Beueler-Extradienst

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Anschlag auf die Demokratie

Ich bin nach drei Wochen nach wie vor erstaunt:  Italien hat eine Faschistin zur Ministerpräsidentin gewählt. Sie hat eine Regierung zusammengestellt, die alles Verwerfliche, das der Populismus und die europäische Antidemokratie zu bieten hat, bündelt. Die Botox-Mumie Berlusconi, der als erstes seine Hände wieder nach den Medien ausgestreckt hat, der Flüchtlingsschläger Salvini von der Lega Nord und weitere illustre Gestalten, nicht weit entfernt von Vatikan und organisierter Kriminalität. Sie sind vom Staatspräsident vereidigt worden. Und wie reagiert Europa?

Gar nicht. Die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen beglückwünscht die Faschistin zu ihrer Wahl, verliert kein Wort über demokratische Prinzipien und die Zusammensetzung der Regierung in einem Gründungsland der Europäischen Union.  Die Präsidentin es EU-Parlaments hat Meloni freundlich empfangen. Befremdlich. Inmitten des demokratischen Europa – zumindest glauben wir in Deutschland mehrheitlich, dass es so sei – lassen wir alle zu, dass so etwas passieren kann. Jetzt hat der Trumpismus und rechte Rassismus in Europa nach Ungarn, Polen und zeitweise Tschechien, die Axt an den Stamm der Demokratie gelegt. Einer Staatsform, die Deutschland, Italien und Österreich von den westlichen Alliierten nach dem 2. Weltkrieg geschenkt wurde. Derer wir uns bis heute zum Teil nicht würdig erweisen, indem wir zulassen, dass rechtsextremistische Parteien und Strömungen immer weiter daran arbeiten können, die Demokratie in Europa zu untergraben.

Wo bleibt ein wirkungsvolle Gegenwehr gegen Faschismus?

Was ist die Ursache des überall erstarkenden Populismus und Faschismus? Die Erkenntnis dürfe intellektuell nicht überfordernd sein, dass mit dem Entstehen und Wachsen von (a)sozialen Netzwerken als so billiger wie wirkungsvoller und für alle möglichen “Sender” nutzbaren Kommunikationsmittel die demokratische Öffentlichkeit als Voraussetzung einer funktionierenden Demokratie ihrer wesentlichen Regeln beraubt worden ist – der moderierenden Zivilisiertheit und Gesetzestreue. Ob private Verleger oder öffentlich-rechtliche Medien – bis zum Aufstieg von Facebook, Twitter, Whatsapp, Telegram, Instagram und Youtube galten die Gesetze für alle Medien. Die Strafgesetze, die Zivilgesetze gegen persönliche Beleidigungen und andere Schädigungen, aber auch das Presserecht sowie Aufsichts- und Beschwerdegremien wie Rundfunkrat und Presserat. In nahezu allen Ländern der westlichen Welt in ähnlicher Ausprägung. Mit der Vielfalt der Privatsender aufgrund der neuen technischen Möglichkeiten durch Kabel- und Satellitenübertragung hat die Gesetzgebung z.B. in Deutschland noch mitgehelten. Die Länder schufen Rundfunkkommissionen als Aufsicht. Danach hat die Gesetzgebung zum Schutz der zivilisierten Meinungsäußerung im Rahmen der Gesetze völlig versagt.

Die Demokratische Verfasstheit eines Machtinstruments wankt

Facebook, Whatsapp und co und die bereits genannten Plattformen bieten ihren Konsumenten etwas, das es vorher nicht gegeben hat, weil die Verfassungsväter und -Mütter es für zu gefährlich hielten:

  1. Die Macht zu senden, und sich an die Allgemeinheit zu wenden, ohne großén Aufwand von Kapital oder Technik Informationen zu verbreiten, deren Wahrheitsgehalt nicht überprüfbar ist und den auch niemand einschränkt.
  2. Damit die Massenmeinung zu beeinflussen und politischen Einfluss auszuüben und insbesondere Machtkonzentration in den Händen von einzelnen Verlegern, Meinungsmonopolen und damit einseitige Manipulation zu verhindern.

