Hilferufe als Klopfzeichen aus dem Maschinenraum der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten

Abstract: Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) in der Kritik steht, ist nicht neu. Zu große Regierungsnähe, parteipolitische Einseitigkeiten, mangelnde Ausgewogenheit des Programms, Überbürokratisierung und selbstherrliche Führungskräfte, teilweise mit ausgeprägter Selbstbedienungsmentalität – diese Themen begleiten mich, seit ich vor 40 Jahren meinen ersten Beitrag für den WDR produzierte. (1) Doch bis zur Affäre Schlesinger galt, was Johannes Ludwig im Februar 2009 eine ehemalige Führungskraft des Öffentlich-Rechtlichen sagen ließ: »Das wird an denen abprallen«. Und: »Die Öffentlich-Rechtlichen glauben es sich leisten zu können.« (Ludwig 2009: 6) Die Causa Schlesinger hat für Erschütterungen gesorgt, die an den öffentlich-rechtlichen Hierarch*innen nicht einfach mehr so abprallten.

Zumindest konnten sie sich der Reform-Diskussion nicht mehr verweigern wie bisher. Eine Gruppe allerdings kommt in dieser Debatte kaum zu Wort: die der festen-freien Mitarbeiter*innen. Also diejenigen, die den größten Teil des täglichen Programms der Sender herstellen, in einer gesetzlich legitimierten Scheinselbständigkeit arbeiten und nicht selten in prekären Verhältnissen leben. Und das liegt nicht daran, dass sich diese Mitarbeiter*innen nicht artikulieren könnten. Nein, die Klopfzeichen aus dem Maschinenraum werden ignoriert, weil Rundfunkpolitiker*innen wie Hierarch*innen tatsächlich einen Neuanfang für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wagen müssten, wenn sie die Hilferufe aus dem Maschinenraum ernst nähmen. Davor schrecken viele zurück.

Das Bild ist ein schreckliches. Es gereicht den Hierarch*innen und Rundfunkpolitiker*innen des öffentlich-rechtlichen Systems nicht zum Vorteil. Aber es zeichnet nach Einschätzung vieler Kolleginnen und Kollegen ein sehr zutreffendes Bild der Situation der fest-frei arbeitenden Journalistinnen und Journalisten des ÖRR. Gemalt hat es eine anonym bleiben wollende Kollegin des Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) im Medienmagazin-Podcast am 1. Juli 2023.

»Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein Riesentanker. Da wird immer noch ein Deck aufgezogen oben, da kommt noch mal ein Sonnendeck und noch ein Sonnendeck. Und da oben steht man, trinkt Champagner, isst Canapés und fühlt sich sehr wichtig. Und unten, da sitzen die Galeerensklaven und rudern um ihr Leben. Man bekommt immer mal ein bisschen Brot und Wasser. Und wenn es dann gar nicht mehr vorwärts geht, dann sagt man: Oh, wir müssen ein bisschen Last abwerfen. Da schmeißt man ein paar Sklaven über Bord. Das wird jetzt nicht mehr lange dauern, und dann geht das Ding unter. Sie sträuben sich so lange und haben sich so lange gesträubt gegen wirkliche Reformen, gegen wirkliche Strukturveränderungen, dass sie das Ding lieber vor den Baum fahren lassen als irgendetwas an ihren Privilegien zu ändern.« (Wagner 2023: ab 35‘30“)

Über dieses Bild ist sehr intensiv unter den frei arbeitenden Journalisten und Journalistinnen diskutiert worden. (2) Auf zahlreichen Gewerkschaftsveranstaltungen wurde von vielen Kolleg*innen bestätigt, dass die RBB-Kollegin ein sehr treffendes Bild gezeichnet habe. Die RBB-Kollegin selbst führt aus, dass sie dieses Bild bereits im Jahr 2021, also vor der Affäre Schlesinger gezeichnet habe, seit der Causa Schlesinger aber sehr viel Zuspruch erfahre. Und das nicht nur von journalistischer Seite.

