Verbändeappell zum Klimaschutzprogramm 2023

Die Brände in Griechenland, die Überschwemmungen in Slowenien und Italien sowie die 1.500 Hitzetoten diesen Sommer in Deutschland zeigen, wie verheerend die Auswirkungen der Klimakrise sind. Ein konsequentes ökologisches, sozial gerechtes Handeln der Bundesregierung ist dringend nötig. Die zeichnenden Verbände kritisieren, dass das von der Bundesregierung am 14. Juni 2023 vorgelegte Klimaschutzprogramm weder ausreicht, um die deutschen Klimaziele bis 2030 zu erreichen, noch ermöglichen die Maßnahmen eine sozial gerechte Umsetzung der Transformation. Dies steht in grobem Widerspruch zu der Rechtspflicht und dem Versprechen der Bundesregierung, die Erreichung des Klimaziels bis 2030 sicher zu gewährleisten.

Im Folgenden fassen die unterzeichnenden Verbände pro Sektor zentrale im Klimaschutzprogramm fehlende Maßnahmen zusammen und fordern die Bundesregierung zum sofortigen Handeln auf, um die Einhaltung der Klimaziele und die sozial gerechte Umsetzung von Maßnahmen sicherzustellen. Verbände aus den Bereichen Klima, Umwelt, Soziales, Entwicklung, Ernährung, Jugend, Wirtschaft und Bildung sowie Kirchen und Stiftungen stehen hinter diesen Forderungen.

Energiewirtschaft

Der Energiesektor ist der zentrale Hebel, um die Klimaziele in den unterschiedlichen Sektoren zu erreichen. Nur der massiv beschleunigte, naturverträgliche Ausbau der erneuerbaren Energien und der zügige Ausstieg aus den fossilen Energien bringt Deutschland wieder auf den Pfad der Zielerreichung. Dafür sind deutlich mehr Anstrengungen notwendig.

  • Um den Energieverbrauch in Deutschland strukturell zu senken, brauchen wir verbindliche und jahresgenaue Energieeinsparziele für die einzelnen Sektoren. Diese Einsparziele müssen Klimaneutralität spätestens 2045 ermöglichen und mithilfe eines Monitorings sowie Sanktionsmechanismen sichergestellt werden.
  • Wir benötigen einen bundesweiten, gesetzlich festgeschriebenen Solarstandard bei Neubau, Umbau und Sanierung für alle geeigneten Dachflächen und anderen geeigneten versiegelten Flächen. Dieser Standard soll beispielsweise für Wohnhäuser, Büro- und Gewerbegebäude, Gebäude der öffentlichen Hand und Parkplatzflächen (Überdachung) sowie bei entsprechender Eignung etwa auch für Lärmschutzwände gelten.
  • Es gilt, ein wirksames Konzept für Energy Sharing in das Solarpaket 1 zu integrieren. Die bisher vorgesehenen Erleichterungen beim Mieter*innenstrom und das neue Konzept Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung sind keinesfalls ausreichend.
  • Bei der Windenergie an Land gilt es, die im Windenergieflächenbedarfsgesetz festgehaltenen Flächenziele zügig und naturverträglich auszuweisen.
  • Ohne einen Kohleausstieg bis 2030 sind die deutschen Klimaziele nicht zu erreichen. Daher braucht es wirksame Instrumente, um den Ausstieg auch im Osten Deutschlands bis 2030 zu vollziehen. Analog dazu fordern wir einen Plan zum Gasausstieg.

