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Asylrecht faktisch abgeschafft?

Die Bundesinnenministerin sprach von einem “historischen Kompromiss” nach der Einigung der EU-Staaten über das neue Flüchtlingsverfahren. Alle Menschen, die “geringe Chancen auf Asyl” haben, genauer gesagt, bei denen die Anerkennungsquote unter 2% liegt, sollen in ein “Außengrenzenverfahren” gedrängt werden. Das betrifft auch Familien mit Kindern. Das bedeutet, dass in einem verkürzten Verfahren in quasi Abschiebehaftanstalten innerhalb von drei Monaten entschieden werden soll, ob eine Person Asylgründe oder ein Bleiberecht hat. Ohne NGO und Anwälte vor Ort, ohne Helfer der Zivilgesellschaft und somit weitgehend ohne demokratische Öffentlichkeit.

Denn die Unterbringung findet in Griechenland, Italien, Spanien und allen jenen Grenzländern der EU statt, in denen die Flüchtlinge  die EU betreten. Das bedeutet in der Praxis, dass in einer Art Vorverfahren geprüft wird, wer überhaupt Chancen hat, ein faires Verfahren zu bekommen. Denn ob innerhalb von drei Monaten jeder Einzelfall geprüft werden kann, muss doch stark bezweifelt werden. Der Vorteil, so Innenministerin Faeser, sei, dass weiterhin Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan aufgenommen und in der EU verteilt werden. Was etwa die Verfolgung von LGBT-Personen im Iran, in Saudi-Arabien oder neuerdings in Uganda anbelangt, es gibt Zweifel, ob etwa die faschistische Regierung Meloni in Italien faire Verfahren sicherstellen wird. Noch sind nicht alle Details des Asylkompromisses überhaupt bekannt, dem offensichtlich auch Italiens Meloni, Ungarns Orban und Polens Morawjecki  zugestimmt haben sollen. Aber die Frage stellt sich schon,  wie ein Asylkompromiss aussieht, der unter Mitwirkung der geistigen Brüder der AfD und Neonazis zustandegekommen ist.

Wie beschlossen, so negiert

Wobei die letzten beiden schon sofort wieder genau das in Frage stellen, was laut Nancy Faeser doch zum “historischen Kompromiss” dazu gehört, nämlich dass Flüchtlinge zum einen in Europa solidarisch verteilt werden sollen und Staaten, die dies verweigern, zur Kasse gebeten werden. Ungarn und Polen treiben ihren asylfeindlichen Kurs also weiter und schon deshalb stellt sich die Frage, wieso die Bundesinnenministerin trotzdem von einem “historischen Kompromiss” spricht. Es ist jetzt ziemlich genau 30 Jahre her, dass mit Herbert Schnoor der letzte liberale SPD-Innenminister seinen Widerstand gegen die Aushöhlung des Artikel 16 Grundgesetz “Politisch verfolgte genießen Asyl” aufgegeben und jener unseligen Verstümmelung des Grundgesetzes zu Artikel 16a zugestimmt hat, der heute noch gilt.

Allein die Grünen und Bürgerrechtler haben der Asylabschaffung Widerstand geleistet

Zahlreiche historische Parallelen erinnern heute an die damalige Diskussion. Von “Missbrauch”, “Asylschwindel”, “Asyltourismus” sprach damals nicht die AfD, sondern die CDU. Wie heute, wenn Friedrich Merz AfD-Positionen übernimmt, haben damals CDU und CSU die Positionen der Neonazis und Straftäter übernommen, die Flüchtlingsheime überfielen und in Solingen, Hünxe, Weilerswist und vielen anderen Orten Brandanschläge begingen, die im Osten Amedeo Antonio erschlugen. Ich habe damals gemeinsam mit Claudia Roth das Buch “Die Asyl-Lüge” herausgegeben, in dem wir nachgewiesen haben, dass Neonazis, Rechtsextreme und Rassisten immer dann in der Gesellschaft die Oberhand gewinnen, wenn ihnen die bürgerliche Mitte nachgibt und ihren Thesen nicht entschieden genug entgegen tritt.

AfD profitiert davon, dass ihr die bürgerliche Mitte nicht widerspricht

Auch dies ist heute, 30 Jahre später, wieder der Fall. Dass die AfD 18% nach Umfragen an Zustimmung bekommt, hat eine wesentliche Ursache darin, dass ihr und ihren Thesen die bürgerliche Mitte der Gesellschaft nicht entschieden genug entgegentritt. Friedrich Merz unterscheidet sich rhetorisch kaum noch von der AfD, was Flüchtlinge anbelangt. Das gilt nicht nur für Parteien, das gilt auch für viele Medien. Die Art, über Flüchtlinge und Fluchtursachen zu berichten, die Hintergründe und Fluchtursachen zu benennen, sondern nur noch die Frage nach der Abeschottungsfähigkeit des Staates zu stellen, ist inzwischen ein Kernbestandteil der Medien von Springer, FAZ, Welt, bis weit hinein in einstmals liberale Medien wie der Kölner Stadtanzeiger, die Funke-Mediengruppe, Sogar die Frankfurter Rundschau und die “TAZ” beginnen hier herumzueiern. Und auch die üblichen “Politiksimulationen” bei Will, Lanz, Maischberger, “Hart aber Fair” oder Illner kämpfen nicht für das Asylrecht, sondern fragen die Politik permanent nach immer wirkungsvolleren Abschottungen. Dadurch entsteht – vielleicht ungewollt – ein fatales gesellschaftliches Signal. Und das ist im Kern Verfassungswidrig, was diese Medien einen Teufel schert.