Kleiner Reformaufbruch im Herbst 2022

Tatsächlich wird die Situation im öffentlich-rechtlichen Rundfunk von vielen Medienforscher*innen und Kommunikationswissenschaftler*innen als kritisch eingeschätzt. So gibt der Medienforscher Lutz Hachmeister am 26. November 2022 im Handelsblatt über Führungskräfte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu bedenken: »Heute regiert der machtbewusste Technokrat, der komplett in einem inzestuösen System groß geworden ist« (Jakobs 2022).

Selbst der bisher als äußerst kritikresistent geltende WDR-Intendant Tom Buhrow forderte in seiner Rede vor dem Hamburger Übersee-Club am 2. November 2022 »eine tabulose Richtungsdebatte und einen neuen Gesellschaftsvertrag« für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (Buhrow 2022). Damit war eine neue Tonalität gesetzt. Viele Hierarch*innen waren verschreckt. Einige öffneten sich zaghaft der Diskussion über Reformen. Andere flüchteten noch tiefer in die Wagenburg, um sich zu verschanzen. Medienpolitiker*innen versuchen seitdem, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen, wissen aber zum Teil noch nicht, wo die rettende Scheune steht.

Aus dem Maschinenraum wird häufig der Vorwurf geäußert, die Führungskräfte der Rundfunkanstalten interessierten sich in viel zu vielen Fällen überhaupt nicht mehr für das Programm, sondern nur noch für ihre Bezüge, die sie in leidenschaftlicher Selbstbedienungsmentalität zu steigern versuchten.

Diese Vorwürfe sind hart. Und sie beruhen oftmals auf der Erfahrung, dass Führungskräfte sich vom Journalismus verabschiedet haben und nur noch die eigenen wirtschaftlichen und politischen Interessen verfolgen. Sie beruhen nicht selten auf der Erfahrung, dass so etwas wie eine journalistische Führungskultur unwiederbringlich verloren gegangen ist. NDR-Intendant Joachim Knuth, dem nicht gerade partizipative Tendenzen in seinem Herrschaftsbereich, geschweige denn ausgeprägtes Interesse an einer funktionierenden Führungskultur nachgesagt werden, sah sich sogar bemüßigt, eine Untersuchung über das Betriebsklima des NDR in Auftrag zu geben (vgl. Reimers et al. 2023).

Kein Vertrauen mehr in die Führungskräfte der Anstalt

Die Ergebnisse waren und sind alarmierend. »Viele Mitarbeitende haben kein Vertrauen in die Geschäftsleitung«, stellt Stephan Reimers gleich zu Beginn der Schilderung der Untersuchungsergebnisse fest (Reimers et al. 2023: 7). Das System wird als »Zwei-Klassen-Gesellschaft« bezeichnet. »Der NDR ist ein behördlich organisiertes Rundfunkunternehmen«, und die leitenden Schalterbeamt*innen scheinen sich von journalistischen Standards weit entfernt zu haben. »Die Mitarbeitenden verzweifeln oft daran« (Reimers et al 2023: 7). Das Betriebsklima ist von Misstrauen und Konflikten geprägt. Unfähige und überforderte Führungskräfte machen der Maschinenraumbesatzung das Leben schwer.

Was in den Medien-Staatsverträgen als Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten beschrieben wird, lässt sich in viel zu vielen Fällen auch von der hart arbeitenden Maschinenraumbesatzung nicht mehr umsetzen. Denn ein Großteil des Führungspersonals widmet sich gar nicht mehr journalistischen Aufgaben, sondern hat ganz andere Ziele vor Augen. Deshalb bleibt die Unterstützung der journalistischen Arbeit im Maschinenraum auch aus.

Dabei spielen Zielvorgaben eine große Rolle, wie der langjährige ZDF-Redakteur Wolfgang Herles anmerkt: »Redaktionsleiter degenerieren zu Produktmanagern. Im ZDF unterschreiben sie jedes Jahr Zielvereinbarungen. Da sitzt dann der überaus mächtige Chef der Hauptabteilung Programmplanung und verteilt Zensuren« (Herles 2020: 34).

