Die freihändige und geistfreie Verwendung dieses Begriffs geht mir schon länger auf den Zeiger. Das verbindet mich mit Jörn Schulz/Jungle World, dem dazu ein ernstzunehmender Diskussionsbeitrag gelingt: Der Begriff Imperialismus dient mehr der moralischen Verdammung als der Analyse: Die Macht und ihr Preis – Der vage Imperialismusbegriff ist nicht geeignet, um die neuen Herrschaftsformen in Russland und China und deren aggressive Außenpolitik zu analysieren.” Wer heutige Machtkämpfe verstehen will, muss sich damit beschäftigen.

Vermischung von Fakten und Legendenbildung

David C. Hendrickson/Responsible Statecraft/telepolis verbreitet dazu in meinen Augen eine Legende: Warum dürfen Ukraine und Israel den Kurs des US-Imperiums bestimmen? – Noch hält Biden daran fest, die Ukraine und Israel bedingungslos zu unterstützen. Doch in der Regierung wächst der Streit. Was folgt daraus?” Im Original: “Why do we let Israel and Ukraine wag the US dog? – In America’s weird empire, dependents call the shots. Soon we will be suffering he consequences.”

Dass die Imperialismus-Zentrale in Washington sich von ausländischen Mächten fremdsteuern lässt, ist eine faule Ausrede fauler Präsidenten gegenüber ihren inländischen Auftraggeber*inne*n. Und Letztere sind nicht so doof, das nicht zu wissen. Wirklichkeitsnäher scheint mir Hendricksons Beschreibung von strategischen Meinungsverschiedenheiten an ebendieser Stelle. Solche Meinungsverschiedenheiten zu erkennen ist lebenswichtig, insbesondere für Versuche politischer Einflussnahme von links unten.

Deutschland dagegen wird Entwicklungsland

Ein eindrucksstarkes Symptom: Die analoge Verwaltung als tickende Zeitbombe – Seit Jahrzehnten kommt die Digitalisierung der deutschen Justiz und Verwaltung nicht von der Stelle. Das wird sich bitter rächen, sagt Martin Gerhard Loschwitz” bei heise-online.

Alles richtig beschrieben. Laut loslachen musste ich gegen Ende, an der Stelle mit dem “Fundament der technischen Vernunft”. So ein scharf beobachtender Autor mit so einem religiösen Glauben? Oder hatte die heise-Redaktion gerade Mittagspause (13:04 h)? Denn dort ist das Wissen über die ökonomische, gesellschaftliche und politische Bedingtheit von Technik doch normalerweise präsent.

Ich drehe Loschwitz Beschreibung noch eine Windung weiter: mit Deutschlands Migrationspolitik wird meine Generation absehbar statt von schwarzen Menschen von weissen Robotern “gepflegt”. Ob wir das wollen, wird uns niemand fragen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net