Und Politmagazine-Plattmacher
Die “Nur-keine-Eile”-Mentalität, die Ulrich Horn zurecht beklagt, ist ein roter Faden, den ich hier weiterspinne. War es in diesem oder im vorigen Jahrtausend, in dem alle, die es wissen wollten, auch wissen konnten, dass sich im Netz demokratiegefährdende Macht- und Datenmonopole bildeten? Kaum 30 Jahre später, wollen sich die von uns Gewählten endlich drum kümmern. Zunächst nur zwei grüne Europaabgeordnete aus NRW, die Bonnerin und zeitweilige Extradienst-Gastautorin Alexandra Geese und Sven Giegold. Stefan Krempl/heise-online berichtet über eine von den beiden ausgerichtete Digitalkonferenz. Einen Grundlagentext der dabei aufgetretenen Shoshona Zuboff, eine weise Frau, finden Sie ebenfalls hier im Extradienst.
In den USA sind sie schon weiter. Nachdem insbesondere die Senatorin Elizabeth Warren ihre Vorwahlkampagne wesentlich auf die Forderung nach Zerschlagung der Netzmonopole aufgebaut hat, können wir dort bereits das Parlament – unter schärfstem Lobbydruck – bei der Arbeit beobachten, bzw. Tomas Rudl/netzpolitik.org tut es für uns.
Es ist – leider – imgrunde so, wie beim Impfen. Beauty Dhlamini/Jacobin berichtet über eine “Rich List” der “People’s Vaccine Alliance“, einen Zusammenschluss von neun Nichtregierungsorganisationen – darunter Amnesty International, Oxfam und UNAIDS. Was Dhlamini da schreibt, da fällt mir kein Kommentar mehr zu ein, ich erstarre mit offenem Mund, und muss Neigungen zu zerstörerischer Gewalt im Zaume halten.
Die schlechte alte Bahn
Sie will in Frankfurt ähnliche Löcher graben wie in Stuttgart. Glauben Sie, da würde was billiger? Die Geologie könnte anders aussehen. Die Ökonomie ist die gleiche: für ein paar Minuten Zeitvorteil werden mehrere Milliarden aus öffentlichem Eigentum an Tunnelbaufirmen umverteilt. Über die oberirdisch “gewonnenen” Flächen wird das scheue Reh Grosskapital gefrässig herfallen, um die Sonderprofite der Immobilienökonomie zu privatisieren. Dafür gibt es kaum eine bessere Stadt als Frankfurt (allenfalls München, aber da graben sie ja auch schon längst).
Sapperlott – da ist ja eine EM!
Mann hätte die Uhr nach stellen können. Am Tag, an dem die DFB-Elf vor zigtausen Stadionzuschauer*inne*n in Wembley (Stadionneubau übrigens von der WestLB finanziert; und wo ist die jetzt?) die Deltavariante aufnehmen und heim nach Deutschland transportieren soll, melden sich Legionen von Politiker*inne*n, darunter ausgewachsene Bundesminister und Ministerpräsidenten, die sich beim Sorgen machen ablichten lassen wollen. Sie haben tatsächlich schon kurz vorm Abschluss des Achtelfinales bemerkt, dass eine EM stattfindet. Der Bundesinnenminister, der sowohl für unsere “Sicherheit” als auch für den Sport ressortzuständig ist, der Bundesgesundheitsminister, der für unsere Gesundheit sorgen soll, der bayrische Ministerpräsident, der sich noch vor wenigen Wochen beim Corona-bekämpfen von niemand übertreffen lassen wollte, und der Münchener Oberbürgermeister, der sich in seinem Menschenrechtsengagement von der veranstaltenden Uefa so brutal unterdrückt fühlte, sie alle hätten gemeinsam den Ausrichtervertrag mit der Uefa schon im Vorjahr, als die EM ausfiel, kündigen können. Und vor allem sollen. Haben sie nicht getan. Falschspieler.
Wie das Arktis-Eis: Politikmagazine in der Glotze
Die längste Leitung von allen, behaupte ich, haben die Intendanzen und Programmdirektionen der ARD-Anstalten, die von ihren Rundfunkräten kaum kontrolliert, sondern die umgekehrt von den zu Kontrollierenden sozialpädagogisch betreut werden. So ist es nun schon seit zwei Jahrtausenden so, dass die durch schreckliche Betriebsunfälle in den 60er Jahren in den Sendern entstandenen Politikmagazine jetzt mühevoll wieder eingekocht werden müssen. Schliesslich machen sie nur Ärger und Probleme. Und wer will das? Da es kaum noch Fans gibt, die sie engagiert verteidigen wollen, und potenziell noch mehr Ärger machen könnten, erscheint den Anführern die Gelegenheit günstig, weitere Stellen, Produktionsetats und Programmplätze zu beseitigen. Im Ernst: wer würde es denn noch merken? Um keine wolkige Ausrede sind sie verlegen. Im Zweifel ist dieses Internet alles schuld. Einer hats gemerkt: Stefan Niggemeier/uebermedien.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net