Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

In Trümmern

Die deutschen Parteien und Bertelsmann – Best of 31. Januar 2023: Ukrainekrieg, Krise, Big Tech, Henschels Überregionalkrimi

Die Ippen-Gruppe, das ist die, die die Schandtaten des Testosteron-Terroristen Reichelt bei Springer nicht veröffentlichen wollte, hat aktuelle Mitgliederzahlen der deutschen Parteien abgefragt. Das ist kein schönes Bild. SPD: 380.000 (1990: 943.000), CDU: 372.000 (1990: 790.000), CSU: 132.000 (1990: 186.000), Grüne 126.000 (2016: 62.000), FDP: 77.000 (1990: 168.000), Die Linke: 57.000 (2007: 78.000), AfD: 30.000.

Diese Zahlen sind wie immer mit Vorsicht zu geniessen. Eine Differenzierung zwischen Aktiven und Karteileichen findet nicht statt. Der Mitgliederzuwachs der Partei, der ich angehöre, der Grünen, ist einfach zu erklären. Es gibt zwei Phasen, in denen Parteien Mitglieder gewinnen: in Wahlkämpfen, weil sie dann aktiver werben. Und während und nach Koalitionsverhandlungen bei Regierungsbeteiligungen, weil sich die neuen Mitglieder ein verbessertes Resultat bei der Abwägung von persönlichem Aufwand und Ergebnis versprechen. Das schliesst Karrierehoffnungen ein und ist legitim. Wie es auch eine legitime Abwägung ist, dass das eigene Engagement praktische politische Folgen und Ergebnisse haben kann, die aus der Opposition heraus – vorgeblich – schwieriger erreichbar erscheinen.

Zu den genannten Zahlen kommt eine erschwerende Tatsache hinzu. In den meisten Parteien und ihren Gliederungen war die demokratische Willensbildung in den letzten drei Jahren praktisch abgeschafft und ausgeschaltet. Es fanden keine Versammlungen der Mitgliederbasis statt, wg. Coronapandemie. Das Notwendigste wurde per digitaler Medien abgewickelt. Die Parteien agierten pragmatisch. Der parlamentarische und Regierungsbetrieb lief einfach weiter. Doch die analogen Türen, ganz zu schweigen von menschlichen Begegnungen in Versammlungen, und vor allem danach, fielen aus. Den Vorständen und Parlamentarier*inne*n tat das nicht weh – im Gegenteil. Sie wurden ja viel weniger von Mitgliederkritik und -konkurrenz belästigt. In diesem Abschalten von Demokratie konnte die “Zeitenwende” der Rüstungslobby so prächtig gelingen.

Es war nicht nur “die Politik”, die einfach bedenkenlos weiter machte, als wär’ nix. Die Medien machten mit. Der Profisport machte weiter. Die Notstände in Bildung, Gesundheit und Pflege “machen” auch einfach weiter.

Einschub: die Pandemie war nicht der “Putsch”, sondern nur ein praktischer Anlass. Über ihr Management lässt sich streiten. Über die Gefahr, die von ihr ausging dagegen kaum.

Bertelsmann legt sich selbst in Schutt und Asche

Ich gestehe: die Beschäftigten von Bertelsmann tun mir nur noch leid. Aber mir selbst als Konsument wird nichts fehlen. Ich habe in meiner Jugend gelegentlich Zeitschriften von Gruner&Jahr gekauft und mit Interesse gelesen. Vor den “Hitler-Tagebüchern” fand ich den Stern bisweilen kritischer und damit seriöser als den Spiegel. Die Brigitte liess sich von der Emma gelegentlich zu Feminismus-Anflügen antreiben.

Und RTL hatte in den 80er und 90ern sogar Anfälle von Entertainment-Kreativität. Die machten ARD und ZDF richtig Angst, produzierten Filme, Serien, Shows und waren Marktführer mit knapp 20%. Geblieben davon ist weniger als die Hälfte.

Nun wollte der Bertelsmann-Vorstand die maroden Läden zusammenlegen. Julia Jäkel, Gattin von Ulrich Wickert, flüchtete schnell, weil sie es mutmasslich kommen sah. Auch RTL-Chefs beeilten sich, das sinkende Schiff zu verlassen. Bertelsmann-Boss Thomas Rabe steht jetzt da, wie der kontrollwütige Despot, der glaubt, “alles selbermachen” zu müssen. Und jede*r weiss, dass das nicht geht. Meedia (Holtzbrinck-Konzern) weiss es, und “kress” auch.

Dieses Beispiel zeigt, dass nicht nur öffentliche Anstalten zu doof zu professioneller Unternehmenskommunikation sind, sondern private Konzerne, immerhin in diesem Fall die Nr. 1 des German-Private-TV, ganz genauso. Sie können exakt das nicht, wozu sie da sind.