Die Art der Zielvereinbarungen differiert von Rundfunkanstalt zu Rundfunkanstalt. Im RBB gab es während der Ära Schlesinger zum Beispiel Zielvorgaben zu Einsparungen im Personal- und Honorarbereich. Führungskräfte, die besonders viel am Honorartopf einsparten, bekamen großzügige Boni. Das führte zu einem verheerenden tariflosen Zustand in manchen Sub-Sub-Unternehmen des RBB. (3)

In anderen Häusern wurden Zielvereinbarungen zum Thema Digitalisierung geschlossen, ohne dass eine klare Digitalisierungsstrategie vorlag. Wieder andere Zielvereinbarungen betrafen Reichweiten im Social-Media-Bereich. Je mehr Likes auf Instagram, Twitter, Facebook oder TikTok eingespielt werden konnten, umso besser die Zielbewertung. Journalistische Standards, die Qualität der Berichterstattung spielten bei diesen Zielvereinbarungen keine Rolle mehr.

Undurchschaubare Geflechte verhindern guten Journalismus

Auch das Outsourcing von Redaktion und Produktion nicht nur im Talk-Show-Bereich verdankte sich oftmals diesen Zielvereinbarungen. Da wurde zwar dann in aller Regel mehr Geld ausgegeben als für Eigenproduktionen, weil die Produktionsgesellschaften der Talkmaster und Talkmasterinnen ordentlich zuschlagen. Aber das kommt zum Teil aus anderen Töpfen, das »Ziel-Budget« konnte so entlastet werden. Solche Buchhaltungstricks kommen nicht nur die Beitragszahlenden teuer zu stehen, sondern vor allen Dingen die frei arbeitenden Kolleginnen und Kollegen, deren Arbeitsbedingungen bei vielen outgesourcten Produktionsgesellschaften man nur als prekär bezeichnen kann.

Die langjährige Arte-Chefredakteurin Sabine Rollberg hat in einem Interview mit dem Verdi-Senderverband WDR darauf hingewiesen, dass solche Auslagerung einem unabhängigen Journalismus entgegensteht, »denn eigentlich sind WDR-Redakteur*innen fest angestellt, um aus dieser materiellen Sicherheit heraus kreativ, innovativ und nicht erpressbar zu sein« (Verdi-Senderverband WDR 2021). Doch diese Zeiten sind vorbei. Immer stärker wird die Arbeit von Redakteur*innen von prekär beschäftigten freien Mitarbeiter*innen wahrgenommen, und dies oftmals mit einem nur befristeten Vertrag, der in der Regel eine Laufzeit von einem Jahr, allenfalls zwei Jahren hat.

»Das lässt die flutschiger arbeiten und gefügiger sein«, (4) hat mir eine ARD-Hierarchin am Rande einer Veranstaltung über die Zukunft des Journalismus mitgeteilt. Journalistisch-handwerkliche Diskussionen über Beiträge und Programmelemente innerhalb der Redaktionen und Funkhäuser werden durch solche Führungsleitlinien natürlich nicht gerade befördert. Das hat zu einem schleichenden Abschied von einer Fehlerkultur, die mit solchen Diskussionen natürlich verbunden ist, und von journalistischen Qualitätsmaßstäben geführt (vgl. Welchering 2018).

Sabine Rollberg hat auf eine zweite in diesem Zusammenhang wichtige Entwicklung aufmerksam gemacht, nämlich »dass man die Fachredakteur*innen nicht mehr wollte, sondern Generalist*innen. Ein*e Fachredakteur*in kann sich viel mehr gegen hierarchische Eingriffe oder Bevormundung wehren, und das ist wichtig für gutes Programm« (Verdi-Senderverband WDR 2021). Die Geringschätzung des Fachjournalismus insgesamt durch die hierarchischen Führungsebenen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dürfte auf der Linie dieser Entwicklung liegen.