Besonders in Deutschland nach der Erfahrung der gleichgeschalteten Presse der Nationalsozialisten, aber auch in Großbritannien durch die BBC, in den USA durch CBS, ABC, NBC, in Italien durch die RAI – letztlich überall in Europa, dominierten lange staatsferne, aber weitgehend neutrale, objektive, ausgewogene und fern von Kapitalinteressen gesellschaftlich kontrollierte Medien in funktionierenden Demokratien.  Seit den 80er Jahren haben konservative und rechte Politiker wie Helmut Kohl, Margret Thatcher David Cameron, Silvio Berlusconi, im Tandem mit Verlegern wie Murdoch, Springer und wiederum Berlusconi den Prozess der Zerschlagung der öffentlich-rechtlichen Medienstrukturen und einer unabhängigen, vielfältigen  Presse eingeleitet.

Parlamente und Regierungen sehen tatenlos der Entdemokratisierung zu

Mit dem Erscheinen der zumeist von US-amerikanischen Monopolen beherrschten (a)sozialen Medien Ende der 2000er fand ein Generalangriff auf die Medien- und Meinungsfreiheit weltweit statt und setzte sich über alle Medien- und Anti-Monopolgesetze hinweg. Auf ihr Konto gehen:

  • Ein antidemokratisches System der Führer- und Gefolgschaften (Follower!), das auf dem Prinzip beruht, dass die lautesten, konfrontativsten, spalterischsten, brutalsten und tabubrechendsten Schreihälse die meiste Aufmerksamkeit und die größte Zahl von Fans erhalten,
  • Die Möglichkeit, in einem System, dessen Algorithmen immer wieder dasselbe zu demselben Akkumulieren, ohne dass die Konsumenten der “Informationen” einmal mit Alternativen konfrontiert werden oder diese auch nur zur Kenntnis bekommen, – die Möglichkeit, Selbstbestätigungsstrudel in Gang zu setzen, aus denen die selbst hineingeschwommenen Opfer nicht mehr herausfinden.
  • Die Primitivierung des Denkens, indem Lebenssachverhalte und Gegenstände des politischen und wissenschaftlichen Streits in verkürzte und zugespitzte Kontroversen gepresst (Facebook) oder gar in eine Vereinfachung auf geringste Anzahl von Zeichen (Twitter) gezwungen werden.
  • Die reale Macht, inzwischen den herkömmlichen Medien den größten Teil ihrer Werbeeinnahmen entzogen und sie damit existenziell gefährdet zu haben, auch wenn die Mehrzahl der Verleger das nicht wahrhaben will und selbst ein WDR-Intendant wie Tom Buhrow anstatt um demokratische Medien zu kämpfen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk freiwillig zur Schlachtbank zu führen gedenkt.

Instagram als zweifelhaftes Medium des Narzissmus

Die Plattform Instagram ist – mit den gleichen Algorithmen und Mechanismen des immer mehr zu immer denselben, wer am lautesten schreit, bekommt Aufmerksamkeit – wohl die Plattform, die am krassesten an die menschliche Eitelkeit appelliert und die in der Werbefalle internationaler Konzerne einen neuen, sinnentleerten Beruf kreiert hat: den/die Influencerin. Eitle, schöne, scheinbar erfolgreiche Menschen prostituieren sich als Träger:innen und Werber:innen für jede Form von Produkten und Dienstleistungen. Sie lassen sich kaufen, haben jede Distanz zu dem Plunder verloren, den sie vertreiben und als Werbegeschenke erhalten. Besonders Jugendliche und junge Erwachsene werden dort zum Opfer oberflächlicher Konsumwelten.

