Beueler-Extradienst

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“Experten”-Unwesen

Wie viel Abdankung von Journalismus ist noch zu ertragen?

Der Sportjournalismus ist nur die Avantgarde der Abdankung. Wirtschafts- und Politikjournalismus werden ihm folgen. Auch in diesen “wichtigen” Branchen arbeiten längst mehr und besser bezahlte Menschen in PR-Abteilungen und Denkpanzern (“Thinktanks”), als in unabhängigen Redaktionen. Auch ich selbst habe nie mehr Geld in so kurzer Zeit verdient, wie 2005/2006 als ich mich aus kurzzeitiger Arbeitslosigkeit heraus als Medienberater selbstständig machte. Aber aus aktuellem Anlass noch mal kurz zurück zum Sport.

Die von Ihnen und mir über die Haushaltsabgabe finanzierten ARD und ZDF haben – bis auf die löbliche Ausnahme Sport inside (WDR) und ihr seltenes Durchsickern einzelner Beiträge in die ARD-Sportschau in quotenschwachen fussballfreien Zeiten – den Sportjournalismus weitgehend eingestellt. Stattdessen subventionieren sie mit unserem Geld das Profisportgewerbe, also Fussball, Fussball, Fussball, und Olympische Spiele. Dabei verpflichten sie sich vertraglich – und nach meiner persönlichen Meinung auftrags- und gesetzwidrig – in mehrere hundert Seiten dicken Verträgen (die selbstverständlich als “Geschäftsgeheimnis” noch nicht einmal Rundfunkrät*inn*en offengelegt werden) zur Produktpräsentation: der Bundesliga, der 2. Liga (beides DFL), der Dritten Liga (DFB), der Champions League (Uefa), sowie von Länderspielen (ebenfalls DFB), WMs (Fifa) und EMs (Uefa).

Dafür kassieren unsere TV-Anstalten nicht, wie bei allen anderen Gewerben, Werbeeinnahmen, sondern im Gegenteil: sie zahlen bis zu dreistellige Millionensummen, um die Produktwerbung zeigen zu “dürfen” – in den TV-Verträgen verpflichten sie sich zum zeigen-müssen. Wenn die ganze Qatar-Diskussion zu irgendwas gut sein sollte, dann dafür, diese Mechanismen endlich zu durchbrechen.

Um das teuer gekaufte Produkt nicht schlechtzumachen befleissigen sich die TV-Anstalten eines “Journalismus”, der auf Produktkritik weitgehend verzichtet. Stattdessen kaufen sie – wiederum für teuer Geld – einzelne Mitglieder der Branche als “Experten” (neuerdings einzelne fachkompetente Frauen dazwischen: Nia Künzer, Almuth Schult, Martina Voss-Tecklenburg u.a.) ein, die dann für Kritik “zuständig” sein sollen. Gegenüber den Vertragspartnern bleibt dann die Ausrede, das hat doch eine*r von Euch gesagt. Und gleichzeitig werden diese “Kritiker*innen” nie die Hand beissen, die sie nährt. Eine Europa-Parlamentarierin wurde für sowas gerade in Brüssel verhaftet …

Muss ich noch erwähnen, dass diese Expert*inn*en weit teurer bezahlt werden, als die bereits beschäftigten Journalist*inn*en? Und deren Arbeitsverträge und Honorare – selbstverständlich! – ebenfalls nicht offengelegt werden? Aber Korruption gibts in Deutschland nicht, nur in Afrika.

Dieser Vorspruch ist erforderlich, wenn ich nun kurz die Fachlichkeit zweier WM-Experten loben will. Christoph Kramer von meiner Borussia macht in der Glotze schon länger einen guten Job (Interessenkollision? Ja sicher, aber das ZDF war da schon immer schmerzfrei). Wie er gestern erklärt hat, wie die Engländer Mbappé “aus dem spiel genommen haben”, ihnen das aber nichts genützt hat, eher im Gegenteil, das hatte schon Jürgen-Klopp-Format. Der arme Per Mertesacker zieht immer öfter ein unverwandtes Gesicht, weil er mit Kramers Gequatsche nicht mithalten kann. Meine Nr. 1 ist aber TV-Neuling Sami Khedira. Er bildet in der Disziplin Fachlichkeit klar die Spitze, auch wenn er rhetorisch auf Pointen verzichtet.

