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WANTED: Wladimir W. Putin

Der Europäische Strafgerichtshof in Den Haag hat gegen Wladimir Wladimirowitsch Putin einen Haftbefehl erlassen, der ihn wegen Bruch des Völkerrechts, Führung eines Angriffskrieges und Entführung von Kindern aus der Ukraine zur Fahndung ausschreibt. Weil nur etwa 123 Staaten den internationalen Strafgerichtshof anerkennen, ist seine Wirksamkeit beschränkt – nicht zuletzt, weil die USA, Russland und China diesen Internationalen Strafgerichtshof nicht anerkennen. Der Kanzler nannte den Haftbefehl “ein starkes Signal für das internationale Recht” – ist es das wirklich?
Ein wirklich “starkes Signal für das internationale Recht” wäre, wenn die USA und Israel endlich dem Abkommen über den Internationalen Gerichtshof beiträten und ihn als internationale Institution anerkennen würden, anstatt sich partiell nicht viel anders als Schurkenstaaten zu benehmen. Es würde den unhaltbaren Zustand beenden, dass in Guantanamo jenseits allen Rechts weiter Menschenrechte verletzt werden, oder wie aktuell Nethanjahus Rechtsextremisten an der Regierung den Rechtsstaat der israelischen Verfassung abschaffen, damit demnächst korrupte Despoten das “gelobte Land” nach Gusto regieren können. Aber wen soll der Haftbefehl gegen Putin überzeugen, wo er sich dem doch weiter entziehen kann?

Politisch kontraproduktiv

Seine eigenen Mitregierenden, die dadurch noch mehr darin bestärkt werden, von verbrecherischen Angreifern in die Rolle der “armen, missverstanden Opfer” des imperialistischen Westens zu schlüpfen und ihrem Volk das Märchen von der faschistischen Unterwanderung der Ukraine zu erzählen? Den Teil der russischen Bevölkerung, die Putins Märchen glauben, und für die die Wiedererrichtung der alten Sowjetunion ein feuchter Tagtraum ist? Die indifferenten Mitglieder der UNO wie Indien, Südafrika, China und Brasilien, die wichtige Partner sein könnten, um Putin vielleicht doch zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand zu bewegen?  Wird nicht jedes Land, das sich um Verhandlungen mit einem “gesuchten Verbrecher” bemüht, durch dieses Haftbefehl nicht ebenso diskreditiert? Ist das etwa eine gewollte oder ungewollte Nebenwirkung?

Rechtlich zunächst wirkungslos

Nicht nur in Russland und allen Staaten, die nicht die Konvention über den Gerichtshof in Den Haag unterschrieben haben, darunter die Türkei, der Iran und Indien, scheren sich nicht um den Steckbrief, der hier auf den Kopf Putins öffentlich ausgesetzt worden ist. Glauben die Jurist*inn*en in  Den Haag ernsthaft, wenn es denn etwa Waffenstillstandsverhandlungen gäbe, und diese in einem Staat stattfänden wie Kirgisien, das das Abkommen unterschrieben hat, dass dann dort Putin nicht einreisen könnte, weil er mit der Verhaftung rechnen müsste? Es wird spannend sein, zu beobachten, was passiert, wenn beim nächsten G20-Gipfel in Indien Wladimir Putin einreist. Wird ihn dann Annalena Baerbock in den Polizeigriff nehmen? Wäre es nicht ein Triumph für ihn, wenn das gerade nicht passiert? Ginge dann der “Schuss nach hinten los?”

Begründungen und Nicht-Verfolgungen müssen verwundern

Natürlich sind unabhängige, rechtsstaatliche Justiz und diplomatisches Fingerspitzengefühl auf politischer Ebene zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Aber als politisches Gesamtbild muss es schon erstaunen, dass  nicht längst auch die Kommandeure der iranischen Revolutionsgarden die Massenmorde und Verbrechen gegen die Menschlichkeit  an iranischen Demonstrantinnen begehen, mit Haftbefehl gesucht werden. “Florian Rötzer – Overtone” stellt zudem die Frage, wieso eigentlich der Haftbefehl gegen Putin und seine “Kinderrechtsbeauftragte” vor allem auf Verschleppung von Kindern abstellt, wo es doch genügend andere Indizien für Menschenrechtsverletzungen, Vergewaltigungen oder Angriffe auf die Zivilbevölkerung gibt, die als Kriegsverbrechen gelten. Unverständlich ist auch, dass die EU bisher nicht die Kraft gefunden hat, die Revolutionsgarden als Terrorinstrument der Mullahs endlich auf die Terrorliste der EU zu setzen.

Das Fell eines Bären verteilen, der frei herumläuft?