Whatsapp als Droge und Verrohungsinstrument

Warum Menschen statt sichere SMS zu nutzen, mit der man auch Gruppen bilden kann, sondern ihre persönlichen Daten an Whattsapp verschenken, kann ich immer noch nicht verstehen. Die Auswirkungen dieses Instruments, das “angeblich alle haben”, weil es so schön kostenlos ist (gezahlt wird mit persönlichen Daten und Marc Zuckerberg fügt sie dann mit den Facebook-Konsumentenprofilen zusammen) erlebe ich mit Sorge im persönlichen Umfeld. Seit mein Neffe meinen Bruder mit einem solchen Account ausgestattet hat, bekommt er aus seinem bürgerlichen Umfeld jede Menge geschmackloser Witze und Kurzfilmchen zugesandt, über die ich nicht lachen kann – überwiegend mit versteckt rassistischen oder frauenfeindlichen, antisemitischen oder einfach primitiven Klischees, die nicht immer auf Anhieb erkennbar sind. Meist verstecken sich die Urheber dabei hinter puscheligen Tieren oder Gnomen, sie bleiben anonym, weil sie sehr wohl Unrechtsbewusstsein haben. Der Unterschied zum Stammtisch ist, dass die Urheber solcher Witze nicht betrunken allein nach Hause gehen, sondern eine breite Bühne für ihren Unsinn finden und ihre Blödheiten flugs tausende grölender, schenkelschlagender Fans erreichen. Das ist eine nicht zu unterschätzende Ursache der allgemeinen Verrohung des Diskurses bis in bürgerliche Schichten hinein – die AfD freut es.

Facebook und Meta – Scheinwelten der Konsumentenprofile

Mit Facebook hat Marc Zuckerberg – der mit dem Welpenschutz – oder vielmehr das schmutzige Gesicht hinter ihm, der Investor und selbsternannte Libertäre, Milliardär und Steuerflüchtling Peter Thiel eine Werbeagentur mit angeschlossenem Dialoglabor geschaffen, um das Verhalten seiner Opfer von Interessen, über Leidenschaften bis zur Reaktion in schwierigen Situationen zu registrieren und mit diesen Konsumenten- und Verhaltensprofilen nicht nur gezielt personalisierte Werbung zu verkaufen, sondern auch Wahlen zu manipulieren wie im Vorfeld der Trump-Wahl durch Cambridge Analytica. Komisch, das scheint alles vergessen zu sein. Deshalb hindert diese Big Brothers offensichtlich niemand, nun mit Meta die komplette Trugbildwelt aufzubauen und weltweit anzubieten. Auch diese systematische Verblendung und Verblödung von Menschenmassen  bringt unsere Politiker:inn:en nicht etwa auf die Idee, Gesetze zu verabschieden, die dieser Macht von Kapital und Manipulationsmacht in den Händen weniger Oligarchen Einhalt gebieten. Seit der eher folgenlosen “Dialoge” des damaligen Justizministers Heiko Maas mit Facebook Deutschland hat sich überhaupt nichts verändert.

TikTok – Chinese big Brother manipuliert Kinder

Es ist vielmehr schlimmer geworden. TikTok ist eine 100% unter chinesischem Einfluss stehende Plattform. Sie macht alle Manipulationsversuche von Facebook nach – nur viel erfolgreicher. Bei der jüngsten Generation von Smartphone Nutzer:inn:en. Werbewirtschaft und Nahrungsmittelindustrie, Modehersteller und viele andere Interessengruppen nutzen TikTok, weil sich hier ein nahezu todsicherer Zugang zu Kindern und Jugendlichen als Zielgruppe bietet. Wer sich fragt, was der Zweck dieser Plattform ist, sollte sich über das chinesische Social Rating System informieren. Jugendschutzgesetze? Nu, me lacht.

