Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Nation Building via Apfelschuss

Rossinis „Wilhelm Tell“ inszeniert von der Irischen Nationaloper – dringend auf Operavision ansehen/hören!

Rossinis „Wilhelm Tell“ (uraufgeführt 1829) ist eine Freiheitsoper par excellence. Es geht um „Nation Building“ via Apfelschuss durch den berühmtesten Armbruster aller Zeiten. Und natürlich um den Freiheitskampf der drei Urschweizer Kantone gegen die Habsburger, den Schweizerischen Gründungsmythos.

Die fast dreieinhalbstündige Fassung der Irischen Nationaloper besticht durch ihren „Flow“, in den man gleich zu Anfang, durch das Vier-Frauen-Ballett während der (vielleicht?) berühmtesten Ouvertüre der Operngeschichte eingesogen wird. Kennt man sonst nur von Wagner.

Was die Oper in unserem zeithistorischen Moment heraushebt, ist das Schiller/Rossinische Freiheitspathos, das Bewusstsein, dass man seine Freiheit nicht geschenkt bekommt, sondern sie sich erkämpfen muss. In Irland – im langen Trouble mit UK – ist der Gedanke nie völlig abgestorben. In der heutigen Schweiz scheint er zu einem recht mickrigen Vorteilsgeschacher verkommen zu sein. Am lebendigsten ist er wohl in der Ukraine. Und die Kostümierung in „Combat Casual“, Khaki und teilweise Selensky-Oliv, legt diese Bezüge auch dezent nahe.

Aber wie steht es um den Freiheitsgedanken, um den es hier geht, bei uns? Bei einigen ist Schiller/Rossini wohl wieder angekommen: Freiheit ist nicht einfach etwas, dass man von den Amerikanern geschenkt bekommt! Man muss schon selbst etwas dafür tun. Merkwürdig und traurig, dass die Intellektuellenszene so wenig bemerkt, dass es hier um die ureigensten Themen der deutschen Klassik geht: Kant, Fichte, Hegel … Schiller. Wann, wenn nicht jetzt, ist das aktuell?

Mehr zum Autor hier.

Über Reinhard Olschanski / Gastautor:

Geboren 1960, Studium der Philosophie, Musik, Politik und Germanistik in Berlin, Frankfurt und Urbino (Italien). Promotion zum Dr. phil. bei Axel Honneth. Diverse Lehrtätigkeiten. Langjährige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent im Bundestag, im Landtag NRW und im Staatsministerium Baden-Württemberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Philosophie, Musik und Kultur. Mehr über und von Reinhard Olschanski finden sie auf seiner Homepage.

7 Kommentare

  1. A.Holberg

    wenn ich recht informiert bin, wollten die erwähnten schweizer Kantone das Habsburger Joch abschütteln. Die ukrainischen Nationalisten wollten einst das zaristischen, polnisch- litauische und ebenfalls Habsburger Joch abschütteln. Sie hatten dazu alles Recht wie weiland die Schweizer. Der Unterschied zum Schweizer Nationalismus, der z.B. durchaus die auch kulturelle Gleichberechtigung der Deutschschweizer und der Italo- bzw. Frankoschweizer anerkannten, besteht u.a. darin, dass die auch heute führenden Kräfte des ukrainischen Nationalismus die Rechte der nichtukrainischen Völker in der ohne sie zu befragen in die Grenzen der nach und durch die Oktoberrevolition geschaffen Ukraine eingemeindeten russischen, ungarischen, polnischen, katarischen und weiteren nationalen Minderheiten nie anerkannt haben. Darüber hinaus haben diese Kräfte ihren rassistischen Nstionalismus stets auch als Hiwis äußerer Mächte umzusetzen versucht. Die “Organisation Ukrainischer Nationalisten” (OUN) unter Führung des aktuellen offiziellen Nationhelden Stepan Bandera hatte sich zu diesem Zweck dem deutschen Faschismus angedient und für ihn mit sogar diesem peinlichen Übereifer Abertausende Juden und Polen abgeschlachtet. “Leider” wollten ihre hitlerschen Auftragsgeber die Ukraine aber nicht für sie, sondern für sich selbst und dort anzudsiedelnde deutsche Bauern erobern. Als sie schließlich auch noch den Krieg verloren, orientierten sich ihre Hiwis flugs auf die USA um, für deren Weltmachtsziele sie heute das ukrainische Volk aus die Schlachtbank führen. Selbstredend haben die Ukrainer alles Recht, einen eigenen Staat zu haben. Ich sehe aber nicht, dass dieses – m.E. auch nicht von “Putin” bestritten Recht ihnen das Recht gibt, ihr Land zum Aufmarschgebiet des -noch? – stärksten und blutigsten Imperialismus seit Ende des 2.Weltkriegs, des US-Imperialismus, gegen Russland zu machen, und ich sehe nicht das dieses nationale Recht der Ukrainer ihnen das Recht gibt, durch historische Zufälle in ihre aktuellen Grenzen gepresste ethnische Minderheiten zu unterdrücken. Also: eine unabhängige Ukraine den Ukrainern, die das wollen und das Recht der nichtukrainischen Minderheiten, nicht dazu gehören zu wollen.

