Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Machtspiele

Grosse und kleine
Zu ihren Gunsten hoffe ich, dass die kommende Bundesaussenministerin das ideologisierte Geschwätz von “wertebasierter Aussenpolitik” nicht selbst glaubt. Wenn doch, stehen ihr noch viele Bauchlandungen bevor. Und in Geschichte hat sie dann offensichtlich nie gut aufgepasst. Ich weiss auch nicht, ob sie sich noch weiterbilden will. Wenn ja, wird sie noch entdecken, dass Aussenpolitik auf der ganzen Welt interessengeleitet ist.
Für eine Frau mit ihrem Staatsamt setzt das voraus zu definieren, für welche und wessen Interessen sie sich einsetzen will, welche Interessen sie dagegen lieber bekämpft, und – was in ihrem Job den grössten Raum einnehmen müsste – zwischen welchen Interessen sie vermitteln will. Keine notwendige Bedingung, aber demokratisch von Vorteil, wäre es, wenn sie die Öffentlichkeit wissen lässt, zu welchen Ergebnissen solche politischen Definitionsbemühungen bei ihr führen. In ihrem Job ist es zweifellos oftmals leider angebracht, das nicht allzu öffentlich werden zu lassen. Bei mir persönlich führt dieser diplomatische Zwang freilich zu einem Vertrauensverlust ihr gegenüber, weil ich einige ihrer schlechten Berater*innen allzu gut kenne. Das wird sie zweifellos verschmerzen können.
Sollte sie sich – ein Anschein, den sie bereits erweckt hat – als bekennende Atlantikerin, Aufrüsterin und Förderin von Rüstungsexport entpuppen, wird sie eine Mehrheit der Wahlbevölkerung dafür nicht gewinnen können. Daran will ich den verbleibenden Rest meines Lebens mitarbeiten.
Ein – wie Sie wollen: gutes oder schlechtes – Beispiel für den von mir behaupteten Sachverhalt sind diese Meldungen über Russland und Indien, die Jörg Kronauer/Junge Welt verbreitet. Zwei wenig sympathische Staatsführungen tun sich zweckorientiert zusammen, ohne sich über den Weg zu trauen. Sie tun es nicht aus Neigung, sondern weil die Interessen der herrschenden Klassen ihrer Länder sie dazu veranlassen. Ob uns das “wertegeleitet” nun gut oder schlecht gefällt, hat nicht die geringste Bedeutung.
Wichtig für Sie und mich und den Rest der Welt ist in erster Linie, dass aus alldem am Ende keine Kriege entstehen. Denn wenn das passieren würde, ginge es mit uns noch schneller zuende, als mit der Klimakatastrophe. Um die zu bekämpfen, benötigen wir, auch Frau Baerbock, die Kooperation solcher wenig sympathischer Staatsführungen. Das sollte sie uns erklären, wie sie das hinbekommen will: hier kämen mal Werte (Ökologie) und Interessen (Überleben) zusammen.
Die kleinen Kriege
Die finden im Alltag im öffentlichen Raum statt. Auch dabei gibt es Tote, nicht wenige, mit einem steigenden Anteil an Radfahrer*inne*n. Gunda Wienke, sachkundige Einwohnerin für Die Linke im Kölner Stadtrat, versuchts bei telepolis mit guten Argumenten für das Radfahren. Ich stimme ihr in allen Punkten zu. Zur Wirklichkeit gehört leider, dass viele Umsteiger*innen vom Auto aufs Rad, und das sind erfreulich viele, ihr Fahrverhalten kaum ändern – deutsche Autobahnen als Schule der Nation. Rechthaberei geht auch ohne Blech drumrum – fahren Sie über die Kennedybrücke, da haben sie in 5 Minuten all das gesehen (oder sonntags am Rheinufer). Es ist nicht nur das Fahrzeug, das das Denken prägt, sondern es ist die Gesellschaft, die Konkurrenz und Vorteilssuche zulasten von Empathie und Solidarität belohnt und prägt. It’s the economy, stupid!

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

4 Kommentare

  1. Helmut Lorscheid

    ich fürchte, unsere neue Bundesministerin des Auswärtigen ist wirklich strunzdumm. Aber außerordentlich von sich überzeugt und arrogant. Alles was ich bisher von ihr gehört oder gelesen habe, bestätigt diesen Eindruck.

  2. Stefan Overkamp

    https://mobile.twitter.com/MartinSonneborn/status/1466743645260992512
    Martin Sonneborn hat es mal wieder auf den Punkt gebracht.

  3. Annette Hauschild

    Wertegeleitete Außenpolitik hätten wir uns in der Tat von der sozialliberalen Bundesregierung in den 70er und 80er Jahren gewünscht, als es um Apartheid-Südafrika ging. Die Anti-Apartheid-Bewegung, die Kirchen, Gewerkschaften und die Solidaritätsgruppen zu Südafrika haben damals vergeblich unsere Bundesregierung und die deutschen Firmen zu einem Boykott dieses Landes gedrängt, vergeblich, weil die Regierung das Argument “Wandel durch Handel” vorschob.
    Die US-Amerikaner und die Briten waren mit ihren Boykottbemühungen viel erfolgreicher. Dort haben auf Druck der Pensionsfondsmitglieder schwerreiche Pensionsfonds ihre Gelder aus Südafrika abgezogen. Man sieht, es geht also durchaus, Werte in die Außenpolitik mit einfließen zu lassen. Die UNO proklamiert auch Werte, die ihre Mitgliedsstaaten einhalten sollten. z. B. die Menschenrechte.

    Die Situation in der Uigurenprovinz kann ich selbst nicht beurteilen, sondern nur das referieren, was Amnesty International berichtet https://www.bing.com/search?q=amnesty+uiguren&cvid=46cfd486e2354e0eb707f3f46a6ae2af&aqs=edge.0.0.4367j0j1&pglt=43&FORM=ANNTA1&PC=U531
    Ob das aus seriösen Quellen stammt und überprüfbar ist, entzieht sich meiner Kenntnis.

    Und ich wünsche mir von der neuen Außenministerin offene Worte zu und evtl. Hilfe für Julian Assange, zu den Resten des Gefangenenlagers Guantanamo, nicht nur zu der Lage der Uiguren. Und für die Flüchtlinge auf den griechischen Inseln und an der polnischen Grenze. Das wär doch mal was.

    • W. Nissing

      Wir stecken halt sehr tief in einem Informationskrieg der von einem sterbenden Raubtier betrieben wird (siehe dazu auch die imho sehr ambivalente Haltung von AI zu Assange).
      Mehr Hintergrundrauschen vll hier:
      https://www.nachdenkseiten.de/?page_id=47542

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