Keine Frage, dass es zu begrüßen wäre, wenn Putin und seine Regierung für den Überfall auf die Ukraine in der Zukunft auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Aber welchen Sinn hat ein Haftbefehl, von dem jede/r vernünftige Beobachter*in weiss, dass er nicht vollstreckt werden kann? Was ist ein solcher Haftbefehl mehr, als ein politischer Wunsch des Westens und der Ukraine? Ist er ähnlich zweifelhaft, wie die ukrainische Klausel in der Verfassung, die 2022 vom Kriegsparlament verabschiedet wurde, und Präsident Selenskij direkte Verhandlungen mit Russland bei Strafe verbietet? Was hat dies mit rechtsstaatlich-liberalem Verständnis von Demokratie zu tun? Wenn es dem Westen um eine klare Verurteilung von Despoten und Despotismen geht, sollte er sich nicht durch derartige Widersprüche angreifbar machen. Denn gerade unter denjenigen Staaten, die bisher zögern, Russlands Krieg zu verurteilen, haben einige, wie z.B. Südafrika, ein besonders Gespür für Glaubwürdigkeit und Konsistenz westlicher Politik entwickelt.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

4 Kommentare

  1. Helmut Lorscheid

    Die Ukraine hat nun mal gar nichts mit Demokratie zu tun. Das ist ein Regime, in dem Faschisten und Nationalisten eine wichtige Rolle spielen. Wer kontrolliert eigentlich die Verwendung der Milliarden die von dieser korrupten EU-Kommission an diese korrupte Regime in Kiew gezahlt worden? Im Bundestag habe ich auf diese Frage bisher keine vernünftige Antwort bekommen. Die Bundesregierung hat mich auf meine Frage nach der Kontrolle der Verwendung der Gelder richtig – an den Bundestag verwiesen.

  2. Stefan

    Auch interessant: Der Bruder des Chefanklägers (Imran Ahmad Khan) wurde einen Tag nachdem dieser die Anklageanträge gestellt hatte, aus dem Gefängnis entlassen:
    https://www.icc-cpi.int/news/situation-ukraine-icc-judges-issue-arrest-warrants-against-vladimir-vladimirovich-putin-and
    https://www.bbc.com/news/uk-england-leeds-64723116
    Kann natürlich auch üblich sein, dass man nach der Hälfte der Haftzeit rauskommt.

  3. Peter Clever

    Vielleicht ist die individuelle Beweislage zu den widerwärtigen Kindesentführungen und Zwangsadoptionen extremst stabil? Vieles an Menschenrechtsverletzungen ist offenkundig, aber für gerichtsfeste Beweislage möglicherweise noch angreifbar. Wie Du, Roland, angesichts des Leides der Kinder und Eltern von „weit hergeholten Vorwürfen“ schreiben kannst, ist auch widerlich. Dein wütiger Antiamerikanismus scheint Dir leider den Verstand so zu vernebeln, dass Du nicht mehr bemerkst, wie Du die unsäglich verbrecherische Brutalität eines Diktators und umstrittene Unzulänglichkeiten in demokratischen Staaten auf die gleiche Ebene hebst. Es ist zum Fremdschämen.

    • Roland Appel

      Lieber Peter, ich verstehe Dich wirklich nicht. Ich habe meinen Artikel viermal nachgelesen, aber ich habe mit keinem einzigen Wort von “weit hergeholten Vorwürfen” geschrieben – warum sollte ich auch? Mein Artikel ist auch in keinster Weise antiamerikanisch : Ich liebe dieses Land, habe da viele Freunde, der amerikanischen demokratischen Linken, die etwa Ocasio-Cortez unterstützen, mit denen in in Kontakt stehe, mein bester Freund, Michael Kleff ist gerade hier in Bonn und allerdings bin ich der Meinung, dass Donald Trump ein Verfassungsfeind und Verbrecher ist, der ins Gefängnis gehört und Elon Musk, Marc Zuckerberg und Jeff Bezos Feinde der Demokratie sind, die durch ihre illegalen Machenschaften – z.B. das Ignorieren aller Datenschutzgesetze und Wettbewerbsregeln, illegales Datensammeln und Ausspähen der Datenprofile von Milliarden Menschen – unsere Demokratie und das soziale System gefährden. Wenn das Deiner Meinung nach Antiamerikanismus ist, stehe ich dazu. Alles andere ist mit Verlaub: Blödsinn.
      Putin ist ein Verbrecher, dem das Handwerk gelegt werden muss. Allerdings meine ich, dass einige Mittel dafür (noch) nicht geeignet sind. Mir kommt der Haftbefehl des IGfM so vor, als wenn die Alliierten 1942 eine Presseerklärung publiziert hätten, was ab 1946 der Nürnberger Gerichtshof umgesetzt hat, als man der Verbrecher habhaft war. Vielleicht ist Dir auch aufgefallen, dass bei der UNO-Abstimmung wieder nur 141 Staaten Russland verurteilt haben. Es geht ernsthaft darum, dieses Spektrum zu erweiteren. Um Südafrika und um Brasilien, vielleicht auch Indien, aber da halte ich die “Sünden” der USA, seit 40 Jahren mit Pakistan zu paktieren, für kaum überwindlich. Was Du mir da unterstellst, ist wirklich absurd!

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