lieferfahrzeuge mit selbstlernenden Kameras auszustatten, die Paketlieferant*innen ununterbrochen filmen, um Fehlverhalten zu überwachen. In den Logistikzentren des Unternehmens wird die Produktivität der Mitarbeitenden beim Sortieren, Verpacken und Bewegen gemessen. Studien bestätigen, dass eine permanente Überwachung zusätzlich Stress für die Arbeitnehmer*innen produziert und dieser signifikant häufig zu Arbeitsunfällen führt.

Diese Arbeitsbedingungen bei Amazon rufen dystopische Vorstellungen einer totalen Kontrollgesellschaft hervor und scheinen die starken Vorbehalte und Ver­unsicherungen, die mit Blick auf den Einsatz von KI­-Systemen in der Arbeitswelt bestehen, zu bestätigen. Sicher ist, dass der rasante Fortschritt in der Entwicklung von KI­-Anwendungen zu einem grundlegenden Strukturwandel der Arbeitswelt führt und dass diese Transformation nicht rückgängig gemacht werden kann. Aber die Potentiale von KI-­Systemen sollten nicht auf das unternehmerische Interesse an Effizienzsteigerung, Prozessoptimierung und Profitmaximierung reduziert werden. Mit der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung sind auch Möglichkeiten für eine Demokratisierung und Verbesserung von Arbeitsbedingungen verbunden: Roboter, die schwere und gesundheitsgefährdende Arbeiten übernehmen, die Ent­lastung von Arbeitnehmer*innen und die Entstehung neuer Arbeitsfelder, die ein selbstbestimmteres Arbeiten ermöglichen. Auch dies sind Versprechen, die mit dem digitalen Wandel einhergehen.
Wir freuen uns, mit Derya Gür­-Seker von der Universität Duisburg/­Essen eine profilierte Diskursforscherin für unsere Studie gewonnen zu haben. Mit ihrer Unter­suchung schließt sie an unsere Studie zur Zukunft der Arbeit als öffentliches Thema an. Hatten sich unsere Autoren 2017 noch auf eine Analyse von Printmedien konzentriert, setzt die Studie von Derya Gür­Seker nun einen Schwerpunkt auf die Online­Kommunikation. Mit ihrem Team und den Werkzeugen der linguistischen Diskursanalyse hat sie Online­-Zeitungsartikel, Kommentare, die unter diesen Artikeln gepostet wurden, und Diskussionen auf den Social-­Media­-Plattformen untersucht. Die Frage, wie über KI und die Zukunft der Arbeit berichtet und diskutiert wird, stand im Mittelpunkt. Der Untersuchungszeitraum umfasst die Jahre 2018 – 2020: ein wichtiges Zeitfenster, in dem mit der Initiierung der nationalen KI-Strategie der Bundesregierung (November 2018) und der Veröffentlichung eines Impulspapiers zu KI in der Arbeitswelt durch den DGB (Januar 2019) entscheidende Eckpunkte für den deutschsprachigen KI-­Diskurs gesetzt wurden.

Eine Besonderheit unserer Studie ist, dass die Analyse nicht nur wiederkehren­de sprachliche Muster, sondern auch Bilder umfasst, die den Diskurs über KI und die Zukunft der Arbeit prägen. Dabei kommt die Autorin zu dem Schluss, dass derzeit noch ein sehr einseitiges Bild von Künstlicher Intelligenz vorherrscht: Werden KI­-Systeme bebildert, dann dominieren Bilder aus der Digital­ und Bildungsbranche sowie Darstellungen von menschenähnlichen Robotern. Selten finden sich hingegen Bilder von Arbeitnehmer*innen, die körperlich schwere Tätigkeiten verrichten oder im Kontext der Arbeit mit KI­-Systemen gezeigt werden. Zurecht weist die Autorin daraufhin, dass diese Darstellungen zu einer unterkomplexen Vermittlung darüber führt, wie KI-­Systeme schon heute unseren Lebens­ und Arbeitsalltag prägen. Ins­gesamt zeigt die Auswertung der Kommunikation unter den Zeitungsartikeln und auf den Social­-Media­-Plattformen, dass die Thematisierung von KI derzeit noch vergleichsweise überschaubare Reaktionen hervorruft. Dies mag auch damit zu­sammenhängen, dass sich eine voraussetzungsvolle Kommunikation feststellen lässt: Der Diskurs ist geprägt durch viele Fachbegriffe und Anglizismen, die selten kontextualisiert oder erklärt werden. Hinzukommt ein an Metaphern reicher Sprachgebrauch, der den Wandel in der Arbeitswelt häufig als ,Revolution‘ oder ,Welle‘ beschreibt und hierdurch entkonkretisiert. Dass hinter der Transformation konkrete Interessen, Institutionen und Personen stehen, die Entscheidungen treffen, die auch anders hätten ausfallen können, kommt zu kurz.

Wir wollen mit der Studie von Derya Gür­-Seker über die Bedeutung von KI für das zukünftige Arbeiten informieren und sensibilisieren: Denn das Beispiel Amazon zeigt, dass die vermeintliche Zukunft schon längst Realität ist. Und um diese Gegenwart für die Arbeitenden zu gestalten, ist eine kritische Öffentlichkeit unabdingbar, die keinen abstrakten Fortschrittsoptimismus oder -­pessimismus verbreitet, son­dern in der Lage ist, konkrete Chancen zu sehen und auch Probleme zu benennen.

1 Einleitung
Künstliche Intelligenz (KI) betrifft bereits heute und in naher Zukunft nahezu alle Lebensbe­reiche des Menschen (vgl. OECD 2018; Witt­phal 2019). KI begegnet uns bei der Nutzung digitaler Sprachassistenten als Anwendung am Smartphone oder beim Abruf von Beraterbots im Internet, die Antworten auf Fragen auto­matisiert liefern und den Suchvorgang oder die Beratung übernehmen. Es gibt aber auch KI­-basierte Systeme, die weniger offensichtlich im Hintergrund Entscheidungen für uns treffen und Empfehlungen aussprechen (z. B. Film­ oder Musiktipps auf Streamingdiensten, Newsfeeds auf Social Media).
Was ist Künstliche Intelligenz?
Die Bezeichnung ‚Künstliche Intelligenz‘ (engl. ‚Artificial Intelligence‘) wurde vom US-­amerika­nischen Informatiker John McCarthy geprägt, der 1956 das ‚Summer Research Project on Artificial Intelligence‘ am Dartmouth College (New Hampshire) organisierte, welches auch als Beginn bzw. „Geburtsstunde“ der KI gilt (Buxmann/Schmidt 2019: 3). Wenn man der Frage nachgeht, was KI ist, dann findet sich eine Vielzahl von Definitionen. Verwunderlich ist dies nicht, da allein das Verständnis von ‚Intelligenz‘ vielfältig und Gegenstand unzähli­ger Abhandlungen ist (vgl. Ertel 2016; Wittphal 2019). Nach Apt/Priesack (2019: 222) habe KI das Ziel, „die Wahrnehmungen und das Han­deln des Menschen durch Maschinen nachzubilden und somit menschenähnliche Intelligenz zu schaffen“. Die Problematik des Verständnisses von ,Intelligenz‘ führt zur Definition der Informatikerin Elaine Rich, die im Jahre 1983 formulierte: „Artificial Intelligence is the study of how to make computers do things at which, at the moment, people are better“ (Rich 1983, zitiert nach Ertel 2016). Ertel (ebd.) verdeut­licht, dass Richs Definition auch im Jahr 2050 gelten werde, weil diese allgemein formuliert sei. „Do things“ betont dabei den Aspekt des Lernens, die Lernfähigkeit oder das maschinel­le Lernen, welches ein zentrales Kerngebiet der KI ist (vgl. Ertel 2016).
Was denken Bürger*innen über KI?
Eine repräsentative Bitkom-­Umfrage1 aus dem Zeitraum 2017­-2020 ergibt, dass sowohl das Wissen über KI zugenommen hat als auch die Anwendung von KI im Alltag angekommen ist (vgl. Bitkom 2020). Ca. zwei Drittel der Befragten (68 %) sehen KI heute als Chance, wohingegen 29 % KI als Gefahr einschätzen (vgl. Bitkom 2020). Im Jahr 2017 war das Meinungsbild noch ausgewogen, so lagen bei­de Anteile bei ca. 50 % (vgl. Bitkom 2020). Wichtig ist den Bürger*innen dabei jedoch im­mer die Sicherheit von KI­-Anwendungen (vgl. Bitkom 2020: 5). Insbesondere im Arbeitsalltag halten die Befragten (44 %) KI für eine Gefahr – Lebens­ und Arbeitswelt werden diesbezüglich also sehr unterschiedlich bewertet (vgl. Bitkom 2020). Besonders groß ist dabei die Angst vor Kontrolle am Arbeitsplatz (73 %) und dem Abbau von Arbeitsplätzen durch KI (65 %). Auch eine repräsentative Umfrage des BMBF (2017) zeigt eine kritische Haltung der Bevölkerung in Bezug auf Digitalisierung, Robotik und KI in der Arbeitswelt. So erwarten von 1.004 Teil­nehmer*innen drei Viertel eine starke Verän­derung in der Arbeitswelt – 42 % davon negative Veränderungen und lediglich 33 % positive (Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren sehen dies im Vergleich grundsätzlich optimistischer; vgl. BMBF 2017). Als größte Angst der Bür­ger*innen stellt sich auch in dieser Umfrage der Verlust von Arbeitsplätzen heraus: So glau­ben hier fast 60 % der Befragten, dass durch die Veränderungen Arbeitsplätze verloren gehen (vgl. BMBF 2017).
Wie wird über KI und die Zukunft der Arbeit berichtet und diskutiert?
Grundsätzlich zeigen die Ergebnisse der Um­fragen eine Tendenz hin zu mehr Offenheit der Bürger*innen gegenüber KI­Anwendungen und ein wachsendes Interesse an automatisierten Technologien im Alltag (vgl. Bitkom 2020; Bosch 2020). Allerdings bleibt eine gewisse Skepsis gegenüber den Auswirkungen von KI auf die Arbeitswelt. Doch wodurch zeichnen sich die mediale Berichterstattung und der öf­fentliche Diskurs über KI und die Zukunft der Arbeit aus? Wie wird darüber berichtet und im Netz ‚gesprochen‘? Um diese Fragen zu beant­worten, führt die vorliegende Studie eine linguistische Medienanalyse mit Fokus auf (Online­)Zeitungen und Social­ Media-­Plattformen durch, die auch Userkommentare erschließt und auswertet. Ziel ist es, konkrete Einblicke in die Medien­ und Diskurswelt zu geben und aufzuzeigen, wie Einstellungen und Vorstellungen über KI und die Zukunft der Arbeit öf­fentlich geprägt und geformt werden.
2. Zusammenfassung der Ergebnisse
Anhand einer vielschichtigen Datensamm­lung, die insgesamt 14 (Online­)Zeitungen, ausgewählte Userkommentare unterhalb von Online­-Artikeln sowie vier verschiedene Social­ Media-­Plattformen umfasst, wurde der Diskurs über KI und die Zukunft der Arbeit im Zeitraum 2018 bis 2020 sprachlich und bildlich untersucht.
Kulturelle Praktiken prägen Vorstellungen von KI und der Zukunft der Arbeit
Sowohl auf Ebene der Sprache als auch der Bilder, kann die vorliegende Studie wieder­kehrende sprachliche und visuelle Muster ausmachen, die kulturelle Praktiken im Kon­text von Künstlicher Intelligenz und Zukunft der Arbeit widerspiegeln und somit Vorstellungen über Arbeit im Zeitalter der Digitalisie­rung prägen. Die Analyse legt im Allgemeinen dar, dass über Künstliche Intelligenz (KI) und die Zukunft der Arbeit nicht nur berichtet, sondern auch kontrovers und zukunftsweisend diskutiert wird.
Starke Polarisierung: Gefahren und Chancen, Pessimisten und Optimisten
Das Thema KI und die Zukunft der Arbeit zeichnet sich insgesamt durch eine starke Polarisie­rung aus: Berichtet und diskutiert wird über Probleme, Ängste und Chancen, über Pessimisten und Optimisten. Die Polarisierung zeigt sich zugleich in negativen und positiven Kontexten wie wegfallende und neue Arbeitsplät­ze (Jobkiller vs. Jobmotor). So stehen sich auf der einen Seite dystopische Vorstellungen, wie Angst vor Arbeitslosigkeit und dem Verlust der Menschlichkeit, und auf der anderen Seite die Hoffnung auf neue Berufsfelder oder Lebens­konzepte und die Chance auf Entlastung durch Einsatz von KI am Arbeitsplatz gegenüber. Diese Polarisierung wird durch Metaphern und Argumentationsmuster verstärkt, die den öffentlichen Sprachgebrauch wiederkehrend durchziehen. Es finden sich Revolutions­- oder Wasser-­Metaphern, die KI als solche metaphorisieren (z. B. KI-Revolution, Automatisierungswelle). Gleichzeitig legitimieren verschiedene Argumentationsmuster (politische) Handlun­gen/Maßnahmen (z. B. das Strukturwandel-Topos, das die Notwendigkeit der Aus-­ und Weiterqualifizierung deutlich macht).
Im Fokus: Unternehmen, Wirtschaft und Genderfragen
Akteur*innen, über die im Gesamtdiskurs medienübergreifend häufig berichtet wird und die damit sichtbar werden, sind insbesondere Unternehmen, die Wirtschaft und Frauen. Thematisiert werden aber auch Wissenschaft und Forschung sowie gewerkschaftliche oder politische Akteur*innen. Interessant ist, dass Genderfragen insbesondere auf Social Media in den Vordergrund rücken. Im Genderdiskurs geht es darum, dass Frauen in der KI-­Branche unterpräsentiert seien oder KI-­Anwendungen Frauen benachteiligen (könnten).
Social Media: kreative Vorstellungen über neue Arbeit
Im Vergleich zum Zeitungsdiskurs ist der Social­ Media­-Diskurs nicht nur hinsichtlich des Bild­diskurses, sondern sowohl mit Blick auf die Diskursakteur*innen (z. B. Digitalexpert*in­nen, die über neue Arbeitsformen posten) als auch auf die höhere Anzahl von Anglizismen und neuen Wörtern vielseitiger. Deutlich werden Meinungen, aber auch Erfahrungen von User*innen. Die User*innen rücken insbeson­dere Themen wie die Sicherheit von Arbeits­plätzen unter der Angst in den Vordergrund, dass KI den Menschen ersetzen könnte. Dem­gegenüber steht die Hoffnung und Chance auf neue Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen, die die Technologie mit sich bringt. Insgesamt werden weitgreifende politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Themen angesprochen (z. B. ethische Fragen, Vorschläge für ein Grundeinkommen).
KI als menschenähnliche Roboter oder Spielzeugroboter
Wenn KI­-Systeme in Online­-Artikeln und auf Instagram abgebildet werden, dann vorwie­gend als humanoide, also menschenähnliche Roboter. Auf Instagram dominieren hauptsächlich Bilder von Spielzeugrobotern und Zeichnungen zur Visualisierung dieser. In das kulturelle Gedächtnis gehen somit humanoide Roboter ein, die vermenschlicht werden. Das Abbilden von Spielzeugrobotern und Zeichnun­gen knüpft hieran an und macht KI bzw. Robo­ter spielerisch nahbarer.
Kommunikation leichter und transparenter gestalten
Die Studie zeigt, dass sich der Gesamtdiskurs durch zahlreiche Anglizismen und neue Wörter auszeichnet, die verwendet werden, und somit Wissen beispielsweise in Bezug auf Digitalisierung oder Arbeitsstrukturen voraussetzen. Dieser Umstand sollte in der Kommunikation über KI im Kontext von Arbeit reflektiert werden, um relevante Zielgruppen erreichen zu können. Zu­gleich sollte der Social-­Media­-Einsatz immer auch die jeweilige Zielgruppe reflektieren (siehe hierzu Statista 2020a, b). Fest steht, dass (politische) Information und Nachrichten auf Social­-Media­-Plattformen wie Instagram zusehends an Bedeutung gewinnen (vgl. Kümpel/Rieger 2020). Hier setzt die Studie ebenso an, um Handlungsempfehlungen für Medien­ und Dialogarbeit abzuleiten.

6. Fazit und Anregungen

„Es kommt nicht darauf an, die Zukunft vorauszusagen, sondern darauf, auf die Zukunft vorbereitet zu sein.“ Perikles (athenischer Staatsmann)
Insgesamt hat die Analyse dezidiert kulturel­le Praktiken und Mentalitäten im Diskurs über Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Arbeit herausgearbeitet. So konnte aufgezeigt werden, dass sowohl der (Online­)-Zeitungsdis­kurs als auch der Social-­Media-­Diskurs durch wiederkehrende Sprach-­, Denk- und Bildmuster geprägt werden. Zudem verdeutlicht die Analyse, dass KI in der Arbeitswelt gegenwärtig und in Zukunft von Bedeutung ist und sein wird und spezifische Folgen sowie (politische) Handlungen und Maßnahmen bedingt. Es kristallisieren sich konträre Positionen heraus, die KI als Gefahr oder als Chance darstellen. Der Diskurs wird somit von einer grundlegenden Dichotomie beherrscht. Im Kontext von Arbeits­plätzen zeigt sich diese Dichotomie darin, dass KI zum Wegfall von Arbeitsplätzen führe oder durch KI neue Arbeitsplätze geschaffen wür­den (KI als Jobkiller vs. KI als Jobmotor). Rela­tiviert wird dieser Kontrast durch das Qualifikations-­Topos, das sich auf die Notwendigkeit der (Weiter-­)Bildung bezieht. Einigkeit besteht darüber, dass KI für einen Wandel sorgt (Struk­turwandel­-Topos, Revolutions-­Metapher). Zugleich veranschaulicht die Studie, dass die Debatte um Geschlechtergerechtigkeit ein bedeutender Teil des untersuchten Diskurses ist (Geschlechter­-Topos). Diskursiv wird darge­legt, dass Frauen auf verschiedenen Ebenen ausgeschlossen werden, da sie in der KI-­Branche unterrepräsentiert sind, oder aber auch eher diskriminiert werden (z. B. automatisierte Bewerbungsverfahren). Relevant könnte für die Kommunikation über KI und Arbeit durchaus sein, dass die Genderfrage ein enormes Kon­fliktpotenzial innehat, das sich in abwertenden Kommentaren auf Social Media widerspiegelt. Besonders unter den User*innen stellt sich zum Teil eine wenig aufgeklärte Haltung gegen­über der nachgewiesenen Unterrepräsentiertheit von Frauen in der IT­-/KI­-Branche heraus. Gleichzeitig werden im öffentlichen Diskurs nicht alle von der Digitalisierung und Automatisierung betroffenen Berufs­ und Zielgruppen sichtbar (beispielsweise Facharbeiter*innen, Produktionshelfer*innen, Schüler*innen, Stu­dent*innen).
Sieben Bereiche der Dialog- und Aufklärungsarbeit
Auf Basis der durchgeführten Sprach­ und Bild­analysen können sieben Bereiche der Dialog- und Aufklärungsarbeit ausgemacht werden. Diese setzt an bei der Sprach­ und Bildwahl, der zielgruppenspezifischen Nutzung von So­cial Media und berücksichtigt Gender­- und Diskriminierungsfragen.
A – Bewusster Umgang mit Sprache und Wörtern
Ein bedachter Umgang mit Sprache und insbe­sondere der Wahl von Wörtern kann dazu betragen, bestehende Vorbehalte und Verständnisbarrieren abzubauen.
– Die Folgen der Digitalisierung sollten nicht über Metaphern, die sich beispielsweise der Wasser­-, Revolutions-­, Sklaverei-­ oder Kriegs­-Metaphorik bedienen, versprach­licht werden, sondern idealerweise konkret benannt werden (z. B. „Folgen von KI“ statt „KI­-Revolution“).
– Alternativbezeichnungen abstrakter Art, die die Folgen verschleiern bzw. beschönigen, sollten vermieden werden (z. B. Automatisierungsverlust). Die Folgen müssen von allen Akteur*innen, die öffentlich handeln, erklärt und auch konkret benannt werden (z. B. Arbeitslosigkeit als Folge, Weiterbildung als Maßnahme).
– Technologisch­wirtschaftlicher Sprachgebrauch und Anglizismen sollten im gleichen Atemzug/Kontext definiert oder beschrie­ben werden mittels: ‚das bedeutet‘, ‚das heißt‘ usw. („New Work bedeutet X“).