Industrie

Im Industriebereich sind kurzfristige Emissionsminderungen krisenbedingt zu erklären, ein struktureller Rückgang kann nicht beschrieben werden. Daher schlagen wir Folgendes vor:

  • Es braucht eine Industriestrategie, die die Einzelmaßnahmen in den Sektoren zusammenbringt. So sind etwa eine ambitionierte Kreislaufwirtschafts-, Carbon Management- und Bioökonomiestrategie vorausschauend in die Industriestrategie einzuweben.
  • Vorhandene Energieeffizienz-Potentiale in der Industrie müssen ausgereizt werden.
  • Maßnahmen für die Stärkung der Ressourcen- und Materialeffizienz in der Industrie im Sinne der Kreislaufwirtschaft müssen massiv gefördert werden. Um CO2-ärmere Produktionsverfahren und eine effizientere Nutzung von Materialien anzureizen, sollte eine CO2-Abgabe auf Produkte eingeführt werden.
  • In Klimaschutzverträgen mit der Industrie muss die indirekte Förderung von blauem Wasserstoff und CCS für vermeidbare Restemissionen unbedingt ausgeschlossen werden, da eine Subventionierung zum Lock-in von fossiler Infrastruktur führen kann.
  • Für Bau- und Infrastrukturmaßnahmen der öffentlichen Hand sollten verpflichtend die CO2-Emissionen der eingesetzten Materialien berücksichtigt werden. Wir schlagen dafür einen Schatten-CO2-Preis vor, der sic an den realen CO2-Vermeidungskosten der entsprechenden Branchen orientiert.

Verkehr

Im Verkehrssektor verbleibt trotz Klimaschutzprogramm eine Zielverfehlung von 118 bis 175 Millionen Tonnen Treibhausgase. Er trägt damit einen Großteil der Verantwortung für die projizierte Zielverfehlung bis 2030.

  • Wir unterstützen die Forderung des Umweltbundesamtes nach einer sofortigen Einführung eines generellen Tempolimits von 120 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen.
  • Der umfassende Abbau klimaschädlicher Subventionen ist jetzt notwendig. Dazu gehören die Entfernungspauschale, das Dienstwagen- und Dieselprivileg sowie die mangelhafte und nicht-verursachergerechte Besteuerung von Kerosin und Luftverkehr.
  • Die Förderung von Kraftstoffen aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen über die Treibhausgasminderungsquote muss umgehend beendet werden. Sie sind keineswegs klimaneutral, wie wissenschaftliche Untersuchungen unterschiedlicher Einrichtungen seit langem belegen. Der Einsatz von Kraftstoffen aus Anbaubiomasse verschärft zudem die globale Ernährungskrise. Die angekündigte Steuerbevorteilung von Biokraftstoffen und anderen vermeintlich klimaneutralen Kraftstoffen ist klar abzulehnen.
  • Für eine gelingende Antriebswende beim Pkw muss die Kfz-Steuer stärker auf dem CO2-Ausstoß der Fahrzeuge basieren. Die Regierung muss beim Neuwagenkauf rein elektrische Fahrzeuge steuerlich begünstigen und Verbrenner benachteiligen. So werden Emissionen verursachergerecht bepreist und es wird ein Anreiz für eine höhere Anzahl effizienterer und emissionsfreier Pkw geschaffen.
  • Sämtliche Verkehrsinfrastruktur muss nach Klimakriterien gesteuert werden: Dafür braucht es einen massiven Ausbau von ÖPNV, Schiene, Rad- und Fußverkehr, eine Priorisierung des Erhalts der gesamten Infrastruktur sowie ein sofortiges Moratorium des Aus- und Neubaus von Bundesfernstraßen. Die Bundesverkehrswegeplanung muss konsequent nach Umwelt- und Klimakriterien ausgerichtet, die aktuellen Projekte überprüft und kompatibel mit nationalen und internationalen Klimazielen aufgestellt werden.

Gebäude

Der Gebäudesektor hat im Jahr 2022 bereits zum dritten Mal in Folge die gesetzlich festgelegten Klimaziele verfehlt. Um auf klimapolitischen Zielkurs zu kommen, müssen folgende Mindestanforderungen erfüllt werden:

  • Wir fordern eine deutliche Steigerung der energetischen Sanierungsrate auf mindestens drei Prozent pro Jahr: Der Gebäudebestand muss im Jahr 2045 im Durchschnitt mindestens den Effizienzhaus-55-Standard erreichen.
  • Es braucht dringend gesetzliche Mindestvorgaben für die Effizienz von bestehenden Gebäuden (sog. Minimum Energy Performance Standards, MEPS), mit denen feste Fristen für die energetische Sanierung von Gebäuden einer bestimmten Effizienzklasse vorgegeben werden. Sie geben den Gebäudeeigentümer*innen sowie Herstellenden und Fachbetrieben Planungssicherheit. Zudem sorgen die Vorgaben dafür, dass Investitionen und Fachkräfte vor allem dort eingesetzt werden, wo die Potenziale für Energie-, CO2-, und Heizkosteneinsparungen besonders hoch sind und wo viele Menschen mit wenig Einkommen leben.
  • Damit energetische Modernisierungen für Mieter*innen zu einer Kostenentlastung statt -steigerung führen, muss die sozial gerechte Aufteilung der Sanierungskosten zwischen Mieter*innen, Vermieter*innen und Staat (Drittelmodell) erfolgen. Dafür sind u.a. die Aufstockung der Fördermittel auf 25 Milliarden Euro pro Jahr und die Absenkung der Modernisierungsumlage auf höchstens vier Prozent zentral.
  • Die Anreize durch staatliche Förderprogramme müssen gesteigert werden. Mögliche wirtschaftliche Härten, die durch Klimaschutzvorgaben entstehen, sind abzufangen, statt die Vorgaben durch zahlreiche Ausnahmen aufzuweichen. Dafür müssen u.a. die Fördersätze für Maßnahmen an der Gebäudehülle auf mindestens 20 Prozent angehoben und der Worst-Performing-Buildings-Bonus erhöht werden. Auch eine soziale Staffelung der Förderung für Vermietende ist anzustreben. Der Zugang zu Fördermitteln für z.B. aufgrund des Alters oder mangelnder Eigenmittel bislang benachteiligte Eigentümer*innen zu zinsgünstigen Kreditprogrammen muss gewährleistet werden.
  • Um die Klimaziele zu erreichen, ist es zudem unabdingbar, dass spätestens 2045 vollständig erneuerbar geheizt wird. Wärmepumpen und dekarbonisierte Wärmenetze spielen für die Zielerreichung eine Schlüsselrolle. Das nun im Bundestag eingebrachte Gebäudeenergiegesetz muss umgehend nachgeschärft werden. Dazu gehört ein sofortiges Einbauverbot von Öl- und ab 2025 von Gasheizungen.

Landwirtschaft, Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft

Ein Großteil der Emissionen aus dem Landwirtschafts- und Landnutzungssektor stammen aus der Tierhaltung sowie aus der Nutzung entwässerter Moorböden. Daher müssen folgende Maßnahmen umgehend umgesetzt werden:

  • Die Reduzierung von Stickstoff in Düngemitteln ist zentral, u.a. durch die Etablierung einer Stickstoffüberschussabgabe und die Prüfung der Anpassung von Qualitätsparametern zur Backweizenbewertung. Hinsichtlich der Entwicklung der Tierbestände ist eine verpflichtende Flächenbindung auf Betriebs- oder Betriebsverbundebene notwendig.
  • Zudem braucht es gezielte Maßnahmen zur Methanreduktion, etwa Anreize und Regelungen zur Reduzierung der Tierbestände, vor allem in Stallhaltung.
  • Dies muss mit einer reduzierten Produktion von Fleisch- und Milchprodukten einhergehen. Hier müssen klare Anreize geschaffen werden, etwa durch eine Anpassung der Mehrwertsteuer, ein Nachhaltigkeitslabel und Kennzeichnung.
  • Des Weiteren fordern wir – über das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz hinaus – die Erarbeitung eines verbindlichen Rechtsrahmens für die Wiederherstellung von Ökosystemen zur Stärkung des naturbasierten Klimaschutzes.
  • Es gilt die gesetzliche Stärkung des Moorschutzes in bestehenden Gesetzen zu verankern, die Erarbeitung eines Bundesmoorgesetzes voranzutreiben sowie genügend Finanzmittel und Beratung zur Förderung von Paludikultur und zur Unterstützung von Landwirt*innen für die nasse Bewirtschaftung von Mooren zur Verfügung zu stellen. Die Bundesregierung muss sich für die Verbesserung der Flächenverfügbarkeit für Wiedervernässungsmaßnahmen, die Beschleunigung von Planungsverfahren und die Integration eines überragenden öffentlichen Interesses für den Moorschutz einsetzen.

