Jenni Zylka gehörte zum Mitarbeiter*innen*stamm meines Katechismus, des “Häuptling eigener Herd”. Wer dort mit Vincent Klink und Wiglaf Droste gut ausgekommen ist, kann nicht verkehrt sein. Zylka war in Hamburg bei einer Präsentation von Deborah Ann Harry, älteren Herrschaften als ehemalige Sängerin einer Band namens “Blondie” bekannt. Mrs. Harry hat das reife Damenalter von 74 erreicht, und vermutlich mehr erlebt, als die meisten von uns. Sie hätte der Öffentlichkeit einiges zu sagen, von einem coolen feministischen Standpunkt aus. Es könnte um andere Dinge gehen, als wie dieser oder jener Männerschwanz ausgesehen hat. Frau Zylka zufolge hats der Moderator grandios vergeigt. Was für ein Debakel.
Als Mrs. Harry richtig berühmt war und ihre Band die globalen Hitparaden stürmte, konnte ich ihrer Musik nichts abgewinnen. Der kommerzielle Hype um sie hat mich abgeschreckt. Wars nicht imgrunde damals schon klar, dass alle männlichen Fans nur geil darauf waren, sie, oder wenigstens “so eine”, flachzulegen? Jahrzehnte später habe ich sie in einem US-amerikanischen Trashporno als Motelwirtin wiedergesehen, wo sie eine junge, hübsche, geile und etwas doofe Blondine aus den Fängen eines drogenabhängigen Zuhälters befreite- Titel habe ich vergessen, war mal nachts, wenn die Kinder im Bett sind, in der TV-Glotze. Die alte Harry mit sparsam eingestreuten Auftritten war der eigentliche Höhepunkt, und auch Trägerin des dramaturgischen Höhepunkts dieses Films. Ein bisschen hat sie sich dabei sicher selbst gespielt. Eine Frau, die sowas alles gelebt und gemacht hat, hätte also wahrlich viel zu erzählen. Ein Hammergast für jedes Event. Der Moderator scheint das nicht kapiert zu haben.
Ich nehme das als ein furchtbares Symptom einer ebenso furchtbar grassierenden Moderationskrise. Mit Moderation gleichen Journalist*inn*en gerne ihren schlechten Kontostand aus. Arbeitgeber*innen erlauben ihnen das gerne, weil die sich ein Nebenbeimarketing mit “ihrem” Gesicht erhoffen. Ihre Moderationsangestellten macht der Zuverdienst zufriedener. Wer sich also eine*n Moderator*in kauft, und nicht so genau hinguckt, wer oder was das ist, und auf klare Vorgaben verzichtet, wohin die Moderation führen soll – könnte das Geld auch genauso gut verbrennen.
Es gibt auch eine Moderationskrise in den alten Medien Radio und Glotze. Die Rationalisierer*innen und Formatierer*innen haben sich irgendwann in den 80er Jahren ausgedacht, Redakteur*innen sollten nicht mehr vor die Kamera und ans Mikrofon. Sie sollen die Arbeit machen und die Klappe halten. Sie sehen nicht gut genug aus und können nicht so gut sprechen wie arbeiten. Dafür gebe es Spezialist*inn*en. Darum sehen z.B. die wenigen Frauen, die heute Fußball moderieren dürfen, alle wie Models aus. Das sagt nichts über ihre Qualifikation, aber viel über die Kriterien der Bosse, die sie aussuchen und einstellen (s.o. die junge Mrs. Harry).
Seit langem hat das dazu geführt, dass alles was im Radio und in der Glotze läuft, verwechselbar ist. Die, die es vortragen, sind ungleich denen, die die Inhalte erarbeitet haben. Inhalt und Präsentation sind voneinander entfremdet. Ich wurde als junger Mann von Radiofeuilletons gefesselt, weil die Moderator*innen noch eine Haltung und eine Botschaft hatten. Sie haben nicht nur vorgetragen, sie wollten auch was. Sie haben phonetisch nicht so klar und deutlich gesprochen, wie die heutigen Nasen. Dafür war aber ihre Persönlichkeit zu erkennen, und ich konnte sie mit ihrem Anliegen in Verbindung bringen. Heute wirkt es, als machten nur alle professionell ihren Job (Ausnahmen gibt es immer). Darum findet sie und ihr Medium heute eine wachsende Mehrheit verzichtbar, kein Verlust, wenn sie weg sind. Und ein Armin Wolf bekommt, verdientermassen, in Deutschland eine Ehrung nach der anderen. Ein Österreicher. Mit Haltung. So gut, dass er, wenn es auf “dem Markt” gerecht zuginge, unbezahlbar wäre.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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