Die “Größte Gefahr geht von rechts aus” konterkariert der Staat selbst

Das “Institut für Menschenrechte” der EU in Berlin stellt fest, dass alle Voraussetzungen für ein Parteiverbot der AfD eigentlich vorliegen. Anstatt gegen den braunen Dreck in der Gesellschaft anders als in Weimar wehrhaft vorzugehen, könnte es sein, dass diese Bundesregierung, die angetreten ist, gesellschaftlich anders, liberaler zu agieren, als ihre Vorgängerregierungen, in der Auseinandersetzung mit Rechts versagt. Indem sie den Rechten de Facto recht gibt und dieselbe Abschottungspolitik betreibt, die die Rechte fordert. Und dieselbe Bundesinnenministerin, die angeblich die größte Gefahr für die Demokratie bei den Rechtsextremisten sieht, stellt sich hinter die überzogenen Polizeiübergriffe und Einkesselungen von linken Demonstranten in Leipzig, Das ist absurd.

Bürgerrechte sind  erneut in höchster Gefahr 

Das klare Eintreten für das Grundrecht auf Asyl gehört zur DNA der Grünen seit ihrem Einzug in den Bundestag vor 40 Jahren. Es mag viele Fragen geben, über die in einer Koalition sachlich und politisch gestritten werden kann, um Kompromisse zu finden. In der Frage der Grundrechte kann und darf es keine Kompromisse zulasten der individuellen Freiheitsrechte geben. Hier muss Koalitionsdisziplin enden und die Gewissensfreiheit der Abgeordneten gemäß Artikel 38 Grundgesetz Vorrang haben! Wo eigentlich sind die Bürgerrechtler in der FDP, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Konstantin Kuhle oder Gerhart Baum? Und was tut ein Justizminister Buschmann, der an Gerhart Baums 90.Geburtstag im November 2022 noch davon sprach, dass er selbst gerne manchmal Gerhart Baum sein möchte? Jetzt könnte es es wahr machen!

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

5 Kommentare

  1. Philipp Alexander Vollmer

    @rolandappel Ist das konform mit den Washingtoner Zusatzabkommen?Das ist schließlich genauso deutsches Gesetz wie die GFK selbst.

    • Roland Appel

      Das könnte die EU kaum interessieren. Das internationale Recht ist in diesen Fragen wachsweich und es kommt darauf an, was Betroffene einklagen, das gilt genauso für die GFK.

  2. Senioradmin

    @rolandappel Ja, Europa bewegt sich in Riesenschritten auf das australische Modell zu.

  3. Peter Lessmann-Kieseyer

    Lieber Roland Appel, dieser sogenannte Asylkompromiss der EU ist nur ein weiterer Höhepunkt der menschenunwürdigen, um nicht zu sagen der menschenverachtenden, Asylpolitik dieser Europäischen Union. Pro Asyl spricht zu Recht von einem Ausverkauf des Menschenrechts auf Asyl. Dass nun die Grünen (mit Ausnahme der Grünen Jugend) und insbesondere jene, die Teil der Bundesregierung sind wie Robert Habeck und Anna-Lena Baerbock, diesen Kompromiss auch noch verteidigen, ist skandalös und zeigt, dass sie jegliches Rückgrat und ihren Wertekompass verloren hat. Zugleich wetteifern FDP und auch SPD in Gestalt der Bundesinnenministerin um die Hoheit bei der Asylrechtsverschärfung – alles nur um rechte Narrative zu bedienen. Das ist beschämend. Ich habe längst aufgehört, irgendetwas von dieser Ampelkoalition und vor allem von diesen skrupellosen Grünen zu erwarten. Ich bin ich fassungslos …. Zivilgesellschaftlicher Widerstand gegen diese Politik ist heutzutage notwendiger denn je.

  4. Martin Böttger

    Ich bin ja schon in prädementem Alter: was war noch mal genau der Grund, warum sich Ukrainer*innen und Russ*inn*en derzeit totschiessen lassen müssen?
    Besser als Thomas Gsella kann ichs auch nicht ausdrücken:
    https://www.jungewelt.de/artikel/452426.lyrische-hausapotheke-neue-cree-weissagung-entdeckt.html

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