Finanzwende — Wenn irgendwo Geld stinkt, Banken und Versicherungen sich auf Kosten der Gesellschaft bereichern, sagt die Bürgerbewegung Finanzwende dem Betrug den Kampf an

Eines ist sicher: Banken und Versicherungsunternehmen interessieren sich brennend dafür, was in der Berliner Motzstraße passiert. Von einem Altbau aus agiert hier die Bürgerbewegung Finanzwende, die vor vier Jahren angetreten ist, die Plünderung öffentlicher Kassen durch Geldinstitutionen zu stoppen und die Bevölkerung vor deren Gier zu schützen.

20 Menschen arbeiten bei Finanzwende. Hinzu kommen 7.000 Fördermitglieder und zahlreiche Ehrenamtliche, die die Organisation mit wissenschaftlicher Expertise oder Insiderkenntnissen unterstützen. Die zentrale Figur ist ohne Zweifel Gerhard Schick. 13 Jahre lang saß der Mann mit der Gabe, komplizierte Vorgänge gut verständlich darzustellen, für die Grünen im Bundestag. Als Oppositionspolitiker erlebte er zwar, dass alle seine Anträge abgelehnt wurden. Doch Schick nutzte sein Fragerecht intensiv und wurde bekannt als Aufklärer im Untersuchungsausschuss zu Cum-Ex-Geschäften.

Dabei bildeten Börsenhändler, Banker, Steuerberater und Rechtsanwälte so etwas wie kriminelle Vereinigungen, um Steuererstattungen mehrfach zu kassieren. Ministerien und die Finanzaufsicht Bafin ließen die Sache lange laufen und vergrößerten den Schaden. Zehn Milliarden Euro verlor der Staat auf diese Weise. Bei den weniger bekannten Cum-Cum-Geschäften gingen dem Fiskus sogar fast 30 Milliarden durch die Lappen.

Erfolge: Haftstrafen und Schadensersatz

Wenn es um umwelt- und sozialpolitische Themen geht, muss die Regierung stets mit fundierter Kritik aus der Zivilgesellschaft rechnen. Im Bereich Finanzpolitik aber fehlte bis 2018 eine entsprechende Organisation. Gerhard Schick versuchte zunächst, eine Gründung anzuregen. Doch irgendwann wurde ihm klar, dass er selbst die Seite wechseln musste: Sein fundiertes Wissen hatte ihm Respekt verschafft. Kritische Menschen im Bankensektor und Leute aus der Wissenschaft vertrauen ihm.

Schon vor einigen Jahren hatte die Justiz begonnen, sich um Cum-Ex zu kümmern. Allerdings gab es bei der federführenden Staatsanwaltschaft in Köln zunächst nur eine Ermittlerin. Verjährungen drohten. Die Staatsanwältin und das Justizministerium verlangten mehr Personal, auch Schick machte beim damaligen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet, CDU, massiv Druck. “Wann hat es das vorher schon mal gegeben, dass eine NGO die Aufstockung der Staatsanwaltschaft fordert?”, erinnert sich der heute 50-Jährige schmunzelnd.

Mit vereinten Kräften gelang es, mehr Personal gegen den Cum-Ex-Sumpf zu mobilisieren. Das hat sich längst ausgezahlt. So überwies der Insolvenzverwalter der US-Bank Lehman-Brothers, die die Finanzkrise 2008 ausgelöst hatte, vor kurzem 48 Millionen Euro an die Landeskasse in Düsseldorf. Mehrere Cum-Ex-Akteure sind inzwischen zu Haftstrafen und Schadensersatzzahlungen verurteilt worden. Und das ist erst der Anfang: Allein 70 Personen von der Deutschen Bank könnten demnächst vor dem Kadi stehen, darunter ehemalige Chefs wie Josef Ackermann.

Finanzwende spürt auf, wo private Geldorganisationen den Staat ausnehmen. Dabei handelt es sich längst nicht immer um Betrug. Manchmal profitieren die Geldhäuser auch von der Trägheit öffentlicher Institutionen. Ein Beispiel ist ein 2,1 Billionen-Euro-Programm mit dem sperrigen Namen TLTRO, das die Europäische Zentralbank (EZB) aufgelegt hat. Ziel war es, in der Negativzinsphase die Kreditvergabe aufrecht zu erhalten. Bei der Einführung machte das Instrument durchaus Sinn – doch seit längerem steigen die Zinsen wieder. “Die Banken wurden zu Profiteuren der aktuellen Krise: Völlig risikolos und weitgehend leistungsfrei konnten sie Milliardengewinne einstreichen”, fasst Michael Peters zusammen, der den Bereich Finanzsystem und Realwirtschaft bei Finanzwende leitet. Sein Team informierte die Öffentlichkeit.

Parallel schickten auch die Banken ihre Lobbyisten los und warnten vor “ernsthaften negativen Konsequenzen”. Bis zum Oktober zögerte EZB-Präsidentin Christine Lagarde – dann endlich drehte sie den Geldhahn zu, der den Banken Milliarden Euro Zusatzgewinne beschert hatte. Wenn es gut für Finanzwende läuft, sehen sich die Geldhäuser demnächst mit Rückforderungen konfrontiert.

