Das ZPS und seine Entschuldigung – Nicht zum ersten Mal soll beim Zentrum für Politische Schönheit der Zweck des Schockeffekts die trüben Mittel heiligen – Zeit, den Laden zu schließen.

“Armes Volk, selbst in den Gräbern stört man deine Ruhe!“ Alexander von Humboldt, Altmeister der künstlerischen Forschung, plagte sein Gewissen, als er aus der Höhle von Ataruipe, einer Begräbnisstätte des Stammes der Atures-Indianer, Knochen und Schädel mitgehen ließ. Ihm schwante schon, dass er da an einer moralischen Grenze operierte.

Ohne Selbstzweifel operierte das Zentrum für Politische Schönheit, als es in Polen die Asche mutmaßlicher Holocaustopfer mitgehen ließ, um sie als illuminiertes Beweismittel in Sachen unterlassener Erinnerung im Berliner Regierungsviertel auf einen Stahlpfahl zu ziehen. Etwas wie diese morbide Lavalampe mit posthumanen Schwebstoffen muss Guy Debord vor Augen gehabt haben, als er sein Verdikt „Die Gesellschaft des Spektakels“ schrieb.

Der Zweck des größtmöglichen Schock­effekts heiligt bei Philipp Ruchs Gesellschaft mit moralisch beschränkter Haftung nicht zum ersten Mal die Mittel. Die toten Migranten von den EU-Außengrenzen, denen die Hohepriester der grausamsten Kunstfreiheit vor vier Jahren Schaugräber in Berlin aushoben, hatten wahrscheinlich per Patientenverfügung eingewilligt, als Demonstrationsobjekte der Direct Action zur letzten Ruhe gebettet zu werden.

Bedurfte es erst des massiven Protestes der Hinterbliebenen und der Opferverbände, um die die nekrophilen MARTErpfähle wieder zu verhüllen? Oder war das auch nur höhere Dialektik, die wir nicht verstehen, solange wir noch nicht das Rußmal der Gerechten und Erleuchteten tragen?

Politmoralisches Virtuosentum

Sich zu entschuldigen, sich im gleichen Atemzug aber als „Sturmtruppe für die Errichtung moralischer Schönheit, politischer Poesie und menschlicher Großgesinntheit“ wieder aus dem Sumpf des Kniefalls zu ziehen, wie es am Ende des Mea-culpa-Textes des ZPS hieß, ist der Gipfel politmoralischen Virtuosentums.

„Gedenken heißt kämpfen“ steht auf einem Banner über dem stählernen Erinnerungspoller. Die Nähe zur NS-Rhetorik ist fatal. Die Sturmtruppen zur Errichtung der sittlichen Schönheit, der nationalen Poesie und des menschlichen Großreinemachens, deren mörderisches Erbe das ZPS eigentlich aufgearbeitet wissen will, hätten es nicht martialischer skandieren können.

„Die Hoffnung auf den moralischen Fortschritt der Menschheit liegt in der Kunst“ hat Philipp Ruch einmal gesagt. Wer in ihrem Subgenre Erinnerungsästhetik derart versagt, sollte die Gummizelle falsch verstandener Schönheit endgültig schließen.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.

Über Ingo Arend:

Der Autor ist Politologe und Historiker, er schreibt über Kunst und Politik. Stationen machte er beim Freitag, bei der taz und beim Deutschlandfunk Kultur. Er ist Mitglied im Präsidium der neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK).