Finanzminister Christian Lindner will den hohen Spritpreis mit einem Tankzuschuss auf unter zwei Euro pro Liter Diesel oder Benzin drücken. Die konkrete Ausgestaltung ist offen. Es ist erstaunlich, dass ein erfahrener Politiker wie Christian Lindner einen solch unüberlegten Vorschlag macht. Kritik kommt von allen Seiten, aus der Politik, von Wissenschaftlern, von Gewerkschaften und von Sozial- und Umweltverbänden. Die Kritikpunkte sind vielfältig und einleuchtend:

~Wenn der Staat den Sprit verbilligt, erhöht er die Bereitschaft zum Autofahren und damit zum Verbrauch fossiler Brennstoffe. Das ist ökologisch nicht verantwortbar.

~ Ein Mehr an Autofahren bedeutet ein Mehr an Erdölimporten und verstärkt die Abhängigkeit von Russland.

~ Der Staatszuschuss fließt anteilig in den Einkauf des Mineralöls und damit in Putins Kassen.

~ Um die Mineralölkonzerne, die riesige leistungslose Gewinne einfahren, kümmert sich Lindner nicht.

~ Vom Staatszuschuss profitieren in erster Linie die Vielfahrer mit spritfressenden Großraumfahrzeugen, also die Gut- und Besserverdienenden.

~ Lindner sorgt sich nur um die Autofahrenden. Von Vorschlägen gegen steigende Strom-, Heizungs-, Miet- und Lebensmittelkosten hört man nichts.

~ Wer kein Auto hat oder nur selten damit fährt, finanziert über seine Steuerzahlungen Lindners Subventionen.

~ Lindner sagt offen, dass die Finanzierung dieser Subvention über Kredite erfolgen soll, also künftige Generationen belasten wird. Von der Schuldenbremse, die die FDP durchgesetzt hat, hält er wohl nicht mehr viel.

~ Der Tankzuschuss ist eine jener Gießkannenstrategien, die nicht zielgerecht sind und erfahrungsgemäß ihren Zweck verfehlen.

~ Nachweislich wirksame Maßnahmen wie ein Tempolimit oder gar ein autofreier Sonntag wie 1973 kommen für Lindner nicht infrage. Das könnte FDP-Wähler/innen verärgern.

~ Lindner fordert staatliche Eingriffe, obwohl sich gerade die FDP stets für die Kräfte des Marktes als Regulativ einsetzt (z.B. im Wohnungssektor).

Die Vermutung liegt nahe, dass Christian Lindner seine Tankzuschussidee nicht aus sachlichen, sondern aus populistischen Gründen vorgebracht hat.

Im Zusammenhang mit steigenden Preisen für Strom, Gas und Mieten mögen Spritpreise von 2,20 €/l abschreckend wirken. Allerdings muss man mit einem gern verwendeten Vorurteil aufräumen: Es ist nicht der Staat, der dafür verantwortlich ist. Energiesteuer und CO2-Abgabe ändern sich nicht, wenn die Spritpreise steigen! Nur die Mehrwertsteuer steigt parallel zu den Preisen an der Zapfsäule. Erhöht sich der Spritpreis beispielsweise um 50 Cent/l, so sind darin rund 8 Cent/l an Steuern enthalten. So hoch wäre also der Handlungsspielraum für Herrn Lindner.

Bei allen Klagen über hohe Spritpreise muss man zudem festhalten, dass die Relation zwischen Einkommen und Spritpreis sich im Laufe der Jahrzehnte ständig verbessert hat. Wenn man 60 Jahre zurückblickt und das durchschnittliche Bruttoeinkommen je Monat auf den jeweiligen Spritpreis umlegt, zeigt sich folgende Entwicklung: 1960 konnte man mit seinem Einkommen von 263 € (nicht DM) 857 Liter kaufen; 2020 waren es bei einem Einkommen von 3.975 € bereits 3.180 Liter, also fast das 3,5-fache. 2020 war allerdings der Spritpreis wegen der Coronapandemie relativ niedrig und lag im Durchschnitt bei nur 1,25 €. Bis 2022 hat sich das Bruttoeinkommen pandemiebedingt kaum geändert; bei einem unterstellten Spritpreis von 2 € reicht das immerhin noch für 2.000 Liter.

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.