Bertelsmann gehörte mal zu den TOP5 weltweit. Es war die Zeit, als NRW-Ministerpräsident Clement ihnen alle Wünsche von den Augen ablas und persönlich um die Welt reiste, um ihnen zu Diensten zu sein. Die NRW-SPD meinte damals allen Ernstes, Bertelsmann seien gegenüber den Kohl-Spendern von Kirch “die Guten”, und so mächtig und stark, dass eine Partei lieber macht, was die sagen. Ich wusste damals schon, was das für ein Irrtum war. Aber die Menschen lernen nur aus Erfahrung. Die SPD hat nichts mehr von Bertelsmann – und umgekehrt. Abstiegskandidaten aus der ersten Liga.

Auch interessant

Explosiver und wichtiger geht es nicht. Wenn Sie heute Nacht ruhig schlafen wollen, überspringen Sie diesen Absatz lieber. Ingar Solty/Jacobin: Russisches Roulette mit der Ukraine – Befürworter der Panzerlieferungen beschwichtigen die Ängste vor einer Ausweitung des Krieges. Was sie verschweigen: Ob Putin seine Eskalationsdominanz ausspielt oder nicht, kann niemand ausschließen.”

Philipp Fess/telepolis: Energie- und Umweltkrise: Systemische Parallelen zu den 1970ern – Neuordnung der politischen Kraftverhältnisse. Was die Ölpreiskrise mit dem Klimawandel zu tun hat. Ressourcenknappheit als Vorwand (Teil 1).” Vgl. dazu auch Jens Berger/nachdenkseiten: “Kommentierte Leserbriefe zu ‘Hintergrund: Denkfehler Dollarhegemonie'”.

Leon Gerleit/telepolis: USA und Ukraine: Revival der Brzeziński-Doktrin – Washington verfolgt geopolitische wie wirtschaftliche Interessen. Die Rüstungsindustrie profitiert. Telepolis-Serie: Positionen der Mitglieder des Sicherheitsrats (Teil 1)”.

Dazu ein Zwischenfazit von Kommissar Schimanski (1986; Buch: Chiem van Houweninge und Hartmut Grund): “Für mich ist die ganze Welt ein Arsch. Die rechte Arschbacke sind die Amerikaner, die linke Arschbacke sind die Russen. Und wir hier in Europa, wir sind das Arschloch.”

Hübscher Effekt – mit Substanz?

Die Gestalter*innen der heise-online-Startseite hatten jedenfalls ihren Spass. Nils Jacobsen: Big-Tech-Massenkündigungen: Die fetten Jahre sind vorbei – Big Tech hat mehr als 50.000 Mitarbeiter entlassen – viele Patagonia-Westen-Träger. Im Verhältnis zu vorherigen Einstellungen ist der Stellenabbau eher gering.” Und dann das: Andreas Knobloch: Silicon Valley feuert, Deutschland stellt ein – Deutschland will die Massenentlassungen im US-Tech-Sektor nutzen und verstärkt Software-Experten einstellen und so den eigenen Fachkräftemangel beheben.”

Schöner Spass

Gerhard Henschel hat endlich mal wieder einen seiner beliebten und gefürchteten Schlüsselromane vorgelegt: “Soko Börsenfieber”. Aufmerksam darauf wurde ich durch eine launige Rezension von Norman Philippen/Junge Welt: Der Geruch von Napalm am Morgen – Biberschwanzgroße Brauen: Gerhard Henschels neuer Überregionalkrimi »Soko Börsenfieber«”. Wie immer müssen Leser*innen die Tatsachen und Fiktionen selbst sortieren. Und vielleicht kommen Sie selbst vor? Wenn Sie dem Autor einen Gefallen tun wollen: sofort verklagen!

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Norman Philippen

    Dank für die Erwähnung meines Artikels, Herr B.!
    An welcher Stelle meine Besprechung allerdings “launisch” gewesen sollte, erschließt sich mir nicht. Der ich doch dem guten G. Henschel immer wohlgewollt bin und eine Rezension verfasst habe, die dies it jeder Silbe unterstrichen hat.

    Sonnige Grüße

    Norman Philippen

    • Martin Böttger

      “Launig”, nicht “launisch”! D.h. Sie haben Ihre Stimmung vom Lesen direkt zum Schreiben mitgenommen. Ich hatte schon den nächsten meiner gefürchteten Tippfehler gefürchtet …
      Sonne, ja, die könnte ich mal wieder vertragen. Freundliche Grüße zurück.

© 2024 Beueler-Extradienst | Impressum | Datenschutz

Theme von Anders NorénHoch ↑