Natürlich wurde seitens der Hierarchie auch immer wieder argumentiert, dass Fachjournalismus eben sehr viel teurer sei als der generalistische Tagesjournalismus. So sehen zum Beispiel die Honorartarifverträge für Fachbeiträge ein paar Euro mehr vor als für tagesaktuelle Beiträge ohne großen Rechercheaufwand.

Ein*e pauschal bezahlte*r Tagesreporter*in spult schnell mal mehrere Beiträge zu einem Fachthema ab, ohne sich großartig mit Recherchen zum Thema aufzuhalten. Sie oder er hätte gar keine Zeit dazu. Für die Bewertung der gelieferten Arbeit spielt dies auch keine Rolle. Deshalb wurde das berühmte »Sparargument« auch beim Abbau des Fachjournalismus immer wieder von den Hierarch*innen angeführt.

Ohnehin ist »Sparen« ein Universalargument der Hierarchie geworden. »Wir sparen, bis alles kaputt ist. Das ist das, was ich seit über 25 Jahren immer wieder als ständiges Mantra höre«, gibt die anonyme RBB-Kollegin im Medienmagazin-Podcast zu Protokoll (Wagner 2023: ab 34‘11«). Dabei wird an Honoraren für freie Mitarbeiter*innen gespart, an Recherchemitteln, an Tagessätzen, an Reisekosten und an der Ausstattung. »Aber es wurde eben auch immer an den Möglichkeiten für die Produktion gespart, um was Vernünftiges auf die Beine zu stellen. Daran hat sich nichts geändert, ganz im Gegenteil.« (Wagner 2023, ab 43’11«)

Begründet wurde und wird dieser Sparansatz, der gerade die freien Journalisten und Journalistinnen besonders hart trifft, wahlweise mit einem angeblich zu niedrigen Rundfunkbeitrag, der immerhin mehr als acht Milliarden Euro ins System spült, mit notwendigen Umstrukturierungen für die Digitalisierung oder mit Strategien für die Zukunftsausrichtung.

Neben Outsourcing kosten dabei tatsächlich neu eingezogene Zwischenstrukturen im crossmedialen Bereich oder im Bereich Digitalisierung enorm viel Geld. Wie diese sehr teuren Strukturen denn zum Programmauftrag beitragen, ist eine Frage, die im journalistischen Maschinenraum sehr oft gestellt wird. Die Hierarchie gibt bisher vor, diese Frage nicht zu verstehen.

Folien der Berater*innen, statt Freiräume für journalistische Arbeit

Auch die Mittel, die für Beratung abfließen, gelten als Argument, bei den Freien im journalistischen Maschinenraum zu sparen. Tatsächlich lassen sich Intendantinnen, Direktoren, Hauptabteilungsleiterinnen und andere Hierarch*innen offenbar in Grund und Boden beraten. Bunte Folien zur Digitalisierung – was auch immer das sei – oder zur »Investigation«, die verschleiern sollen, dass die Recherchefähigkeit in der Fläche weggespart wurde, werden in fast allen Häusern auf der Brücke und den Sonnendecks herumgereicht. Dort ist man denn auch von der eigenen medialen Wichtigkeit und der eigenen Bedeutung für diese Gesellschaft sturzbetroffen bis begeistert. Das trübt die Wahrnehmung. Im Maschinenraum fragt man sich derweil, was diese schicken Bildchen auf den Folien eigentlich mit dem Programmauftrag, für dessen Erfüllung dort alle für geringes Honorar schuften, zu tun haben.

Mit anderen Worten: Die Verbitterung im Maschinenraum wächst. Teilweise ist Wut daraus geworden. Im Klimabericht über das Betriebsklima des NDR ist die Rede von einer »Abkopplung« und einem immensen »Vertrauensverlust zwischen Führungskräften und Mitarbeiter*innen«. Beklagt wird von Mitarbeitenden: »Unsere Chefredaktion weicht inhaltlichen Fragen aus und zieht sich auf die großen Linien zurück. Wir sollen das dann mit Inhalt füllen. Wir fühlen uns alleingelassen, denn die Rahmenbedingungen lähmen und die Arbeitsüberlastung nimmt jeden Spielraum« (Reimers et al 2023: 11).

