Beueler-Extradienst

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Warum zögert Olaf Scholz?

Die Vereinigten Staaten haben am Freitag angedeutet, was es bedeuten könnte, wenn sie sich aus dem Ukrainekrieg langsam verabschieden. Ein Zeichen dafür ist die Weigerung, den M1 Abrams-Panzer in die Ukraine zu liefern, gleichzeitig aber von den Europäern und insbesondere von Deutschland zu fordern, Leopard 2 zu liefern bzw. der Lieferung zuzustimmen. Es ist wirklich frappierend, wie verschiedene Protagonisten dasselbe sachlich falsche und irreführende Wording verwenden – mit dem Ziel, den Bundeskanzler politisch unter Druck zu setzen. Gut, dass dieser Mann sich nicht beirren lässt.

Vorgestern war es nur der US-Politologe Andrew Denison im DLF, der tatsachenwidrig behauptete, der M1 Abrams-Panzer der USA würde sich nicht für den Einsatz in der Ukraine eignen, weil er “so schnell” sei. Mit seinem Halbwissen hat der Mann wohl mal gelesen, dass der Abrams dank seiner Antriebsturbine kurzzeitig seine Höchstgeschwindigkeit von 68 km/h hinaus auf Asphaltstraßen bis zu 100 km/h steigern kann – bei massivem Kraftstoffmehrverbrauch. Am selben Abend behauptete der Vertreter des German Marshal Fund bei Maybrit Illner, er eigne sich nicht wegen der Logistik. Dabei wurde bei seiner Konstruktion sogar die Maximalbreite europäischer Bahntransportwagen berücksichtigt. So verfügen Polen und Griechenland, darüber hinaus Ägypten, Marokko, Saudi-Arabien, Kuweit und der Irak über den Abrams. Für mich als Person mit Ost- und USA- Erfahrung während des Kalten Krieges kommt da die Erinnerung an Propaganda hoch. Zu auffällig ist der Blödsinn, der Abrams sei nicht geeignet, der auch an diesem Wochenende weiter durch die Berliner Presse wabert, weil er offensichtlich durch atlantische “Spin-Doktoren” verbreitet wird. Angesichts der Tatsache, dass Leopard 2 und Abrams jahrelang parallel und sogar im Austausch von Prototypen entwickelt wurden, eine abenteuerliche Falschbehauptung. Die beiden Geräte sind bis auf den unterschiedlichen Antrieb – vielstoffbetriebene Turbine versus vielstoffbetriebener Turbodiesel – weitgehend übereinstimmend bis zur 120 mm- Kanone, die beim Abrams ebenso wie beim Leo 2 von Rheinmetall stammt.

Die Verteidigungslogistik von USA und EU ist kompatibel

Mitte der 80er Jahre war es dezidiert erklärtes Ziel der NATO, einen weitgehend kompatiblen Standardpanzer als Nachfolger von M 60 (USA) Leo1 (BRD), AMX 30 (F) und Chieftain (GB) zu entwickeln. Das Ergebnis sind der Leopard 2, der M1 Abrams, der Leclerc und der britische Challenger 2 sowie der italienische Ariete. Ich habe gestern detailliert dargestellt, wer über welche Baumuster von Panzern verfügt und bin zum naheliegenden Schluss gekommen, dass es möglicherweise eher praktisch möglich sein könnte, eine nicht unwesentliche Zahl von 350 Leopard 1 Panzern zur Unterstützung der Ukraine zu mobilisieren, als die aktuellen NATO-Armeen Europas von Leopard 2 Kampfpanzern zu entblößen und die Verteidigungsfähigkeit der NATO zu  schwächen. Auch aus der Industrie gibt es bereits seit April 2022 Meldungen, die die Bereitschaft signalisieren, Munition in großer Zahl für die 105 mm Kanone herzustellen. Warum also stimmen die USA dem Abrams-Deal nicht zu? Könnte dies ein Vorgeschmack auf eine von den Republikanern verhinderte Unterstützung der Ukraine sein, oder halten auch sie die polnische und ukrainische Leo 2-Initiative für einen Versuch, die NATO in den Ukrainekrieg hineinzuziehen?

Warum Leo 2 zur Schwächung eigener Verteidigungsfähigkeit?

