In Deutschland bricht, wenn mal eine Fußball-WM oder -EM nicht gewonnen wird, in der Regel sofort eine Krise aus. Die deutsche Vorberichterstattung zur diesjährigen Frauen-EM in den Niederlanden tut gerade so, als ergäbe sich aus dem sechsmaligen Titelgewinn in Serie ein Naturrecht, dass das so bleibt. Die Deutschen und ihr Sportverständnis, Übertreiben der Konkurrenz, Selbstoptimierungswahn, Leistungsfetischismus, gekoppelt mit fehlendem Sinn für Respekt, Schönheit, Muße und Genuss – das alles lässt sich im Fußball studieren.

Darum spielt der Frauenfussball – gegen alle ökonomische Rationalität übrigens – hierzulande immer noch ein Schattendasein. Die Frauenbundesliga dämmert dahin, von den Geldvereinen von VW und diesem Konzern aus dem südddeutschen Raum beherrscht, Zuschauer*innen*schnitt unter 1.000 pro Spiel, TV-Präsenz nahe 0. Folgerichtig wandern die besten Spielerinnen, wie Maroszan oder zuvor Bresonik, nach Frankreich ab. Besser bezahlt, und bessere spielerische Entwicklung. Die Französinnen sind seit längerem das Brasilien des Frauenfussballs: sie zeigen das schönste Spiel, die beste Technik, ausgeprägten Sinn für Ästhetik – und der Titel geht dann an Deutschland.

In den anderen europäischen Ländern haben die Fußballgrosskonzerne das Wachstumspotenzial des Frauenfussballs endlich erkannt. Der Zuschauer*innen- und Nachwuchsmarkt ist noch unerschlossen, das Entertainmentpotenzial ist geeignet, die Qualität der Männer eines Tages zu übertreffen. Handelsblatt-Redakteur Schmitt hat die gegenwärtigen Vorteile des Frauen- gegenüber dem Männerfussball treffend zusammengefasst.

Die bisherigen EM-Spiele übertrafen an sportlichem Schauwert die letzten Langweiler-EM der Männer in Frankreich lässig. Die Niederländerin Shanice van de Sanden, einzige Schwarze in ihrem Team, spielte sich ganz vorne an die Bühnenrampe, einen Ball, wie ihn Jürgen Klopp einst dem BVB beibringen liess. Und zum FC Liverpool geht die Dame, mit der gleichen Familienherkunft wie Ruud Gullit, nach der EM dann auch. Beim 2:1 gegen die Norwegerinnen, die wahrlich kein Kanonenfutter (deutsche Fußballsprache = immer militärisch!) waren. Noch dramatischer das knappe 2:1 Russlands gegen Italien. An Schauwerten haben diese beiden Spiele das 0:0 der deutschen Favoritinnen gegen die Mourinho-artig kämpfenden Schwedinnen in den Schatten gestellt.

Logisch die Ignoranz der ARD, uns heute Abend die Mitfavoritinnen aus Frankreich vorzuenthalten. Wenn die deutschen Ladies nicht wieder den Titel holen, werden die Medienmänner sie wohl mit weiterer jahrelanger Ignoranz bestrafen. So machen sie es mit ihren Arbeitskolleginnen ja auch. Zwar durfte Russland-Italien eine ARD-Frau kommentieren; beim Primetimespiel der Deutschen machte sich dann wieder ein Mann des Bayrischen Rundfunks breit. Der Schaden für den deutschen Frauenfussball könnte ohne Titel unübersehbar werden: mangelnde TV-Präsenz bedeutet weniger Geld bedeutet weitere Abwanderung der besten Spielerinnen und weitere Abhängigkeit von den Männergeldsäcken in den Konzernvereinen.

Zur “Spornofizierung” des aufmerksamkeitsökonomischen Leistungssports dieses lesenswerte Feature von DLF-Kultur.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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