Twitter in der Hand von Despoten und Desperados

Twitter startete 2009 als ein Kurznachrichtendienst, auf dem höchstens 140 Zeichen pro Botschaft versandt werden konnten. Diese Beschränkung wurde 2017 auf 280 Zeichen verdoppelt. Trotzdem sind Sachverhalte auf diesem Dienst radikal verkürzt und vereinfacht.  Wie auf anderen (a)sozialen Plattformen funktioniert die Informationsweitergabe nach dem Führer-Gefolgschaftsprinzip. Barack Obama führt die “Follower”-Zahlen mit 133,5 Mio. an, vor Justin Bieber (113,8 Mio.), Elon Musk (110,9 Mio.), und Musikerinnen Katy Perry (108,9 Mio.) und Rihanna (106,9 Mio.). Donald Trump, der als Präsident durch ständige Tweets mit menschenverachtenden, Bedrohungen beinhaltenden und vor allem unwahren und diskriminierenden Inhalten auffiel, wurde letztendlich durch Twitter gesperrt. Es ist davon auszugehen, dass ihm der neue Eigner von Twitter, Elon Musk, den Weg zurück ermöglichen wird. Beispiellos fahrlässig in der Geschichte des Journalismus ist die Praxis vieler Redaktionen, Twitter zu behandeln, wie einstmals die Deutsche Presseagentur (DPA), Deutscher Depeschendienst (DDP), Agence France Presse (AFP) oder Associated Press (AP), die im Unterschied zu Twitter, wo jede:r alles posten kann, eine journalistische Faktenprüfung vornehmen. Auch dies ist eine Folge der Finanzkrise der freien Presse durch Abwanderung der Werbemilliarden in (a)soziale Netzwerke.

Telegram für Terror, Kinderpornografie und Nazis

Telegram ist ein Dienst, der sich nicht wesentlich von Whatsapp unterscheidet, 2013 in Russland von den Initiatoren Pawel und Nikolai Durow gegründet und seither am Netz mit jährlich steigenden Nutzerzahlen. Seine Kommunikation, die weitestgehend verschlüsselt und in abgeschlossenen Chatgruppen stattfindet, ist für die Sicherheitsbehörden schwer zu überwachen. Telegram verschlüsselt Nachrichten grundsätzlich. Folglich ist Telegram als ein Schlüsselnetzwerk für rechtsextreme, rassistische und kinderpornografische Inhalte, für IS und Taliban und Verschwörungstheoretiker, wie die Q-Anon Sekte oder Querdenker in Deutschland weltweit ganz vorne. Seine Initiatoren und Profiteure sind noch wesentlich schwerer erreichbar,  als Oligarchen wie Zuckerberg und Musk. Das Entwickler-Team befindet sich laut Telegram-Website in Dubai, nachdem es Standorte wie Russland, Berlin, London und Singapur ausprobiert hatte. Telegram hatte 2021 angeblich 550 Mio. Nutzer:inn:en

Die Demokratie wird ohne Widerstand informationell weggeputscht 

Über all diese asozialen Netzwerke werden Kampagnen gefahren, Werte verbogen, Menschen Lebenszeit gestohlen, Wirklichkeiten verleugnet, rechtsextreme politische Ideologien verbreitet. Niemand – weder in den USA, noch in Europa – hat wirkungsvoll gegen diese Formen der Manipulation und Wirklichkeitsverdrehung Widerstand geleistet. Die Folge davon ist, dass bei den morgigen Midterms-Wahlen in den Vereinigten Staaten viele Republikaner-Wähler glauben, dass Joe Biden und viele Demokraten pädophil seien, Kinder in Kellern folterten, um unsterblich zu werden (Q-Anon-Ideologie), dass Demokraten die christlichen Werte der Verfassung gefährdeten, und Biden und die Demokraten am großen Plan arbeiteten, die weiße Rasse durch gezielte Einwanderung und Bevorteilung der Schwarzen in den USA in einem “großen Austausch” in den Untergang zu führen. Wie sehr die Ideologien der Republikaner und Trump-Anhänger in USA mit den Stereotypen der europäischen Faschisten zusammenhängen, hat Prof. Klaus Leggewie am vergangenen Wochenende im “Hauptstadtbrief” eindrücklich geschildert. 