Die Bürgerbewegung versteht sich als überparteilich. Schick selbst bezeichnet sich als “Karteileiche” der Grünen. Die ehemaligen Bundestagsabgeordneten Fabio De Masi (Linke) und Heribert Hirte (CDU) arbeiten mit, Gesine Schwan (SPD) hat die Organisation genauso wie der Deutsche Gewerkschaftsbund von Anfang an unterstützt. Der Gegenwind trifft auch Politiker*innen unterschiedlicher Couleur. So sieht sich die schwarz-grüne Regierung in Hessen mit Vorwürfen konfrontiert, einen Schaden von mehr als vier Milliarden Euro für die Landeskasse durch Derivate-Geschäfte verursacht zu haben.

Hamburgs SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher drängt Finanzwende zum Rücktritt. Der hat in seiner Zeit als Finanzsenator unter Olaf Scholz zumindest billigend in Kauf genommen, dass eine Bank Gewinne aus kriminellen Geschäften behalten durfte, statt das Geld für die Steuerzahlenden zurückzufordern.

“Vermögenskonzentration ist Gift für die Demokratie.” Gerhard Schick, Bürgerbewegung Finanzwende

Ein anderes Feld, das Finanzwende beackert, ist die Parteinahme für Menschen mit wenig Geld. Deshalb gibt es eine Abteilung für Verbraucherschutz, Versicherungs- und Vorsorgethemen. “Es tut mir in der Seele weh, wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihren sauer verdienten Lohn am Finanzmarkt verlieren, weil ihnen schlechte Produkte mit zu hohen Gebühren verkauft werden”, entrüstet sich Schick. Das sei eine Umverteilung von unten nach oben.

Von der Politik verlangt er, Beratung und Verkauf von Finanzprodukten gesetzlich zu trennen. Darüber hinaus hält der gelernte Volkswirt die private Überschuldung für ein riesiges, völlig unterschätztes soziales Problem. In der Öffentlichkeit werden Betroffene häufig als Konsum-Junkies diffamiert, die nicht mit Geld umgehen können. Tatsächlich aber sind meist Arbeitslosigkeit oder Scheidung die Ursache, erklärt Schick und wird emotional: “Es empört mich, wie Banken mit Leuten, die an der Kante zum Absturz stehen, auch noch viel Geld verdienen.” Der Staat müsse Betroffenen rasche und gute Beratung zur Verfügung stellen. Eile tut not, denn in der aktuellen Krise rutschen immer mehr Menschen ins Schuldenloch.

Erfolge brauchen Unterstützung

So viele Themen gilt es anzugehen, sagt Schick und zählt noch zwei Riesenklopper auf: Milliarden Euro stecken in deutschen Immobilien, die durch Menschen- und Drogenhandel finanziert wurden. Und obwohl mehrere höchste Gerichte die Erbschaftssteuer für verfassungswidrig erklärt haben, konnte eine Clique von Milliardären bisher durch Lobbyismus eine Neuregelung verhindern, die auch Superreiche in die Verantwortung nimmt.

In Sachen Immobilien feierte Finanzwende jüngst einen Erfolg “gegen schmutziges Geld”. Im Koalitionsvertrag wurde ein zentrales Verbot festgehalten: der Kauf von Immobilien mittels Bargeld. Eine Forderung, der sich Finanzwende seit Gründung verschrieben hatte und mit Öffentlichkeitsarbeit und einer Petition gegen Geldwäsche und Finanzkriminalität stetig befeuerte. Dieses Verbot kommt jetzt als Teil des Sanktionsdurchsetzungsgesetzes (SDG) II. Ab 2023 soll der Bargeldkauf von Immobilien damit Geschichte sein.

Bevor Finanzwende ein Thema hochzieht, wird intensiv diskutiert, was das konkrete Ziel ist und ob es Hebel gibt, um es tatsächlich zu erreichen. Mal startet die Organisation eine Petition, mal unterstützt sie einen Kläger gegen seinen Riesterrenten-Vertrag, mal macht sie einen Skandal in einem Gastbeitrag öffentlich. “Grundlegende Veränderungsprozesse brauchen starke zivilgesellschaftliche Akteure und gutmeinende Parlamentarier – und die müssen das in Kombination hinkriegen,” fasst Schick seine Lebenserfahrung zusammen. Und: “Vermögenskonzentration ist Gift für die Demokratie.”

Noch gab es keine Klagen gegen Finanzwende. Das aber könnte sich bald ändern. “Wir planen einige knackige Aktionen,” verrät Schick. Wenn es um Milliarden geht, werden die Angegriffenen vielleicht bereit sein, Millionen für Prozesse einsetzen. “Je mehr Mitglieder, öffentliche Verankerung und finanzielle Power wir haben, desto härtere Auseinandersetzungen können wir führen,” so der Vorstandsmann. Im Klartext: Weitere Unterstützung hochwillkommen!

Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ver.di-publik, mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Über Annette Jensen / ver.di-publik:

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