    • Reinhard Olschanski

      Weia, dieser Kommentar könnte auch bei „Russia Today“ stehen. Klingt über weite Strecken wie Putins verheerende Rede vom 21. Februar 2022 zur Begründung seines Krieges. Bitte einmal meinen Beitrag zu dieser Rede hier im Extradienst nachlesen. – Die Ukraine ist ein unabhängiger, auch von Russland anerkannter Staat, der von Russland in einem von UN-Vollversammlung mehrfach verurteilten Angriffskrieg überfallen worden ist. Das ist der völkerrechtliche Status in diesem Moment. – Die Ukraine wird auf ihrem Weg in die EU streng darauf überprüft werden, ob sie alle Menschen- und Minderheitenrechten einhält und garantiert. Bei allen Mängeln: die EU-Aufnahmeprozeduren sind die wohl stärksten Hebel, die es zur Durchsetzung dieser Ziele in unserer Weltregion gibt.

  2. Martin Böttger

    Zum “Nation Building” der Schweiz empfehle ich die alles überragende Fachkompetenz unseres Gastautors Hans Conrad Zander:
    https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/zeitzeichen/ruetli-schwur-bundesbrief-schweiz-100.html
    Sein Beitrag für das WDR5-Zeitzeichen ist bis zum 2. August 2099 verfügbar. Da frage ich mich nur: warum nicht länger? Wird der WDR verkauft?

  3. Roland Appel

    Zum Thema Freiheit empfehle ich immer gerne die Grundsatzbeschlüsse der Deutschen Jungdemokraten von 1971/72, die formulieren, dass Freiheit im Sinne von Emanzipazion von ungerechtfertigter und nicht demokratisch legitimierter Herrschaft von Menschen über Menschen niemals gewährt ist, sondern ständig in Gefahr ist. Sei es durch Herrschaft mittels Kapital, Ideologie (Religion), oder staatlicher (Polizei, Militär) Macht – sie ist ständig “von oben” durch die Mächtigen in Gefahr und muss ständig neu “von unten” durch Büprgerinnen und Bürger verteidigt und neu erkämpft werden.
    Übrigens auch gegen jede Form des Imperialismus, dessen aktuell blutigsten Repäsentanten namens Wladimir Iliitsch Putin 2022 niemand gezwungen hat, die Ukraine zu überfallen und seitdem den Tod von etwa 250.000-300.000 Menschen verursacht zu haben.
    Und um es klar zu sagen, bei allen Differenzen, die ich auch mit dem Kollegen Olschanski habe: Mich kotzt es an, wenn offensichtlich zu jeder menschlichen Regung unfähige Personen meinen, mit den Untaten der Einen die Verbrechen der Anderen rechtfertigen und die Opfer zu Tätern machen zu können! Kotz, Würg!

    • A.Holberg

      wo blieb und bleibt der Aufschrei bei der dem aktuellen Eingreifen Russlands vorhergegangenen blutigen Verletzung der Menschenrechte der Zivilisten im Donbass? Doppelte Moral ist allemal weniger als gar keine.
      Und: was die historische Bilanz des russischen Imperialismus anbelangt, so habe ich nicht umsonst von der Epoche seit Ende des 2.Weltkriegs geschrieben (Korea, Vietnam, Irak, Libyen etc. etc. Dass da die US/NATO – Bilanz unvergleichlich negativer ist, hat natürlich nichts mit charakterlichen Besonderheiten zu tun, sondern damit, dass die USA deutlich stärker waren als die SU und dann Russland. Eine – bei weitem nicht die einzige -unumgängliche Voraussetzung für das Überleben der Menschheit in einer lebenswerten Welt ist zweifellos die Überwindung des einst fortschrittlichen aber seit langem verfaulenden Kapitalismus und folglich zunächst seiner stärksten Mächte, der USA und deren “wertebasierten” Vasallen.

    • w.nissing

      ja kotz würg, geht mir unterschiedlos auch so: https://www.commondreams.org/views/2020/01/06/blood-whose-hands
      schon vergessen ” Rottet die Bestie aus”
      Und btw, wer hat die Verhandlungen letztes Frühjahr sabotiert damit das Töten weiter gehen kann für eine Handvoll guten blutgetränkten Ackerboden….

  4. Martin Böttger

    Meine Herren, bitte nicht so destruktiv und bescheidwisserisch. Lieber mal hier weiterdiskutieren:
    https://extradienst.net/2023/03/13/einige-vorschlaege/
    Das ist wichtig. Nicht das Rechthaben.

© 2024 Beueler-Extradienst | Impressum | Datenschutz

Theme von Anders NorénHoch ↑