Es ist keine Blamage, bei einem Fußball-Turnier sein Ziel zu verfehlen, und schon gar keine Schande. Fußball ist ein Kampfspiel. Niederlagen gehören zu seinem Wesen. Die deutsche Frauen-Nationalmannschaft hat sich dennoch blamiert. Nicht, weil sie bei der jüngsten Weltmeisterschaft in der Vorrunde ausschied, sondern weil sie sich vor dem Turnier völlig falsch einschätzte und falsche Erwartungen über ihre Erfolgsaussichten verbreitete.

Wie die Männer

Im Vorfeld des Turniers erklärten die Trainerin und die Spielerinnen immer wieder, die Mannschaft habe „sehr viel Qualität“ und sogar „große Qualität“. Aus diesem Grund trete das Team selbstverständlich mit dem Ziel an, den Weltmeister-Titel zu erringen.

Diese Äußerungen verhießen nichts Gutes. Ähnliches war in früheren Jahren vor Welt- und Europameisterschaftsturnieren aus der Nationalmannschaft der Männer zu hören, bevor auch sie sang- und klanglos in den Vorrunden scheiterte.

Man sollte meinen, das Frauen-Team hätte aus den wiederholten Fehlern der Männer-Mannschaft gelernt. Von wegen. Die Frauen-Fußballer fordern, wie die finanziell viel besser gestellten Männer-Fußballer behandelt zu werden und auf einer Stufe mit ihnen zu stehen. Bei den Fehlern ist dieses Ziel nun schon erreicht.

Erfolg und Qualität

Ob einzelne Spieler Qualität haben, zeigt sich am Ertrag, den sie ihrer Mannschaft einbringen. Ob eine Mannschaft Qualität besitzt, bemisst sich an ihrer Leistung, nicht an den Fähigkeiten einzelner Spieler.

Wo ist Leistung im Fußball gefordert? Nicht bei Interviews in TV-Studios oder bei Übungen im Training, sondern auf dem Platz im Kampf gegen den Gegner. Qualität hat eine Mannschaft, die mit ihrer Leistung positive Ergebnisse erzielt.

Die Qualität eines Teams existiert nicht vor einem Spiel. Sie wird erst sichtbar, wenn die Mannschaft mit ihrer Leistung ein Spiel mit Erfolg beendet hat. Im Fußball ist Qualität nicht die Voraussetzung für den Erfolg, sondern dessen Resultat. Sie muss von Spiel zu Spiel erkämpft werden. Bleibt der Erfolg aus, sucht man Qualität vergebens.

Anspruch und Wirklichkeit

Solche Binsenweisheiten sind dem DFB, seinen Nationalteams und seinem Profi-Fußball offensichtlich abhandengekommen. Im Kosmos der deutschen Fußball-Nationalmannschaften hat sich das Selbstverständnis von den sportlichen Möglichkeiten entkoppelt. Anspruch und Wirklichkeit driften seit längerer Zeit auseinander.

Je mickriger die Fußball-Wirklichkeit nach dem Erfolg Männer-Mannschaft bei der Weltmeisterschaft in Brasilien 2014 wurde, desto absurder erschien ihr Anspruch, ein Weltklasse-Team zu sein. Der DFB bemerkte seinen Realitätsverlust nicht und ließ nicht ab, sich lächerlich zu machen.

In der Wirklichkeit spielt die Hälfte der Vereine in der ersten Profi-Liga der Männer seit Jahren gegen den Abstieg. Dass der Kampf gegen den Absturz in die 2. Liga längst viel attraktiver erscheint als der Kampf um die Meisterschaft, eröffnet dem Qualitätsgedanken im deutschen Fußball eine neue Dimension und spricht Bände.

Nur noch zweitklassig

Von wenigen Ausnahmen abgesehen, bewegen sich die deutschen Profi-Vereine im internationalen Vergleich auf Provinzniveau. Der DFB liefert zweitklassige Ware und genießt für sie eine überdimensionierte Aufmerksamkeit. Wettbewerbsfähig sind die meisten Vereine und ihre Mannschaften nicht. Sie wollen im internationalen Profifußball mitmischen, dessen Bedingungen jedoch nicht akzeptieren.

Seit knapp zehn Jahren geht es mit dem deutschen Männer-Fußball bergab. Auch der Frauen-Fußball droht nun zweitklassig zu werden. Die akute Fehlentwicklung ist vergleichsweise jung, wird aber besonders schmerzhaft empfunden, weil Erfolge beim Fußball viele Menschen über die Beschwernisse in ihrem Alltag hinwegtrösten.

Viele Defizite hierzulande sind viel älter als die des Fußballs. Bei der Bahn, bei Straßen, Brücken und Kindergärten, bei Pflege, Schulen und öffentlichen Verwaltungen verschlimmern sich die Mängel seit Jahrzehnten ungebremst und ohne Aussicht auf Abhilfe. Allmählich stößt die Geduld an Grenzen. Immer mehr Bürger machen ihrem Unmut Luft. Sie strafen die aktuellen und ehemaligen Regierungsparteien für deren Untätigkeit ab und laufen zur rechtsextremen AfD über.

Die Distanz verloren

Dem reformfaulen DFB waren bei seiner Flucht vor der Realität die öffentlich-rechtlichen TV-Sender behilflich. Statt dem deutschen Fußball von Spieltag zu Spieltag vor Augen zu führen, wie es um ihn steht, und darauf zu dringen, dass er aus seinen Defiziten Lehren zieht, verstärken die Sender dessen Neigung zum Selbstbetrug.

Vielen Berichterstattern fehlt die Distanz zum Gegenstand ihres Bemühens. Sie brüllen ins Mikrofon wie betrunkene Ultras in den Fan-Blocks. Sie gebärden sich wie Berater der Trainer oder wie Angestellte des DFB. Sie liebedienern oft bei Interviews. Nach der jüngsten Pleite des Frauen-Teams trat mancher TV-Moderator sogar als Beschützer der gescheiterten Mannschaft auf.

Die meisten Berichterstatter reden in einen Pseudo-Fachjargon, der die deutsche Sprache übel malträtiert. Sie können kaum noch erkennen und erklären, was auf dem Platz vor sich geht. Deshalb steht ihnen seit einiger Zeit ein sprachfähiger Spieler zur Seite, der ihnen und den TV-Zuschauer hilft, die Spielzüge zu verstehen.

Zu Propagandisten verkümmert

Die TV-Berichterstattung über den Fußball ist auf den Hund gekommen. Sie will den Zuschauern auf dem Sofa Stadionfeeling vermitteln und vergisst dabei, dass viele Zuschauer gerade deshalb nicht ins Stadion gehen, weil sie dort die Atmosphäre, die von Fanatikern mit Rauchbomben, Bierduschen und Pöbeleien geprägt wird, einfach nur anwidert und abstößt.

Die TV-Sender behandeln den Fußball, als wäre er ihr Produkt. Sie sind zu seinem Propagandisten verkümmert. Sie befreien den Fußball von dem notwendigen Zwang, sich infrage zu stellen, sich zu korrigieren und optimieren. Die aktuelle TV-Berichterstattung ist beschönigend und realitätsfern. Ein Phänomen, das auch bei der Berichterstattung über Politik und Wirtschaft zu beobachten ist.

Über Jahrzehnte ließen Wirtschaft und Politik ohne Widerstand der Medien außer Acht, dass in Russland ein expansives nationalistisches Regime agierte, das seine Energieressourcen als Kampfmittel einsetzt. Die Medien verschlossen auch die Augen davor, dass Wirtschaft und Politik technologische Entwicklungen verschliefen, das Land von den Diktaturen in Russland und China abhängig machten und Deutschland zu einem zweitklassigen Standort verkommen ließen. „Zeitenwende“ lautet die zwielichtige Formel, die derartige Versäumnisse verschleiern soll.

Den Fußball hofiert

Wie bekommt der DFB die Füße auf den Boden, wenn er nicht erkennt, dass und warum er ihn unter den Stollen der Fußballschuhe verloren hat? Er könnte darauf dringen, dass die TV-Sender ihre Hofberichterstattung beenden und es unterlassen, von Spieltag zu Spieltag Vereine, Trainer, Spieler, deren Fans und den DFB zu hofieren. Zur Europameisterschaft der Männer 2024 in Deutschland gehen die Bemühungen des DFB eher in die entgegengesetzte Richtung.

Dass sich die TV-Sender aus eigenem Antrieb aus dem Propagandisten-Modus verabschieden und in den Journalismus-Modus schalten, ist aller Erfahrung nach nicht zu erwarten. In den Fußball fließen viele hart erarbeitete Steuermittel. Anhänger, Gegner und Bürger, die diesem Sport fern stehen: Sie alle finanzieren die öffentlich-rechtlichen Sender mit hohen Beträgen, von denen zu einem guten Teil auch der Fußball profitiert.

Die Bürger haben deshalb Anspruch auf ehrliche Information. Nach dem Schlusspfiff braucht es keine Sprechblasen von Trainern, Spielern oder Vereinsfunktionären. Solange der Fußball medial und politisch verhätschelt wird, reduziert sich für ihn der Druck, sich zu erneuern und zu steigern. Niemand weiß das besser als der umstrittene und streitbare Bayern-Chef Hoeneß. Weil seine Mannschaft, der aktuelle Deutsche Meister, die erwartete Leistung in der vergangenen Spielzeit nicht erbrachte, räumt Hoeneß in seinem Verein gerade auf.

Über Ulrich Horn (Gastautor):

Begonnen hat Ulrich Horn in den 70er Jahren als freier Mitarbeiter in verschiedenen Lokalredaktionen des Ruhrgebiets. Von 1989 bis 2003 war er als Landeskorrespondent der WAZ in Düsseldorf. Bis 2008 war er dann als politischer Reporter in der Essener WAZ-Zentralredaktion tätig. Dort hat er schon in den 80er Jahren als Redakteur für Innenpolitik gearbeitet. 2009 ist er aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden. Seine Beiträge im Extradienst sind Crossposts aus seinem Blog "Post von Horn". Wir bedanken uns für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe an dieser Stelle.