Das größte Rad der Geschichte neben dem Klimawandel

Die Parteien der Ampelkoalition sind angetreten, vom Internet mehr zu verstehen, als ihre Vorgängerregierung. Das Internet ist kein “Neuland” (Merkel) für diese Koalition.  Aber wirkungsvolle Schritte zur Zivilisierung, Kontrolle asozialer Netzwerke und zur Verteidigung der demokratischen Öffentlichkeit stehen aus. Und das ist wohl neben der Bekämpfung des Klimawandels das größte Rad, das die demokratische Politik im 21. Jahrhundert zur Verteidigung der Demokratie weltweit zu drehen hat.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

6 Kommentare

  1. Der Maschinist

    Sehr gut "gebrüllt", Roland! Ich bin etwas optimistischer als du, was die Zukunft der (a)sozialen Netzwerke, so wie wir sie kennen, angeht. Diese sind dabei zu sterben (Musk und Zuckerberg wissen das längst). Doch heisst auch das nicht viel – weil wir noch nicht wissen, was sich an ihrer Stelle durchsetzen wird. Und das kann besser – aber eben möglicherweise auch schlimmer sein, als alles was wir zu kennen glauben.

  2. Martin Böttger

    Die Gleichsetzung der US-Networks mit der BBC und deutschen öffentlich-rechtlichen Medien ist sachlich falsch. CBS, ABC und NBC waren und sind Teil privater Grosskonzerne, wie Berlusconis oder Murdochs Netzwerke – nur zufällig mit liberalerer Ausrichtung. Und die Verherrlichung der “Faktenprüfung” durch – nach wie vor sehr mächtige – Nachrichtenagenturen kann ich ebenfalls nicht teilen.
    Der Schlüssel ist die Angst, Unwille und Unfähigkeit (neo-)liberaler demokratischer Politik, in das freiwirtschaftliche Agieren kapitalmächtiger Konzerne politisch legitimiert einzugreifen.
    Kulturell ist es nicht ungewöhnlich, dass die Menschheit 1-2 Generationen benötigt, um neu erfundene menschengemachte (!) Techniken kulturell und politisch einzuhegen. Wir sehen jetzt nur, was immer schon da war – der faschistische Bodensatz z.B., der sich durch die neuen Resonanzen so frisch ermutigt fühlt.
    Die kapitalinduzierte Beschleunigung und Zuspitzung (Klimakrise!) macht diesen natürlichen Rückstand der Einhegung jetzt immer explosiver. Die Lerngeschwindigkeit kann scheinbar dem Produktivitätsfortschritt der Technologien und Innovationsmächte nicht so folgen, wie sie es müsste.
    Zur tagesaktuellen Debatte empfehle ich René Martens/MDR-Altpapier:
    https://www.mdr.de/altpapier/das-altpapier-2888.html

    • Der Maschinist

      Du hast natürlich Recht, Martin. Die “Networks” – also das konventionelle landesweite (früher) “Antennenfernsehen” in den USA war von Beginn an eine äußerst kommerzielle Einrichtung – nichtsdesdotrotz noch relativ streng reguliert. Was der BBC oder unseren öffentlich-rechtliche einigermaßen nahekommen würde, ist PBS (Public Broadcasting Service), welches seit den 70er Jahren ein nicht-kommerzielles und auf freiwilliger (Spenden) Finanzierung durch Zuschauer:innen und Sponsortships basiertes Rundumprogramm betreibt – und durchaus eigene Maßstäbe setzt, die mit ÖR bzw BBC absolut konkurrenzfähig sind (in der Qualität, nicht in der Quantität).

      Differenzieren kann mensch aber diese “Network TVs” von den “Cable TV” (später auch Satellit)-Only Veranstaltern. Denn während alle einem “Code Of Conduct” der FCC unterliegen, unterscheiden sich die Regulierung der von Roland angeführten “Network Broadcaster” erheblich von den Kabel/Digital-only Veranstaltern die seit den 80ern entstanden sind. Unter letzteren eben auch die Murdoch Medien (Fox-News etc.), CNN, MSNBC (ehemals ein Joint Venture mit Microsoft) und so weiter… Da stehen also mehrere Akteure aus ganz verschiedenen Zusammenhängen an verschiedenen Fronten und konkurrieren zuerst um Publikum und damit auch um Meinungshoheit. Letzte dominieren überwältigend.