B – Vielfältigere Bilder über KI und Arbeitnehmerschaft
– Auch Berufsfelder außerhalb der Digital­- oder Bildungsbranche, die ebenfalls von KI und Automatisierung betroffen sind, sollten sichtbar gemacht werden. Hierfür ist eine bewusste Bildauswahl mit Blick auf den Darstellungsinhalt und nicht auf die bloße ästhetische Wirkung erforderlich. Im untersuchten Bildmaterial finden sich selten Bilder von Arbeitnehmer*innen, die körperlich schwere Tätigkeiten verrichten oder im Kontext von Arbeit mit Fließbandmaschinen bzw. KI-­Systemen gezeigt werden. Zugleich werden insbesondere Frauen im Vergleich zu Männern seltener abgebildet. Eine Reflexion und die Sensibilisierung über die Vielfalt der Arbeitnehmerschaft ist bei der Bildauswahl im Kontext von KI und Automatisierung in Unternehmen von zentraler Bedeutung.
– KI-­Vielfalt visualisieren: KI wird im öffentlichen Diskurs mit (humanoiden) Robotern gleichgesetzt. Dies vermittelt den Eindruck, dass KI vorwiegend als Roboter realisiert wird. Dass aber weitaus mehr dahinter­ steckt (z. B. KI­-basierte Sprachassistenten, KI­-Software in der Medizin), kann so nicht vermittelt werden.
– Reale KI-­Systeme in Arbeitskontexten ab­bilden: KI-­Systeme werden im öffentlichen Diskurs (insbesondere auf Social Media) meist abstrakt dargestellt (z. B. durch Spiel­zeugroboter, Zeichnungen). Die Visualisierung von realen KI-­Systemen, die bereits im Alltag oder in der Industrie genutzt werden, kann helfen, Vorbehalte abzubauen und konkrete Vorstellungen über den Einsatz von KI in der Gesellschaft aufzubauen.
C – Zielgruppenspezifische Nutzung von Social Media
– Das Thema ‚Künstliche Intelligenz und die Arbeit der Zukunft‘ ist ein Spezialdiskurs mit vielen Fachbegriffen und Anglizismen und ruft vergleichsweise überschaubare Reaktionen hervor. Daher ist es notwendig, das Thema zielgruppenspezifisch – orien­tiert an der auf der jeweiligen Social-­Media­-Plattform vertretenen Zielgruppe – anzupassen und entsprechend zu gestalten.
D – KI transparent machen
– Die Studienergebnisse machen deutlich, dass Akteur*innen, die über KI in der Arbeitswelt informieren wollen, generell das Thema KI transparent machen müssen. Vermittelt werden sollte, dass KI einen Wandel in der Arbeitswelt vollzieht, aber Unternehmen und Arbeitnehmer*innen sich anpassen und sich aktiv dem Thema annehmen müssen. Hierfür gibt es mittlerweile zahlreiche kostenlose deutschsprachige Online-­Kurse wie ‚Elements of AI‘, die Grundlagen der Künstlichen Intelligenz vermitteln.
E – KI in Schule und Hochschule vermitteln
– Aufklärungsarbeit über die Zukunft der Arbeit und Künstliche Intelligenz muss vor der Berufs­ oder Studienwahl ansetzen, da in den Schulen und Lehrplänen die Weichen für die Digitalisierungsaffinität der Schüler*innen gelegt werden. Dies kann beispielsweise in Form von Unterrichtsein­heiten zum Thema Künstliche Intelligenz im Mathe-­, Deutsch-­ und vor allem auch Religions-­ bzw. Ethikunterricht realisiert werden.
– Wenn KI­-Inhalte in die Schule getragen werden sollen, muss die Ausbildung der Lehrkräfte bereits im Studium Kenntnisse über KI implementieren oder im Rahmen entsprechender Fortbildungsmaßnahmen verankert werden. Beispielsweise gibt es für den Schulunterricht den kostenlosen Online-­Kurs ‚Schule macht KI‘, der sich an Lehramtsstudierende und Lehrkräfte rich­tet.