Sektorübergreifende Maßnahmen und Maßnahmen zur Gestaltung einer sozial gerechten Transformation

Sektorübergreifend erachten wir folgende Punkte als zentral:

  • Der CO2-Preispfad im Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) muss schneller ansteigen, um eine ökologische Lenkungswirkung zu erzielen. Dies muss ab spätestens 2024 zwingend mit der Einführung eines Klimageldes einhergehen. Nur so kann effektiv für soziale Gerechtigkeit im Kampf gegen die Klimakrise gesorgt werden.
  • Der Abbau der zahlreichen vom Umweltbundesamt identifizierten umweltschädlichen Subventionen von jährlich mehr als 65 Milliarden Euro ist von zentraler Bedeutung. Die Subventionen stehen der ökologischen Transformation im Weg, begünstigen oft höhere Einkommen und belasten den Bundeshaushalt.
  • Wir fordern, eine neue Gemeinschaftsaufgabe im Art. 91a Abs. 1 GG für Klimaschutz und Klimaanpassungsmaßnahmen einzurichten, um Kommunen als entscheidende Akteure bei der Eindämmung der Klimakrise durch eine Mischfinanzierung zwischen Bund und Ländern ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen.
  • Bioenergie darf nur als nachrangige Energiequelle in Erwägung gezogen werden, um klimaschädliche Lock-In-Effekte zu vermeiden.

Berlin, 23. August 2023

Folgende Verbände haben den Appell unterzeichnet:

Arbeiterwohlfahrt Bundesverband (AWO) – Arbeitsstelle Frieden und Umwelt der Evangelischen Kirche der Pfalz – ARTEfact – B.A.U.M. Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften – Bergwaldprojekt – Bildungscent – Bioland – Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) – Bund der Deutschen Katholischen Jugend – Bundesverband für Umweltberatung (bfub) – Bündnis Bürgerenergie – Bürgerlobby Klimaschutz – climactivity – Deutsche KlimaStiftung – Deutsch-Tansanische Partnerschaft – Diözesanrat der Katholik*innen im Bistum Aachen – Deutscher Naturschutzring – E3G – Environmental Justice Foundation – Fairtrade Deutschland – foodsharing – Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft – Germanwatch – Klima-Allianz Deutschland – Katholikenrates der Region Düren – Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands – Kirche und Gesellschaft – Klimadelegation – Klimahaus Bremerhaven – NABU (Naturschutzbund Deutschland – Naturschutzjugend im NABU – Ökomarkt Verbraucher- und Agrarberatung – Protect the Planet – Protect our Winters – Umweltbüro der Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) – Unabhängiges Institut für Umweltfragen – vegan4future – Verkehrsclub Deutschland (VCD) – WDC Whale and Dolphin Conservation – WWF Deutschland – Zentrum für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit – Zukunftsrat Hamburg

Impressum: Klima-Allianz Deutschland e.V., Invalidenstraße 35, 10115 Berlin, Telefon: 030 780 899 512, Email: info@klima-allianz.de, Web: www.klima-allianz.de.

Fussnoten finden Sie hier. Links zu Originaltexten wurden nachträglich eingefügt. Lesen Sie ergänzend auch Wolfgang Pomrehn/telepolis: “Ziele verfehlt, Sechs, setzen: Vernichtendes Urteil über deutsche Klimapolitik – Energie und Klima – kompakt: Der Expertenrat hat seine Stellungnahme zum Klimaschutz der Regierung vorgelegt. Die Zielverfehlungen sind tatsächlich noch gravierender, als allgemein berichtet. Hier sind die Gründe dafür.”

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