von Moritz Sommer, Dieter Rucht, Sebastian Haunss, Sabrina Zajak
Profil, Entstehung und Perspektiven der Protestbewegung in Deutschland – Auszug aus der Studie

5. Fazit FFF bietet in mancherlei Hinsicht Überraschungen. Wer hätte im Herbst 2018 den Aufstieg einer derart breiten, druckvollen und geschickt agierenden Kampagne vorhergesagt? Auch die Protest- und Bewegungsforschung, die sich mit Prognosen generell schwertut, hat diese Entwicklung nicht kommen sehen.
5.1 Ist FFF eine soziale Bewegung?
Die Antwort auf diese Frage steht und fällt mit der Definition von sozialer Bewegung. Legt man eine eher formale Definition zugrunde (della Porta und Diani1999: 16), dann erfüllt FFF zweifellos die Kriterien – ein informelles Netzwerk, gemeinsam geteilte Überzeugungen, Konfliktorientierung und die Nutzung verschiedener Protestformen –, mit denen soziale Bewegungen von einzelnen Protesten auf der einen Seite und Organisationen auf der anderen abgegrenzt werden können. Nimmt man allerdings in einem weitergehenden Verständnis noch das Kriterium hinzu ,dass soziale Bewegungen tief greifenden sozialen Wandel herbeiführen wollen (oder zu verhindern suchen), dann fällt das Urteil weniger eindeutig aus. FFF erfüllt zwar die Kriterien der weichen Definition, aber zielt die Bewegung auf grundlegenden sozialen Wandel, also auch auf gesellschaftliche Machtkonstellationen und Verteilungsfragen?
Die bisherigen Aussagen und Forderungen legen dies nicht unbedingt nahe. Stellt man zudem die Fokussierung auf ein von den politischen Entscheidungsträger*innen selbst gesetztes Ziel in Rechnung, das es einzuhalten gelte, so ist FFF derzeit eher als eine politische Protestkampagne mit begrenzter sachlicher und zeitlicher Reichweite denn als eine soziale Bewegung anzusprechen. Das werden Vertreter*innen der Kampagne, die nicht wenige als das Klima oder gar die Welt „retten“ wollen, vermutlich anders sehen, weil sie die vielfältigen Dimensionen der Klimaproblematik betonen und für tiefgreifende Änderungen unseres Alltagsverhaltens eintreten. Schlussendlich hängt die zukünftige Beantwortung der Frage vo der weiteren Konsolidierung und (inhaltlichen) Weiterentwicklung von FFF ab.
5.2 Faktoren des (medialen) Erfolgs
Erfolge bzw. Wirkungen einer Bewegung oder Kampagne bemessen sich nicht nur an deren erklärten Politikzielen, sondern zeigen sich auch in weiteren Dimensionen, darunter der Veränderung politischer Strukturen und Regeln, dem Einfluss auf das Parteienspektrum und die Zusammensetzung der Regierung, dem Agenda-Setting in den Medien und der breiten Öffentlichkeit, dem Einstellungs- und Verhaltenswandel in der Bevölkerung (einschließlich Bereitschaft zum politischen Engagement und verändertem Konsum-verhalten), schließlich den Rückwirkungen auf die Bewegung selbst (Infrastruktur, Erfahrungen, Lerneffekte, politische Sozialisation der Beteiligten usw.). Es ist zu früh, um all dies im Einzelnen für die deutsche oder gar die internationale FFF-Kampagne bilanzieren zu können. Es ist auch zu früh für eine Antwort auf die Frage, ob sich FFF zu einer sozialen Bewegung im Sinne weitergehenden Definition entwickeln könnte.
Gleich wie lange FFF das Momentum halten kann (was mit zunehmender Dauer immer schwieriger wird) und ob die Kampagne eine Kurswende in der Klimapolitik und darüber hinaus herbeiführen kann – wohl unbestritten ist die öffentliche Resonanz, die sie in den etablierten Massenmedien, den digitalen Communities, in Kreisen der etablierten Politik und im Spektrum von umweltpolitisch aufgeschlossenen Interessengruppen, Verbänden und informellen Gruppierungen erzielt hat. Für dieses Ergebnis ist ein Zusammenwirken mehrerer Faktoren verantwortlich:
Ein wichtiger, in der öffentlichen Wahrnehmung zuweilen übersehener Faktor besteht darin, dass der Boden für die klimapolitische Kampagne von FFF durch vorausgegangene Entwicklungen schon bereitet war. Klimapolitik war nach Jahrzehnten wissenschaftsinterner Debatten und Mahnungen auch zu einem Spitzenthema der internationalen Politik geworden – nicht nur seit dem Pariser Klimagipfel im Jahr 2015. In Deutschland war das Thema offensiv von einer Reihe von Umweltverbänden aufgegriffen worden. Seit Jahren hatten zudem nicht verbandsförmig organisierte Klimagruppen gegen den weiteren Abbau der hochgradig umweltschädlichen Braunkohle in mehreren Revieren, vor allem aber im Raum Hambach, Stellung bezogen und neben konventionellen Protestkundgebungen auch Aktionen zivilen Ungehorsams durchgeführt. Zur weiteren Aktualisierung des Klimathemas hatten zudem der ungewöhnlich trockene Sommer im Jahr 2018 und die Einsetzung der sogenannten Kohlekommission durch die Bundesregierung beigetragen. Vor diesem Hintergrund ist die Resonanz für FFF zu sehen, die durch eine Reihe spezifischerer Faktoren verstärkt wurde.
Ein für die breite Öffentlichkeit wichtiger Bezugspunkt ist die Selbstpräsentation und mediale Präsentation von Greta Thunberg, für Deutschland auch die Person von Luisa Neubauer. Auf einige Merkmale Thunbergs ist bereits im Abschnitt 1 hingewiesen worden. „Thunberg on tour“, mal auf der Klimakonferenz in Polen, mal mit dem Papst, mal mit Spitzenpolitiker*innen, mal vor der versammelten Wirtschaftselite in Davos: Diese Auftritte liefern fortlaufend Bilder und Gesprächsstoff. Hinzu kommen die Reden bei einzelnen Demonstrationen, mal in Kopenhagen, mal in Hamburg, mal in Berlin. Ergänzt wird diese Komponente durch die diversen Preise, mit denen Thunberg bedacht wird und mit denen sich auch die sie ehrenden Institutionen ins rechte Licht setzen können.
Ein dritter Aspekt ist die demonstrative Jugendlichkeit von FFF, die durch eine geschickte Protestinszenierung befördert und von den meisten Medien dankbar aufgegriffen wird. Kinderund Schüler*innen wirken unschuldig. Mit Blick auf FFF wird auch das Bild von David gegen Goliath evoziert. Das jugendliche Image kann allerdings auch gegen die Bewegung gewendet werden, indem den Aktivist*innen Ahnungslosigkeit in der Sachmaterie, Ignoranz gegenüber der Komplexität des auf Kompromisse angelegten politischen Entscheidungssystems und darüber hinaus eine überhöhte moralische Tonlage vorgehalten wird, wie es etwa die Charakterisierung von FFF als eines „Kinderkreuzzugs“ zum Ausdruck bringen soll (siehe fünftens).
Ein vierter, von Anfang an wirksamer Faktor für die große Resonanz von FFF ist die Kopplung der inhaltlichen Forderungen zum Klimaschutz an die Idee und Praxis des „Schulstreiks“, wie er von Greta Thunberg vorexerziert worden war. Diese Verknüpfung rief in Deutschland eine Fülle von ablehnenden wie auch von zustimmenden Kommentaren hervor, sorgte für Diskussionsstoff in Schulklassen und Gruppen außerhalb der Schulen und Universitäten. Die von meist konservativer Seite vorgebrachte Empfehlung, die Schüler*in-nen sollten doch am Freitagnachmittag oder am Wochenende „streiken“, konterten die Aktivist*innen stoisch mit dem Hinweis, dass ein Streik in der Freizeit eben kein Streik sei, weil er nirgends anecke. Ob allerdings die Kategorie des Streiks, der im Idealfall die Produktionsmittel des Arbeitgebers lahmlegt und damit Zugeständnisse erzwingen soll, für einen „Schulstreik“ oder „Uni-Streik“ taugt, sei hier dahingestellt. Festzuhalten ist jedenfalls, dass Studierende, die ja durchaus auf eine längere Geschichte von meist wenig erfolgreichen „Unistreiks“ zurückblicken können, bislang an keiner Hochschule in Deutschland eine nennenswerte disruptive Aktion im Kontext von FFF durchgeführt haben. Dagegen sorgte der auf Freitage bezogene „Schulstreik“, der sich im Falle einer Kölner Schule sogar auf eine ganze Woche erstreckte, jenseits der Frage des Klimaschutzes für hitzige innerschulische und öffentliche Debatten, die bis heute anhalten.
Fünftens bewirkte nicht zuletzt die öffentliche Kritik an FFF, exemplarisch sei nochmals auf die Aussage von Christian Lindner erinnert, der meinte, das Klimathema solle den „Profis“ überlassen werden, dass sich externe und autonom organisierte Gruppen zur Unterstützung von FFF formierten, darunter Scientists for Future und Parents for Future. Weitere Unterstützung kam von Seiten der etablierten Umweltverbände, die dankbar den Impuls von FFF aufgriffen und verstärkten.
Sechstens vermied es FFF, sich organisatorisch eng an eine externe Gruppierung oder einen fest gefügten Verband anzulehnen. Damit blieb die „Marke“ FFF immer im Zentrum öffentlicher Darstellungen. In strategischer Hinsicht behielt FFF seine freundlich-friedfertige Ausrichtung. Vermieden wurde allerdings keine harte Grenzziehung gegenüber offensiveren Aktionen zivilen Ungehorsams, wie sie beispielsweise de rdeutschen Ableger der britischen Gruppe Extinction Rebellion praktiziert. Der viele Bewegungen kennzeichnende ideologische und strategische Richtungsstreit hat im Falle von FFF – abgesehen von den Diskussionen während des Sommerkongresses in Dortmund – bisher keine zentrale Bedeutung erlangt, was nicht nur auf die relativ geringe Ausprägung tiefer interner Differenzen, sondern auch auf eine geschickte Selbstdarstellung zurückgehen dürfte.
