Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Datenschutz gegen den Bürger

“Datenschutz” bei diesem Wort steigt mein Blutdruck. Denn meistens höre ich dieses Wort, wenn mir mal wieder eine Auskunft verwehrt wird, die ich dringend benötige. Datenschutz als Recherchehindernis – das erlebe ich nicht nur als Journalist, sondern auch im privaten Bereich: Den Spruch am Telefon “das kann ich Ihnen aus Datenschutzgründen nicht beantworten” kann ich nicht mehr hören. Denn fast immer geht es um meine Daten, die hier angeblich geschützt werden – und zwar jeweils vor mir.

Oberkassel – Ort mit Geschichte

Im Herbst letzten Jahres veranstalteten die verschiedenen Vereine in Oberkassel ihren alljährlich vom “Verband der Ortsvereine Bonn Oberkassel” ausgerichteten Seniorencafe. Der Verband ist ein Zusammenschluss von 29 Oberkasseler Vereinen. Gegründet vor fast 100 Jahren, am 09.02.1928, also ein wichtiges Teil des Brauchtums in diesem Ortsteil von Bonn-Beuel.

Ein Ort mit Geschichte, denn “als Cassele wurde Oberkassel 722/723 und eindeutig als Cassela 1144 zuerst erwähnt, der Name geht vermutlich auf das keltische Wort ‘Cassola’ zurück, das Sumpf, Bach und Moor bedeutet.”
Das steht so in Oberkassel (Bonn) – Wikipedia und erklärt vielleicht ein wenig, warum Oberkassel etwas Besonderes ist. In diesem Ort soll es, so hörte ich, zwei mal mehr Vereinsmitglieder als Einwohner geben. Fest steht, es bedarf in Oberkassel keiner Stadtteilbüros oder besonderer Sozialarbeit, um ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln. Das machen hier die Vereine.

Datenschutz als Gemeinschaftskiller

Zum Adventscafe nahmen im vergangenen Jahr deutlich weniger Senioren teil. Das lag weniger an Corona als vielmehr an der Behinderung durch die Stadtverwaltung. Die hatte dem Verband erstmals die Adressen der einzuladenden Menschen verweigert. Wegen des Datenschutzes, jedenfalls so wie er in Bonn verstanden wird.

Die Folge – die alten Menschen wurden über den Terminhinweis in einer Zeitschrift eingeladen, die kostenlos an alle Haushalte verteilt wird – aber längst nicht überall ankommt und auch nicht von jedem wirklich gelesen wird. Wegen der vielen leeren Stühle in der Jupp-Gassen-Halle wandte ich mich nach der Veranstaltung an die Stadt, mit der Forderung dafür zu sorgen, dass die Vereine in ihrer sinnvollen Arbeit von der Verwaltung gefördert und nicht daran gehindert werden. In seiner Antwort erklärte der Bonner Datenschutzbeauftragte, warum das seiner Auffassung nach nicht möglich sei: “… Problematisch ist in diesem Zusammenhang tatsächlich aber der Begriff ‘in öffentlichen Interesse’. Der Gesetzgeber legt den Begriff des öffentlichen Interesses nämlich leider etwas anders aus als Sie das tun bzw. wie man es augenscheinlich auch vermuten könnte.”

In der Gesetzesbegründung zum § 46 BMG heißt es:

„Ein öffentliches Interesse liegt vor, wenn der Zweck der Anfrage über die Belange einer Person oder einer Gruppe hinausgeht und im Interesse der Allgemeinheit liegt. Außerdem muss es sich um ein innerstaatliches öffentliches Interesse handeln. Im öffentlichen Interesse können beispielsweise Untersuchungen oder Tätigkeiten der Forschung und Wissenschaft sowie Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge liegen. (…) Die genannten Beispiele (Forschung, Wissenschaft, Gesundheitsvorsorge) verdeutlichen, dass der Gesetzgeber mit öffentlichem Interesse etwas anderes meint als z.B. die Einladungen zu Vereins-Weihnachtsfeiern.Dies sehen im Übrigen auch andere Städte in NRW genauso.”

Das mochte ich so nicht hinnehmen und wandte mich an den Datenschutz-Experten Thilo Weichert, vom Netzwerk Datenschutzexpertise in Bonn. Für Weichert steht außer Frage, dass “die geplante Adress-Nutzung im ‘öffentlichen Interesse’ i.S.v. § 46 BMG” liegt.

§ 46 BMG Gruppenauskunft Bundesmeldegesetz Inzwischen versprach der Bonner Datenschützer, er werde die Angelegenheit mit dem Einwohnermeldeamt (Dienstleitungszentrum) weiterverfolgen, “ggf. unter Einbeziehung der Landesdatenschutzbeauftragten” und sich erneut melden, “sobald ich neue Erkenntnisse habe.”

3 Kommentare

  1. Karl Prinz

    Ich hoffe, dass Sie Erfolg haben. Die Verweigerung der Adressen der über-65-Jährigen ist wirklich sehr ärgerlich. Ich war bei der Weihnachtsfeier dabei und wir haben dort die gleiche Auskunft erhalten. Ich glaube, dass es sich um missbräuchliches Verhalten des Einwohnermeldeamtes handelt.

  2. Christian Wolf

    Datenschutz ist nicht gleich Datenschutz, je nachdem, was verhindert werden soll, Thilo Weichert hat das – sicherlich ohne lange überlegen zu müssen – richtig beantwortet.

    Bleibt die Stadt Bonn, die in wohlbekannter Lethargie erstmal dafür sorgt, dass nichts passiert, alles andere würde die Verwaltungsruhe stören, vulgo Arbeit machen.

    Und die Landesdatenschutzbeauftragte ist dermaßen überlastet mit Anfragen, die antwortet aber ganz sicher!

    Vor allem komplizierte Sachverhalte müssen sehr genau geprüft werden, da bleibt keine Zeit für Anfragen, die Thilo Weichert auf Zuruf beantwortet.

    Fragt sich jetzt nur noch ob die Stadt Bonn oder die Landesdatenschutzbeauftragte schneller ist – mit der Strafanzeige wegen Störung der Verwaltungsruhe…

    • Martin Böttger

      Ich lebe seit 1976 in Bonn. In der Zeit habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Verwaltung mit ihrem Ruhebedürfnis lange, sehr lange, vielleicht immer noch, durchaus repräsentativ für das Ruhebedürfnis der Bonner Bevölkerung ist (sie stellt ja auch einen sehr hohen Anteil an ihr). Alles, was sich ändern soll, stösst auf massiven Widerstand. Das ist ja auch nicht immer falsch (wenn ich z.B. an noch breitere Autobahnen etc. denke). Umso mehr Spass macht es, Unruhe zu verursachen. Muss ja nicht immer Pyrotechnik sein. 😉

© 2024 Beueler-Extradienst | Impressum | Datenschutz

Theme von Anders NorénHoch ↑