Japan mit den Augen von HBO

Auf jeden Fall würde es die deutsche Jugend verderben. So viel Sex und Gewalt – das verkraftet die nicht, zusätzlich zum Klimawandel. Ausserdem haben die meisten Jungen sich längst auf dem freien globalen Markt unbezahlte Kopien von “Tokyo Vice” besorgt. Die Erwachsenen können es bis 18.3. in der ARD-Mediathek sehen. Es ist sehenswert.

HBO spart nicht an der Qualität. Drehbuch, Inszenierung, Schauwerte, Schnittfolge, Musik – es lässt nichts zu wünschen übrig. Die Bigotterie der japanischen Gesellschaft wird dekonstruiert – sie ist auf der gewaltsam konservierten Macht der psychisch derangierten Männer gebaut. Nur wenige Frauen mit Super-Resilienz wissen sich darin zu behaupten. Als Medium, um dem kaufkräftigen Publikum die komplizierte kriminelle Materie zugänglich zu machen, fungiert der Kunstgriff bei der Hauptrolle: ein US-Amerikaner aus Missouri reisst aus, möglichst weit weg von seiner jüdischen Familie, um in Japan eine Karriere als Polizeireporter zu starten. Unvermeidlich in US-Serien: dort trifft er zufällig auf eine US-stämmige Prostituierte, die aus einer evangelikalen Sekte ausgestiegen ist, und dabei eine fünfstellige Dollarsumme hat mitgehen lassen. Die beiden personifizieren den Clash der Civilizations.

Vieles spart die Serie aus. Zu kompliziert? Japanische Politik kommt kaum vor. Zwar kommt wie üblich bei Mafiafilmen die Prostitution mit vielen schönen Frauen vor. Die – im Vergleich zu Kalifornien – noch weit produktivere Pornoindustrie, deren Produkte wie ein roter Faden von Yakuza-Darstellungen durchzogen sind, und zwar solchen, die ihrem Selbstbild entsprechen (“zufällig” natürlich), wird gar nicht erst gestreift. Das würde wohl die weltweite Vermarktbarkeit erschweren, zu schmutzig. Und der Medienwandel der globalen Pornomärkte – o weh, wie kompliziert. Wer wollte sowas sehen? Wer weiss z.B., ob die ARD es dann immer noch gekauft hätte?

Tatsächlich sind in Japan längst politische Rahmenbedingungen geschaffen, die Donald Trump erst noch reinstallieren muss. Die Sekte “Vereinigungskirche” hat nicht nur die heutige japanische Regierung mitinstalliert – sie war auch beim Sturm aufs Capitol dabei, und wird Trump bestimmt auch aus seiner finanziellen Patsche helfen. Niemand muss das inszenieren – das gibt es alles wirklich.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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