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Bayern: Abhören mit System

Justiz und Polizei in Bayern haben – und tun es vermutlich immer noch – die Umweltaktivisten der “Letzte Generation” systematisch mit heimlichen Lauschangriffen auf ihren Telefonen observiert. Dabei haben sie auch vor Gesprächen mit Journalist*inn*en nicht halt gemacht, obwohl diese nach der Strafprozessordnung wie Arzt-, Anwalts- und Seelsorgeberufe besonders geschützt sind. Das ist nicht nur unverhältnismäßig, es ist ein Übergriff auf die Bürgerrechte, die in Bayern nicht zu gelten scheinen.

Nein, in Bayern gilt neuerdings das Recht des diffamierenden CSU-Funktionärs. Öko-Terroristen seien die Mitglieder der “Letzten Generation”, “eine Öko-RAF” hat Alexander Dobrindt, Landesgruppenvorsitzender der CSU-Gruppe im Bundestag am 23. April 2023 gefordert und er wollte “härtere Mindeststrafen” und beklagt scheinheilig “die Aktionen könnten auch in Gewalt enden”. Sein Vergleich von Menschen, die sich unter hohem Risiko von eigenem Leib und Leben vor tonnenschwere SUVs setzen, sich anbrüllen, bespucken, prügeln, ohne Rücksicht auf mögliche Verletzungen von der Straße zerren lassen, mit Täter*inne*n der “Roten Armee Fraktion”, die in den 70er Jahren hochrangige Politiker und Wirtschaftslenker entführt und ermordet hatten, die die deutsche Botschaft in Stockholm besetzten und die Lufthansa-Maschine Landshut entführen ließen, ist so infam wie gezielt. Er bringt die politisch besetzte Generalstaatsanwaltschaft in Bayern dazu, den umstrittenen § 129 StGB “Bildung einer kriminellen Vereinigung” bei der Strafverfolgung anzuwenden.

Bayern betreibt systematisch politisch motivierte Kriminalisierung

Allein diese umstrittene Entscheidung macht schon deutlich, dass es sich hier um kein rechtsstaatliches Vorgehen  handelt. Denn nur, wer den Blockierern unterstellt, dass sie eine Straftat mit mehr als zwei Jahren Mindeststrafe  – Nötigung käme in Betracht, ist aber bei politisch motivierten Sitzblockaden verfassungsgerichtlich verworfen – planten. Dies ist aber offensichtlich nicht der Fall. Auch Porschefahrer Christian Lindner konnte es nicht lassen, den Aktivisten “Sachbeschädigung” zu unterstellen, ohne zu erklären, welche Sache sie denn beschädigt hätten, indem sie sich am Asphalt festklebten, von dem man sie später wieder ablöste. Da wundert es nicht, dass im Netz ein Video kursiert, das eindeutig beweist, dass Polizisten einem Demonstranten der Gruppe absichtlich und angekündigt Schmerzen zugefügt haben.

Angebliche Verhältnismäßigkeit festgestellt

In den kommenden Prozessen wird es sich zeigen, welche Art von Verhältnismäßigkeit es ist, die der bayrische Amtsrichter angeblich geprüft hat, der die TÜ-Maßnahmen und Grundrechtseingriffe zum Schaden der “Letzten Generation” und der von ihnen kontaktierten Journalist*inn*en genehmigt hat. Nach der bundesweiten Durchsuchungsaktion bei Mitgliedern der “Letzten Generation” ist dies nun der zweite politisch motivierte Angriff der bayerischen Justiz gegen junge Umweltaktivist*inn*en, die nichts anderes tun, als die Friedensbewegung der 80er Jahre getan hat, die sich vor Raketendepots gesetzt hat, um den Abzug der atomaren Mittelstreckenraketen Pershing 2 zu erreichen. Zwar haben sich die Friedensdemonstranten wie Petra Kelly, Gert Bastian und viele andere nicht mit Sekundenkleber angeklebt, sondern sich widerstandslos wegtragen lassen.

Aber wie die Klimaaktivisten heute, die grundsätzlich eine Fahrspur “ungeklebt” lassen, haben die Blockierer von damals immer einen von drei oder vier Eingängen der Raketendepots frei gelassen. Wer so vorgeht, macht hinreichend deutlich, dass es um die politische Aktion und nicht darum geht, Straftaten zu begehen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Mutlangen-Urteil deutlich gemacht, dass Blockaden nicht in jedem Fall pauschal als Nötigung bewertet werden dürfen. Das Urteil ist wohl in Bayern noch nicht gelesen worden oder wurde aus den Gerichtsbibliotheken entfernt. Verwunderlich wäre das nicht, hat doch der Ministerpräsident kürzlich den rechtsextremen und von Donald Trump ausgebildeten Ron De Santis besucht, der es mit der Wahrheit und der Demokratie nicht so ernst nimmt, um für seinen Landtagswahlkampf zu lernen.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Kevin Karhan

    @rolandappel natürlich tun die das, weil solche illegalen Aktionen keine Konsequenzen haben! Solange niemand zur Verantwortbarkeit gezogen und geknastet wird, wird das auch weiterhin passieren…#WhatYouAllowIsWhatWillContinue

  2. Joachim Rieß

    Das hast Du wieder sehr gut auf den Punkt gebracht!

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