Ein siebter Faktor für die breite öffentliche Zustimmung ist die Bescheidenheit der Kernforderung von FFF – die Einhaltung der gesetzlich verankerten Klimaziele des Pariser Abkommens. Auf diesen Minimalkonsens können sich nicht nur die Aktivist*innen der Kampagne, sondern auch ein inzwischen deutlich gestiegener Anteil der Gesamtbevölkerung einigen. Die Ausgangssituation unterscheidet sich damit deutlich von anderen Bewegungen, die oft viel Aufwand treiben mussten, um die Bevölkerung erst einmal von der Legitimität ihrer Forderungen zu überzeugen. Noch spielen Fragen der konkreten Umsetzung der Klimaziele, nicht gerade eine zwingende Aufgabe für eine Protestbewegung, bei FFF keine große Rolle. Gegen konkrete Maßnahmen wird sich sicherlich Widerstand regen, wie es sich bereits bei den Entwürfen zur Umsetzung des Klimaschutzplans zeigte, bei denen das SPD-geführte Wirtschaftsministerium das SPD-geführte Umweltministerium ausbremste.
Schließlich ist achtens auf die insgesamt geschickten Deutungsstrategien von FFF hinzuweisen, die an anderer Stelle detaillierter beleuchtet wurden (Rucht und Sommer 2019). FFF bietet ein kompaktes und wirksames Framing (Snow et al. 1986), gegen das die bisherigen Versuche des Gegenframing nicht angekommen sind. Das prognostic framing warnt vor den dramatischen Folgen eines irreversiblen Klimawandels. Das diagnostic framing zielt auf das Versagen politischer Eliten. Das motivational framing betont die eigene Verantwortung der jungen Generation, Druck auf die Politik auszuüben, aber auch die Notendigkeit, Lebensstil und Konsumverhalten umweltpolitischen Geboten anzupassen.
Im Unterschied zu anderen Bewegungen, etwa Occupy, Pulse of Europe und Gilets Jaunes, deren Niedergang halbwegs vorhersehbar war, nehmen wir mit Blick auf FFF eine abwartende Haltung ein. Noch spricht nichts für einen Niedergang. Der mittelfristige Verlauf der Kampagne hängt nicht nur von ihrer Fähigkeit ab, das hohe Mobilisierungsniveau unter jungen Menschen aufrechtzuerhalten, sondern auch von der Bildung strategischer Allianzen und der Diffusion des Protests in bislang passive Teile der Gesellschaft. Der Erfolg oder Misserfolg der über die Schulen und Universitäten hinausgehenden Mobilisierung für einen weltweiten Klimastreik am 20. September 2019 wird in dieser Hinsicht von entscheidender Bedeutung sein. Die lose Verbindung zu Aktionsgruppen wie „Ende Gelände“ könnte für die Bewegung einen zusätzlichen, aber gleichzeitig nicht unproblematischen Stimulus bedeuten, finden doch Aktionen zivilen Ungehorsams selten eine breite gesellschaftliche Unterstützung.
Eine absehbare Herausforderung für FFF ergibt sich daraus, dass die Kampagne, über das Klimathema hinausgehend, einen Klärungsbedarf hat, was mit Forderungen gemeint ist wie „Wir müssen Demokratie neu denken“ und „Wir müssen weg vom quantitativen Wachstum und Konsum, hin zu einem qualitativen Wachstum mit Glück, Freiheit und Liebe“. Mit der Konkretisierung solcher Formeln wird auch Streit um und möglicherweise innerhalb von FFF an Bedeutung gewinnen.
Unabhängig von der Frage nach der unmittelbaren Zukunft der Kampagne und der Durchsetzbarkeit ihrer Ziele ist die gesellschaftliche Wirkung von FFF nicht zu unterschätzen; nie zuvor wurde die international vernetzte Klimabewegung in so hohem Maße von Schüler*innen und Jugendlichen getragen. Und selten waren insbesondere junge Frauen derart prägend für den Protest. FFF politisiert und mobilisiert auch viele junge Menschen, die bisher wenig mit Politik zu tun hatten. Ob wir es hier mit einer neuen Protestgeneration zu tun haben, sei dahingestellt (dazu Rucht, im Erscheinen). Festzuhalten aber bleibt, dass ein derartiges Engagement in jungen Lebensjahren einen starken Einfluss auf das generelle Interesse an gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen und auf das spätere Engagement im Lebensverlauf hat (Oesterle et al. 2004). FFF wird also Spuren hinterlassen – in der Klimabewegung und darüber hinaus.

Dieser Beitrag ist ein Auszug (letzte Kapitel, ohne Fussnoten) der in der Überschrift genannten Studie des Instituts für Protest und Bewegungsforschung, mit Unterstützung der Heinrich-Böll- und der Otto-Brenner-Stiftung. Der Text ist liznziert unter einer Creative Commons Namensnennung International Lizenz (CC-BY 4.0). Den vollen Wortlaut der Studie finden Sie hier.

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