  3. A.Holberg

    Roland Appel schreibt: “Die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen beglückwünscht die Faschistin zu ihrer Wahl, verliert kein Wort über demokratische Prinzipien und die Zusammensetzung der Regierung in einem Gründungsland der Europäischen Union. Die Präsidentin es EU-Parlaments hat Meloni freundlich empfangen. Befremdlich.” Was ist daran befremdlich? Der Faschismus ist für den bürgerlichen, sprich: kapitalistischen, Staat immer eine Ersatzreserve in “schweren Zeiten”. Er ist die Alternative, die den Massen angeboten wird, wenn diese kein theoretisches Klassenbewusstsein, aber durchaus das berechtigte Gefühl haben, von den gerade Herrschenden wieder mal über den Tisch gezogen zu werden. In Schönwetterperioden ist die mehr oder weniger liberale “Demokratie” die politische Lieblingsform der Bourgeoisie, nicht zuletzt, weil sie so erfolgreich das Fehlen ökonomischer Demokratie verdeckt und die Herrschaft damit einfacher und somit kostengünstiger macht als es offene Gewalt wäre. Der Absturz großer Teile der Bevölkerung in relatives Elend bewegt diese dazu, gewissermaßen aus der Pfanne in’s Feuer zu springen. Die Mitwirkung der (a)sozialen Medien, deren Erfolg nicht zuletzt auch durch die offensichtliche Propagandatätigkeit der offiziösen “liberalen” Medien bedingt ist, scheint mir demgegenüber ein untergeordneter Faktor zu sein. Was diese Propagandatätigkeit anbelangt, so sei darauf hingewiesen, dass es immer Themen gibt, die für die gerade Herrschenden zentral oder nicht zentral sind. Die bürgerlichen “demokratischen” Medien sind bei Themen, die als nicht-zentral betrachtet werden – z.B. Kultur udgl. – immer demokratischer, vielfältigen, kritischer als bei Fragen von Krieg und Frieden – aktuell Ukraine, Russland, China. Auch, wenn die “Massen” das nicht auf eine theoretische Basis bringen, merken sie doch, dass es in wichtigen Fragen diese – selbstauferlegte – Zensur der Medien gibt und betrachten sie deshalb nicht ganz zu unrecht als “Lügenpresse” oder “Lückenpresse”, was praktisch auf das Gleiche herausläuft. Das Problem ist, dass sie die eine Lüge zurecht zurückweisen und der “alternativen” Lüge dann anheimfallen.

    • Martin Böttger

      Der Unterschied zwischen Ihnen lieber “A.Holberg”, und uns (also Appel und mir z.B.) ist, dass wir den politischen Kampf um bürgerlich-demokratische Institutionen, wozu auch der Vorsitz der EU-Kommission gehört, der wiederum ein politischer Freund von uns (Günter Verheugen) schon angehört hat, nicht aus Bescheidwisserei heraus aufzugeben gedenken. Sie sind uns zu wertvoll, um sie bspw. dem Faschismus oder auch nur Reaktionär-Konservativen zu überlassen. Das Gleiche gilt für bürgerlich-liberale Medien, denen glücklicherweise Widersprüche innewohnen, die wir politisch auszunutzen gedenken. Es gibt halt ‘ne Menge Arbeit für ehrliche Demokrat*inn*en – weit bevor eine revolutionäre Situation da ist.

    • A.Holberg

      Das ist eine Fehlinterpretation meines Kommentars. Der Kampf um Demokratie – auch um die letztlich nur formale der bürgerlichen Klassengesellschaft – ist richtig und notwendig. Die Frage allerdings ist, wie weit ein realistischen Verständnis der kapitalistischen Klassengesellschaft und ihres Staates eine unverzichtbare Voraussetzung dafür ist, hier relevant punkten zu können.

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