F – Neue Vorstellungen von Arbeit annehmen und reflektieren
– Führungskräfte müssen dafür sensibilisiert werden, dass Vorstellungen von Arbeit sich wandeln und hier aktuelle Bedürfnisse der Arbeitnehmer*innen reflektiert werden sollten. So zeigen die Postings und User­kommentare Werte­Diskurse, die mit Arbeits- und Berufsfeldern assoziiert werden. Neue Arbeitsformen werden reflektiert und in Relation zu eigenen, individuellen Vorstellungen von „guter“ Arbeit gestellt, die ne­ben Sinnhaftigkeit vor allem eine Balance zwischen Arbeit und Privatem berücksichti­gen. Letzteres betrifft insbesondere Fragen des Arbeits-­ und Gesundheitsschutzes, die Rahmenbedingungen in Betrieben und Un­ternehmen festlegen, Grenzen des mobilen Arbeitens beispielsweise auch in Bezug auf Erreichbarkeitszeiten aufzeigen und damit den ausgemachten Risiken und Nachteilen des mobilen, orts­- und zeitunabhängigen Arbeitens gezielt entgegenwirken müssen (vgl. Ahlers/Mierich/Zucco 2021).
G – Gender und Diskriminierung
Die unter Rückgriff aller Dateneinheiten sichtbar werdende Debatte um Frauen in der Digital-­ und KI­-Branche zeigt verschiedene Felder: 1) Der Diskurs über zu wenige weibliche Fachkräfte in der KI­-Branche, 2) der Diskurs über geschlechtsspezifische Diskriminierung durch KI­-Systeme, 3) das gezielte Werben um Frauen, die sich bewusst für Studiengänge wie Informatik oder KI­-Forschung entscheiden.
– Frauen im Speziellen sollten ermutigt wer­den, Digitalberufe der Zukunft – unabhängig jeglicher Klischeevorstellungen – anzunehmen. Jungen Frauen, wie z. B. Schülerinnen oder Studentinnen, sollte bewusst gemacht werden, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um sich in der Arbeitswelt mit IT­-/KI­-Themen zu positionieren – nach dem Motto: „Spart euch spätere Weiterbildungen. Nehmt den direkten Weg in die IT-­ und KI­-Branche“.
Dass Diskriminierung durch KI eine bekannte Problematik ist, die Frauen und People of Colour betreffen kann, sind ethische Fragen. Die­se Beispiele verdeutlichen eindrücklich, dass Werte und Regeln im Kontext des KI­-Einsatzes von zentraler Bedeutung sind. Abschließend kann betont werden: „Wenn wir in unseren Möglichkeiten immer weniger eingeschränkt sind, werden unsere Werte unvermeidlich so wichtig wie nie zuvor“ (Brynjolfsson/Mcafee 2015: 309; Hervorhebung im Original)
Dieser Beitrag ist eine Übernahme mehrerer Kapitel der Studie “Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Arbeit – Die digitale Transformation in den (sozialen) Medien” von Derya Gür-Seker im Auftrag der Otto Brenner Stiftung. Den vollen Wortlaut mit Schaubildern, Quellen, Literaturverzeichnis etc. finden Sie hier.

Über Gastautor:innen (*):

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Ein Kommentar

  1. Peter Kramer

    Der Begriff ‚Künstliche Intelligenz‘ umfasst einen Technologiebereich, der meiner Meinung nach zwingend transparenter, öffentlicher Debatte und Kontrolle bedarf.
    Das sehe ich nicht, darum bin ich auch wesentlich skeptischer als die Autorin der Studie.
    Natürlich liegen auch ungeheure Chancen in dieser Technologie, aber ob diese genutzt werden hängt entscheidend von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab und die sind schlecht.
    Zur Zeit sind multinationale Konzerne und autokratische Regierungen bei Entwicklung und Nutzung von KI am Drücker und nicht der Chaos Computer Club. Ein kleiner Lichtblick sind Gewerkschaften wie “Alphabet Workers Union” bei Google,
    weil sich diese auch mit den Inhalten ihrer Tätigkeit auseinander setzen. So haben sie in der Vergangenheit unter anderem erfolgreich gegen Verträge mit dem US-Militär protestiert.
    Das ist aber nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Wir hatten 1987 eine Riesenbewegung gegen die “Volkszählung”, was im Vergleich zum Herrschaftspotential von KI geradezu Spielzeug war.
    Also, bis wir eine öffentlich-rechtlich organisierte KI haben heißt es: Besser den Stöpsel ziehen wo immer es geht.

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