Wer die Kampfkraft der NATO-Staaten in Europa anhand der Ausrüstung mit funktionierenden Kampfpanzern und Flugabwehrgeräten untersucht, kommt zu dem Schluss, dass der Titel des “Spiegel”-Artikels, der 1962 die Affäre um den bayrischen Verteidigungsminister Franz-Josef Strauss auslöste, nämlich “Bedingt abwehrbereit” durchaus eine aktuell wieder zutreffende Beschreibung ist – nicht nur für deutsche Verhältnisse. Das müsste eigentlich alle europäischen NATO-Staaten besorgt machen, führt aber vor allem dazu, Deutschland als der größten Wirtschaftsmacht der EU die Hauptverantwortung zuzuschieben. Dabei wäre es viel intelligenter, den Leopard 1 zu liefern, der – ähnlich wie die ehemaligen Panzer sowjetischer Bauart – in zahlreichen Ländern Europas und sogar ich Chile und Kanada in nennenswerten Zahlen verfügbar wäre, ohne die Selbstverteidigungsfähigkeit in Europa zu schwächen.

Merz’ parteipolitische Engstirnigkeit statt Außenpolitik

Diese Frage der Selbstverteidigungsfähigkeit scheint für die CDU-Opposition im Bundestag und für große Teile der Berliner Journalist*inn*en keine Rolle zu spielen. Sie sieht unter Friedrich Merz ihre Aufgabe vor allem darin, eine angeblich zögerliche Haltung des Bundeskanzlers öffentlich anzuprangern und ein Bild zu erzeugen, als ob die überwiegende Mehrheit der NATO-Staaten sich auch am 20.1. 2023 in Ramstein sich gegen den Kurs der Bundesregierung ausgesprochen habe. Wer dagegen den neuen Bundesverteidigungsminister im Interview auf “Phönix” gesehen hat, muss glauben, sich in einer inkompatiblen Parallelwelt jener Besserwissenden wiederzufinden, die alle nicht in Ramstein dabei waren. Ganz ähnlich reagierten auch ARD- und ZDF-Nachrichten am Freitagabend, nachdem der Ramstein-Gipfel keine Leopard-Lieferungen beschlossen hat. So geraten derzeit die CDU-Opposition und mit ihr Teile der Hauptstadtpresse auf die Rutschbahn einer Fake-News-Gesellschaft nach dem US-amerikanischen Vorbild, die nicht mehr selbst recherchiert (weil die finanziellen Ressourcen fehlen?)  und nach den Interessen der Beteiligten fragt, sondern emotionale Stimmungen und in den Spin-Diskursen vermeintlicher “Insider”  die Positionen aufnimmt, die unter anderem die Ukraine, der ehemalige Botschafter Melnik und Polens Staatsspitze verbreiten und daraus ihre Schlüsse ziehen. Und dies sind immer die gleichen Stigmata: der Kanzler sei ein Zauderer, die mit der eigenen Regierung illoyale Strack-Zimmermann mutig und die Grünen stimmen ein – angeblich “ganz Europa”, aber in Wirklichkeit nur Finnland und die baltischen Staaten, sowie die polnische Regierung, machten Druck auf Olaf Scholz.

Voreingenommene Ahnungslosigkeit

Dass dieses Bild eine ideologische Verzerrung der realen Meinungsbildung in der Bevölkerung beinhaltet, wird angesichts der Umfrageergebnisse deutlich, die nach wie vor vorsichtiger als Journalist*innen und Teile der Opposition urteilen. Aber vor allen Dingen ist völlig unverständlich, dass ausgewachsene und erfahrene Hauptstadtjournalist*inn*en sich weigern, einen Zusammenhang zwischen dem geradezu hämischen Auftritt des polnischen Präsidenten Andrzej Duda in Davos und seinen Provokationen gegen Deutschland und dem Wahlkampf in Polen zu sehen, in dem die populistische PiS-Partei keine Gelegenheit auslässt, sich gegen die deutsche Regierung zu profilieren.

Können Berliner Journalisten zwar schreiben, aber nicht lesen?

Eigentümlich, das niemand hinterfragt, warum nicht nur Scholz keine Leopard 2 liefert, sondern auch Frankreich keinen Leclerc, Italien keinen Ariete und vor allem die USA keinen Abrams. Auch hier konnte man heute wieder im “Presseclub” hören, dass angeblich logistische Gründe dagegen stünden – “die müssten ja erst über den Altantik transportiert” werden. So ein Unsinn bleibt unwidersprochen, obwohl in allen öffentlichen Quellen nachzulesen ist, dass der Abrams auch außerhalb der USA auch in Ägypten gebaut wird und Griechenland über 400 Abrams-Panzer verfügt. ( + 170 Leo 1 + 183 Leo 2 – Wofür braucht das “arme Griechenland” eigentlich so viele Panzer?) Der Abrams ist mit Diesel zu betreiben – in Australien läuft er damit ausschließlich. Lässt der Politikbetrieb in Berlin wirklich keine Zeit, solche Banalitäten zu recherchieren? Oder geht es nur darum, den Kanzler und die SPD endlich Panzer-sturmreif zu schreiben? Der WDR könnte seinen Mitarbeiter und ehemaligen Moskau-Korrespondenten Jürgen Döschner beauftragen, Fakten zu recherchieren, anstatt ihn Däumchen drehen zu lassen, weil seinen Vorgesetzten seine Beiträge zu kritisch und zu gut recherchiert sind.

