Beueler-Extradienst

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Larmoyanz

Vorweg das Positive: politisch stimme ich den Kollegen Goeßmann/telepolis und Schillo/overton zu. Es sind die Untertöne, die mich stören, und gleichzeitig Hinweise geben, warum die deutsche Linke so in der Sackgasse vegetiert. Hier zunächst die Vorstellung ihrer Texte.

David Goeßmann/telepolis: Das Hersh-Bennett-Syndrom der Medien: ‘Kill The Message!’ – Verdrehungen und Schmutzkampagnen: Damit werden Aussagen vom israelischen Ex-Premier Bennett und US-Starreporter Hersh zum Ukraine-Krieg attackiert. Wenn ARD-Faktenfinder die Fakten nicht finden können.”

Johannes Schillo/overton: Was man über die Vorgeschichte des Ukrainekriegs nicht wissen darf – Wer gegen die verordnete Amnesie in Sachen neue Weltkriegslage antritt, hat in der Öffentlichkeit kaum noch eine Chance”.

Nun zur Larmoyanz. Schon Schillos overton-Überschrift “was man … nicht wissen darf” ist Unfug. Andreas Zumachs Erinnerung “Nato-Osterweiterung” war im Beueler Extradienst des vergangenen Jahres der meistgelesene Text, mehrere Tausend, und nach oben offen. Niemand hat den verboten oder unterdrückt. Zweifellos wäre es besser, wenn den ein paar Tausend mehr lesen. Das ist möglich, für Zumach wie für Schillo.

Beide Autoren lamentieren wechselnd über “die Medien” wie über “die Leitmedien”. Dabei sind sie selber eins. Wo fängt ein “Leitmedium” an? Tatsache ist: immer weniger Menschen kaufen gedruckte Zeitungen, immer weniger Menschen glotzen in die Glotze. Was relevanter wird, sind die asozialen Medien globaler IT- und Datenkonzerne. Die werden entweder aus Kalifornien oder aus China gesteuert und in Profit verwandelt. Und davon viel.

Die Medien in Deutschland, die sich von einseitiger Kriegspropaganda einspannen lassen – ja, das ist von denen, die in Deutschland versuchen noch verkauft zu werden, die Mehrheit – graben sich damit mit erhöhter Geschwindigkeit ihre eigene Grube. Goeßmann z.B. hat auch weise Sätze: “Man kann die mediale Reaktion auf Hersh – wie auch auf Bennett – durchaus als Übersprungshandlung interpretieren, als Verlegenheits- und Beruhigungsgeste von gestressten Medien, die sich im Informationskontrollverlust befinden.” Er behauptet im Folgenden, das sei “effektiv”. Das ist nachweislich falsch. Am Schluss dementiert er sich selbst: “Wir haben auf Telepolis immer wieder darüber berichtet.” Ja, was denn nun?

Schillo/overton schreibt: “Dass bei den hiesigen Produzenten und Konsumenten der öffentlichen Meinung das Ignorieren solcher Sachverhalte – deren Aufdeckung wahrlich keiner großen analytischen Anstrengung bedarf – flächendeckend gegriffen hat, ist ein bemerkenswerter Akt der Volksverdummung.” Wie viele Umfragen müssen denn noch gemacht werden?

Schillo schliesst: “Dank diesem Moralismus, der die landläufige patriotische Moral bediente und veredelte (teils auch provozierte), kann Deutschland mittlerweile mit imperialer Selbstgerechtigkeit auftrumpfen. Die Nation, die einst mit der Zivilisation brach, hat – weil sie den Fehler ihres damaligen imperialistischen Alleingangs eingesehen hat – alles Recht der Welt, andere Nationen an den Pranger zu stellen. Kurz gesagt, wie es im Overton-Magazin knapp zwei Wochen vor Kriegsbeginn hieß, Deutschland bleibt sich treu und der neue Feind der alte: Russland!”

Welches Deutschland?