Letzteres ist sogar wohltuend. Einer der besten Fussballlehrer, den die Bundesliga in den letzten Jahrzehnten gesehen hat, Lucien Favre verzweifelte daran, dass das Entertainment a la Klopp immer mehr an Gewicht zulegt, und die begleitenden (produktwerbenden) Medien auf jeglichen fachlich qualifizierten Journalismus komplett verzichten. Der einzige Fachmann, der einen Modus gefunden hat, diesen Irrsinn auszuhalten, ist der Freiburger Christian Streich. Den lieben alle. Ich auch.

Rente und Fachkräfte

Der Bundeskanzler hatte da eine Idee. Klar, dass dpa darüber sofort berichten muss. Jaja, dieses früher-in-Rente-gehen, also das, was ich gemacht habe, verschärft den Fachkräftemangel. Ich hätte da einen Geheimtipp für ihn. Da ich Rentner bin, und nicht mehr Medien- und Politikberater, ist der sogar kostenlos.

Das früher-in-Rente-gehen würde vermieden, wenn Arbeiten weniger ungesund wäre. Wir müssten imgrunde nur das machen, was unsere Medien jetzt mehrere Monate dem Sklavenstaat Qatar geraten haben. Gut, der Bundeskanzler hat sich als Jurist ausbilden lassen. Das ist nur dann ungesund, wenn mann in einer Kanzlei aus lauter Arschlöchern landet. Dafür, das weiss ich, ist der Olaf nicht doof genug. Aber daher fehlt ihm die praktische Lebenserfahrung der statistisch erwiesenen Tatsache, dass Arbeiten das grösste Gesundheitsrisiko von allen ist, schlimmer als Skifahren oder Fussballspielen. Genauso, wie der gefährlichste Ort die eigene Wohnung ist: Gewalttaten und Unfälle passieren da, nicht draussen im dunklen Park.

Ich empfehle, den Bundeskanzler in diesem Sinne zu beraten (vielleicht kann Andrea Nahles helfen). Ihnen als Leser*in empfehle ich die Rentenberatung der Deutschen Rentenversicherung. Hier in Bonn in der Rabinstr. 6 war erheblich mehr Trubel im Wartebereich als beim Arbeitsamt. Aber es ging auch zügig voran, wg. vieler Berater*innen. Ich wurde exzellent beraten, habe von Anderen allerdings auch Anderes gehört. Ergänzend empfehle ich Extradienst-Autor Matthias W. Birkwald und seine Abgeordneten-Sprechstunde in der Kölner Südstadt. Einen Besseren werden Sie nicht finden.

Eingemauerte Sibylle Berg

Sibylle Bergs Spiegel-Kolumne wird jetzt wohl dauerhaft der digitalen Öffentlichkeit entzogen. Ich habe darum heute einen Satz daraus gestohlen, den ich Ihnen quasi als Hehler weiterreiche:

“Die Suche nach Gültigkeit, die Thesen und Antithesen zulässt und sie als Lernen begreift, als ständigen Austausch und Pflege des eigenen Verstandes, hilft dabei, sich zu entspannen.”

Da hat die kluge Frau mal wieder völlig recht. Die Jungdemokraten haben das 1971, zwei Jahre bevor ich dort Mitglied wurde, noch kürzer formuliert:

“Der menschliche Erkenntnisprozess ist prinzipiell unabschliessbar.”

Ist das nicht grossartig?

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Der Maschinist

    Kein Diebstahl, Martin! Weil Frau Berg schlauer ist, als die meisten anderen, stellt sie ihre Kolumne nun auch auf die eigene Homepage. Und natürlich auch, weil sie so zweifelsohne noch anbetungswürdiger als hinter einer Paywall ist.
    https://sibylleberg.com/texte

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