Besteht auch in den USA Sorge vor einer Eskalation?

Ist der Kanzler vielleicht in Wirklichkeit gar nicht so isoliert, wie es die Ukraine, Polen und das Baltikum gerne darstellen und deutsche Journalist*innen nur zu gerne aufnehmen? Ist der wirkliche Grund, dass die USA ebenso zögern, den Abrams zu liefern, weil sie nicht zur Kriegspartei werden wollen, als diese sie Putin bisher zu Unrecht betitelt? Wäre diese Position nicht ebenso seriös, wie die Position Olaf Scholz’, der vor Alleingängen in der Panzerfrage gewarnt hat? Boris Pistorius hat über eine sehr ausgewogene, von Pro und Kontra gekennzeichnete Diskussion in Ramstein berichtet. Wer dies am 20.1.2023 live auf “Phoenix” gesehen hat, konnte bei den anschließenden “Heute” und “Tagesschau” glauben, da würde über eine völlig andere Veranstaltung berichtet – von Journalist*innen, die im Gegensatz zu Verteidigungsminister Pistorius nicht teilgenommen hatten. Da wundert es schon, dass niemand einmal Strack-Zimmermann oder die Grünen fragt, warum sie eigentlich nicht über die 350 Leopard 1 sprechen, die, nach Recherchen dieses Blogs zügig reaktiviert  werden könnten und für den, das kann man im Internet recherchieren, offensichtlich noch Munition zu kaufen ist. Stattdessen spricht mensch lieber über den Leopard 2, die den ohnehin schwächelnden NATO-Armeen Europas entzogen werden müssten, deren Kampfkraft schwächen und zudem das Risiko erhöhen, zu Kombattanten zu werden. Logisch ist das nicht.

Sorgfalt würde helfen und der Aufklärung dienen

Gleichwohl: Von der Versorgungslogistik über die Schulung und Munitionierung – die Entscheidung  ist komplex und bedarf der sorgfältigen Antwort, damit die Hilfe nicht zum Flop wird. Für den Autor eines kleinen Provinzblogs und ehemaligen Politiker in einer Landesregierung ist es um so verblüffender, dass diese notwendigen Vorüberlegungen von den beteiligten Akteuren bisher nicht konkretisiert wurden. Das gilt für das Verteidigungsministerium ebenso wie die Befürworter*innen von Waffenlieferungen bei FDP und Grünen, die wohl doch nicht wissen, worüber konkret sie sprechen – ob Leo1 oder Leo2. Das gilt für die Opposition, deren Verteidigungspolitik ja zur heutigen Situation geführt hat und die so tut, als ob sie für den jämmerlichen Zustand der Bundeswehr keinerlei Verantwortung trifft. Und vor allem für die in Verteidigungspolitik involvierten Journalist*inn*en, die, statt ihre Arbeitszeit in Politiksimulationen von Will bis Maischberger, Von Illner bis Plasberg zuzubringen, lieber mal ein bisschen selbst recherchieren sollten.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

6 Kommentare

  1. Martin Ottensmann

    Danke Roland. Es ist mir ein Rätsel wie was alle Journalisten auf die plumpen Argumente der Ultranationalisten wie Melnik und die Wahlkämpfer in Polen hereinfallen.
    Zudem möchte ich eine klare verbindliche Regelung haben, wazu unsere Angriffswaffen verwendet werden sollen.
    Wenn jeder Meter Boden wieder zurück erobert werden soll, wird das ein langer Krieg.
    Die Angriffe mit Natowaffen auf Ziele in Russland würden den Charakter des Verteidigungskrieges kippen. Die dadurch verursachen weiteren Hundertausend Toten würde ich ich nicht nur dem Kriegsverbrecher Putin politisch anlasten.
    Was mich aber am meisten wundert: Du bist j zum richtigen Waffenexperten geworden. 😉

  2. Peter Clever

    uff, jetzt hat es der arrogante und blind-antiamerikanische Oberlehrer Roland seinen Grünen und der Union mal wieder gezeigt! Und dass er „man „ zum „mensch“ umformuliert, weil er im Genderwahn „man“ und „Mann“ nicht auseinanderhalten kann, spricht auch nicht für einen intellektuellen Höhenflug. Mann, Roland, wie weit bist Du gesunken? Es ist nur noch traurig, das mitansehen zu müssen…

    • Reiner

      Nicht clever! Sorry, hier lese ich Kritik, die hoffnungslos „daneben“ ist ! Was soll das ?

    • Martin Böttger

      Was das soll:
      Für jeden Text ist inhaltlich jeweils die*der Autor*in verantwortlich. Zensiert wird nur strafrechtlich relevantes und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Es besteht ein Wunsch – keine Bedingung – dass Meinungen nicht nur geäussert, sondern auch argumentiert werden. Das wäre immer ein Vorteil, insbesondere für die*den Meinungsäussernde*n, aber natürlich auch für alle Lesenden. Letztere wiederum entscheiden selbst, was sie lesen und was sie lassen.

  3. Martin Böttger

    Von Panzern verstehe ich zwar nichts, und zweifle, ob sie in diesem Fall eine Stütze oder eher Teil des Problems sind – aber “das arme Griechenland” wird vom “Nato-Partner” Erdogan akut bedroht:
    https://www.sueddeutsche.de/politik/erdogan-tuerkei-praesident-griechenland-drohungen-1.5713689
    Dem begegnen die Nato-“Freunde” Griechenlands, wie bspw. Deutschland, mit geradezu demonstrativem Desinteresse:
    https://extradienst.net/2023/01/08/perverse-geilheit/
    Griechenland hat Erfahrung mit dieser Art Nato-“Solidarität”:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Griechische_Milit%C3%A4rdiktatur
    https://de.wikipedia.org/wiki/Zypernkonflikt

  4. Andreas Obersteller

    Sauber recherchierter Artikel. Vorsicht: Es folgt eine kleine Panzerabhandlung, weil es tatsächlich ( im Unterschied zu deutschen Journalisten) besser ist, wenn man weiß, worüber geredet wird. Abrams-Panzer und Leopard 2 sind bis auf sehr wenige Teile relativ ähnlich, was darauf zurückzuführen ist, dass sie gemeinsame Wurzeln haben. In der Mitte der 1960er Jahre wollten USA und BRD gemeinsam einen Kampfpanzer entwickeln („Kampfpanzer 70“). Die US-Generalität stieg dann aus mir nicht mehr erinnerlichen Gründen aus der gemeinsamen Entwicklung aus. Kurz und gut, beide Panzer hatten viele Gemeinsamkeiten (120 mm-Glattrohrkanone von Rheinmetall (der britische Chieftain verfügt über die nicht ganz so gute gezogene 120 mm- Kanone), Feuerleitanlage usw.). Der größte Unterschied ist der Antrieb (Diesel-Aggregat beim Leopard, Gasturbine beim Abrams). Die Panzerung beim Abrams ist auch anders aufgebaut. Das Gewicht ist mehr oder weniger gleich ( 64 t), die Geschwindigkeit ist ähnlich (64 km/h). Mag sein, dass der Abrams kurzfristig eine höhere Geschwindigkeit auf der Straße erreicht, erkauft mit einem um etwa 50% höherem Spritverbrauch. Vorzugsweise sollte gleich ein Tanklaster hinterherfahren.

    Was öffentlich von US-Seite zur angeblich aufwendigen Wartung des Abrams gesagt wurde, ist bullshit. Immerhin haben die USA mit dem Modell zwei Golfkriege ohne logistische Probleme führen können.In Europa gibt es in verschiedenen Ländern genügend Abrams Panzer. Die USA haben Griechenland zu Hochzeiten der EURO-Krise Abrams-Panzer aus dem 1.Golf-Krieg, die irgendwo in Nevada abgestellt waren, für billiges Geld aufgeschwatzt. Bei den hohen Betriebskosten des Panzers war das zur damaligen Zeit in der Griechenland-Krise besonders blödsinnig. Noch nebenbei zu erwähnen ist, dass der israelische Merkava Panzer ein Stiefsohn des Leopard ist. Viele Komponenten dieses Panzers sind vom Leopard 2 abgeleitet. Der größte Unterschied ist, dass der Motor beim Merkava vorn eingebaut ist.

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