Welches Deutschland meint der Mann? In der Republik, in der ich lebe, hat die Mehrheit berechtigte Angst vor einem Atomkrieg, wünscht darum die schnellstmögliche Beendigung des Ukrainekrieges, wie auch immer, und ist mit einer klaren Mehrheit gegen seine Eskalation durch ihre eigene Regierung. Diese Mehrheit hat jede Sympathie für die eine oder andere Seite des Ukrainekrieges verloren – wenn sie jemals eine hatte.

Richtig ist: diese Mehrheit ist mehrheitlich nicht medienkompetent, sondern medienallergisch. Sie will ihre Ruhe haben, weil sie andere Sorgen hat, und genug persönlichen Stress (s. neoliberaler Kapitalismus, Selbstoptimierung, innere Kündigungen, Burnout usw. usf.). Sie lesen also – obwohl sie es alle könnten – weder telepolis, noch overton, noch nachdenkseiten, noch Extradienst usw. usf. Und trotzdem kommt es zu diesen Mehrheiten. Trotz der Regierung, trotz den “Leitmedien” …

Was fehlt ist ein seriöses Politikangebot für diese Mehrheit. Die (noch einfache, demnächst absolute) Mehrheit geht nicht wählen, obwohl sie es könnte, und in früheren Jahrhunderten für dieses Recht bei Lebensgefahr gekämpft werden musste.

Das liegt nach meiner persönlichen Meinung an der solidaritätsfeindlichen neoliberalen Überformung der Charaktere, auch und gerade innerhalb der Linken. Ich persönlich habe es reichlich in den Grünen erlebt. Aber nehmen Sie nur mal die klugen und schönen Frauen Wagenknecht und Kipping. Gibt es tiefere Feindschaften?

Dabei ist es längst erforscht: „Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. – Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts!“ – Joseph Wirth: Der Reichskanzler anläßlich der Ermordung des Reichsaußenministers Walther Rathenau. Rede im Deutschen Reichstag, 25. Juni 1922

Chinas Realos

Lesen Sie ergänzend auch Michael Maier/Berliner Zeitung: China will nicht wie der Westen sein: ‘Wir haben eine andere Art zu leben’ – Im Konflikt zwischen China und den USA geht um mehr als nur die Wirtschaft: China ist nicht bereit, die liberale Weltordnung des Westen zu übernehmen.”

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

4 Kommentare

  1. Peter König

    @martin.boettger Die Medien in Deutschland, die sich von einseitiger Kriegspropaganda einspannen lassen – ja, das ist von denen, die in Deutschland versuchen noch verkauft zu werden, die Mehrheit – graben sich damit mit erhöhter Geschwindigkeit ihre eigene Grube. Aber ist es nicht eine kritische Masse aus alten und neuen Medien (+Investoren), die im Gleichklang unseren Diskursraum, unsere Wahrnehmung und ergo ihren Erfolg und damit ihre Zukunft definieren?

  2. Martin Böttger

    Einen “Gleichklang” nehme ich nicht wahr. Dieser Blog ist seit seiner Existenz voll von Hinweisen auf das Gegenteil.

    • w.nissing

      wie groß ist denn die hiesige Echokammer bzw das was hier von dir verlinkt wird. Meine Erfahrung in meinem Umfeld sagt mir etwas anderes und das speist sich durchaus aus Medienerfahrenen, z T sogar aus Medienschaffenden.
      Was da an krudem Zeugs nachgeplappert wird lässt mich oft verzweifeln und da geht es nicht um andere Meinung sondern schlichtweg um Falschinformation bzw Lücken. Ein klitzekleines Beispiel die OECD- Zahlen vom 12 – 22.2 2022 oder Russen sind alle versoffen (daher letztens die etwas kryptische Verlinkung auf Wikipedia)

  3. Peter König

    Ein Beispiel für Hybris und Definition des Diskurs-Raumes

    ÖRRs feiern einen angeblichen Erfolg unserer Außenministerin, mit China nun “Staaten aus Asien und Afrika in die Allianz gegen Russland zu holen”

    Dass die B(R)ICS-Staaten und Afrika aber aufgrund ihrer Kolonialisierungserfahrung von der EU/US-Position distanzieren könnten? Kein Thema.

    Medial-kollektiv wird aber proaktiv aufgeschrien, falls China nicht nach USA/EU-Regeln mit Russland verhandeln sollte.

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