Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Aus der Gerüchteküche

Koreanisierung der Ukraine?

Russland benötigt zum Jahrestag seines Angriffs auf die Ukraine dringend irgendeinen propagandistischen Erfolg. Wie könnte der aussehen?

Am Krieg gegen die Ukraine überrascht von russischer Seite bisher die fast vollständige Dumpfheit des Vorgehens – auf allen drei Clausewitzschen Ebenen des kriegerischen Agierens: militärisch, diplomatisch, propagandistisch. Nur nach innen, in Russland selbst, konnte Putin die öffentliche Meinung halbwegs dominieren.

Gleichzeitig hat sich Putin in der Ukraine militärisch weitgehend festgerannt. Seit Monaten versandet eine russische Angriffswelle nach der anderen. Eine womöglich sechsstellige Zahl von russischen Soldaten ist bereits tot. Nicht einmal die strategisch unwichtige Kleinstadt Bachmut konnte man bisher erobern.

Eigentlich müsste Russland jetzt irgendeine Initiative starten, um am 24. Februar nicht ganz so betröpfelt dazustehen. Soll ein „Plan B“ für die Ukraine, wie er seit einigen Tagen in Artikeln und Berichten immer wieder auftaucht, diese Rolle übernehmen?

Danach könnte Russland (oder auch China?) eine Zweiteilung, also eine Art Koreanisierung der Ukraine vorschlagen. Der Ex-Ukrainer, Oligarch und enge Putin-Spezi Medvechuk könnte als Vertreter einer “russlandfreundlichen Ukraine“ aufs Schild gehoben werden, mit der Russland dann (letztlich mit sich selbst) Gespräche über eine Teilung der Landes führt. Dabei könnte die Ostukraine, die Krim und ein Landweg zur Krim einer solchen scheinunabhängigen Ukraine zugeschlagen werden. Das Ganze könnte dann als russischer (chinesischer?) Friedensvorschlag verkauft werden, um auf diese Weise ein wenig aus der russischen Selbstisolierung herauszukommen.

In Deutschland könnte ich mir schon eine „Fünfte (Hufeisen-)Kolonne“ rund um Wagenknecht und AfD vorstellen, die so etwas begeistert als „konstruktiven Friedensvorschlag“ aufgreift und propagiert. Auch für eine in Teilen verwirrte Intellektuellenlandschaft wären das zusätzliche Nebelschwaden aus Putins Propagandaküche.

Dass ein solcher Koreanisierungsplan eigentlich der direkten Annexion von Teilen der Ukraine durch Russland, die Putin ja ebenfalls verkündet hatte, widerspricht, dürfte den Mann nicht weiter stören. Als alter KGB-ler hat er stets mehrere Bälle in der Luft – „Maskirowka“ nennt man das wohl im entsprechenden Jargon.

Ein solches Spielchen wäre das, was vom Zocker Putin jetzt eigentlich erwarten ist. Ja, ich frage mich, warum er so etwas nicht schon längst inszeniert hat. Zu hoffen ist, dass nicht allzu viele Menschen bei uns auf eine solche Propagandashow hereinfallen – während das Morden seitens russischen Armee unverändert weitergeht.

Mehr zum Autor hier.

Über Reinhard Olschanski / Gastautor:

Geboren 1960, Studium der Philosophie, Musik, Politik und Germanistik in Berlin, Frankfurt und Urbino (Italien). Promotion zum Dr. phil. bei Axel Honneth. Diverse Lehrtätigkeiten. Langjährige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent im Bundestag, im Landtag NRW und im Staatsministerium Baden-Württemberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Philosophie, Musik und Kultur. Mehr über und von Reinhard Olschanski finden sie auf seiner Homepage.

5 Kommentare

  1. Martin Böttger

    Den entscheidenden Punkt erwähnst Du am Schluss: das Morden, das im Krieg gewöhnlich nicht nur eine, sondern, auch in diesem Fall, diverseste Armeen praktizieren. Das muss aufhören, wie auch immer. Die politischen “Spielchen” darum, ebenfalls diversester Beteiligter, laden zum Streiten ein. Wichtiger ist, dass es möglichst viele Überlebende gibt.

    • Reinhard Olschanski

      Im Rechtsstaat und im Völkerrecht gibt es das Recht auf Notwehr. Habe den Eindruck, dass Du mit Deiner etwas pauschalen Formulierung, dass in diesem Krieg „diverseste Armeen“ das „Morden“ betreiben, diesen Unterschied etwas verwässerst, lieber Martin. Die Abwehr eines Angriffs ist nicht das Gleiche wie ein Angriff. Ob und inwiefern bei der Abwehr des russischen Angriffs auf ukrainischer Seite ebenfalls gegen Recht verstoßen wurde, wird genau zu untersuchen und ggf. zu sanktionieren sein. Doch den Unterschied zwischen dem Losbrechen eines Angriffskriegs und dem Recht auf Selbstverteidigung würde ich nicht verwischen. Da sollte man sehr präzise Formulieren.

    • Martin Böttger

      Den Unterschied sehe ich als Lebender. Für die Toten ist er egal. So wie es beim Atomkrieg egal wäre, wer ihn “angefangen” hätte.

    • A.Holberg

      ich frage mich ob es, wenn nicht durchsichtig interessengleitet, nicht zumindest etwas kindisch ist, so mir nichts Dir nichts stets denjenigen der den ersten Schuss getan hat, zum (Allein-)Schuldugen am Krieg zu erklären. Selbst, wenn das “Völkerrecht” (wer hat das unter welchen historischen Bedingungen formuliert und wer hat ernsthaft das moralische Recht, davon stets nach Bedarf zu schwafeln, wenn es stets nach Bedarf folgenlos ignoriert wurde und wird?) Entsprechendes festlegt. Welches “Recht” z.B. legt fest, das diejenigen, die erfolgreich eine gewählte Regierung wegputschen (die Sieger des maidan 2014: USA und ukrainische Rechtsradikale), diejenigen ungestraft blutig unterdrücken dürfen, die das nicht mitmachen wollen (russische Staatsbprger der Ukraine u.a. im Donbass )?

  2. A.Holberg

    Nachtrag: 1. eine paraphrasierte Einschätzung des französischen Philopsophen und Staatstheoretikers Montesquieu (1689 – 1755) zum Problem der Kriegsschuld: MAN darf in Sachen des Krieges nicht die offensichtlichen Ursachen mit den tieferen Ursachen verwechseln, und man darf diejenigen, die den Krieg ausgelöst haben, nicht mit denjenigen verwechseln, die ihn unvermeidlich gemacht haben.
    2. als ich ca. 12 Jahre alt war hatte ich einem Mitschüler, der mich jeden Morgen auf dem Weg zur Schule von hinten stieß und an der Kleidung zupfte. Ich habe ihm mehrfach gesagt, er solle das sein lassen. schließlich habe ich mich umgedreht und ihm eine blutige Nase gehauen. Wir wurden zum Rejtor bestellt, ich wurde ermahnt, aber das war das letzte mal, dass “mein Opfer” mich geärgert hat.
    3. “Der Geschichte ist es gleichgültig, wir etwas geschieht. Sie stellt sich auf die Seite der Vollbringer, der Vollender.” (Christian Friedrich Hebbel, 1813
    63)

© 2024 Beueler-Extradienst | Impressum | Datenschutz

Theme von Anders NorénHoch ↑