Die Autor*innen der Studie fühlen sich zu der Schlussfolgerung veranlasst: »Viele Mitarbeiter*innen misstrauen ihrer obersten Führung und sprechen ihnen einen objektiven Blick für die Probleme an der Basis ab« (17). Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen schildern in den Interviews ihren Alltag in einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt mit recht drastischen Worten: »Ich traue dieser Führungsriege nicht zu, dass die das hier in den Griff kriegen. Die sprechen in Floskeln. Ich habe den Eindruck, dass diese Leute sich des Ernstes der Lage nicht bewusst sind. Ich habe den Eindruck, dass niemand von denen das Große und Ganze im Blick hat.« (17)

Bei ARD-aktuell schwelen derartige Probleme schon länger. (5) »Für die Chefredakteure ist das hier eine Zwischenstation auf dem Weg nach oben. Die drei wissen nicht, wie wir arbeiten und warum wir so arbeiten«, heißt es im Bericht über ARD-aktuell (Reimers et al 2023: 51). Allgemein steht dort: »Die Stimmung bei ARD-aktuell war noch nie so schlecht. Die Kluft zwischen der Chefredaktion und dem gesamten Rest der Redaktion ist gewaltig« (Reimers et al. 2023: 50). Das generelle Urteil: »Von beiden Seiten kein Vertrauen mehr« (ibid 51).

Die miese Stimmung im Maschinenraum von ARD-aktuell ist nicht neu. Schon unter Kai Gniffke als Chefredakteur baute sich das auf. Mit der Ausweitung der crossmedialen Angebote verschärften sich die Konflikte. Die bisherigen journalistischen Standards im Nachrichtenbereich wurden von der Redaktionsleitung abgewertet und spielten keine große Rolle mehr.

Buzzfeedisierung sorgt für Verheerung

Zudem war eine publizistische Strategie hinter dem Ausbau der crossmedialen Angebote nicht mehr erkennbar. So traten die Konflikte offen zu Tage. »Die Redaktion von ARD-aktuell wächst enorm. Vielen neuen, jungen Kolleg*innen fehlt aber noch die Erfahrung. Die haben noch nie einen Fernsehbeitrag gemacht. Dadurch ist die Arbeit für die ›Alten‹ nicht weniger geworden«, fasst die Reimers-Studie derartige Team-Konflikte zusammen (Reimers et al: 50).

Was man auf den ersten Blick leicht als Generationenproblem deuten könnte, erweist sich bei genauerer Analyse als verdrängte Auseinandersetzung um journalistische Standards, die weit über ARD-aktuell hinausgeht. Orientierung am Objektivitätsideal versus Emotionalisierung zur Reichweitenerhöhung, tiefer ansetzende Recherche versus Produktionsoptimierung mit flachem Inhalt, Nachrichtenstil versus Unterhaltungsstil werden als Pole dieser Auseinandersetzung beschrieben. (6) Einige Kollegen und Kolleginnen verließen die Redaktion ARD-aktuell, »über die immer noch schlecht geredet wird« (ibid: 51). Und man darf ergänzen: Schlecht geredet wird über Mitarbeitende, die den Qualitätsabbau im Nachrichtenbereich nicht hinnehmen wollten und gegangen sind, vor allen Dingen von Führungskräften.

Neu an anderen Redaktionen in öffentlich-rechtlichen Funkhäusern anzudocken, wurde einigen Kritiker*innen des NDR ausgesprochen schwer gemacht. Solche Entwicklungen belasten das Betriebsklima natürlich erheblich und sorgen für einen massiven Leistungsabfall, verhindern journalistisches Engagement.

Doch die Zustände nur zu beklagen führt nicht weiter. Wir brauchen Lösungen. Wir brauchen einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der seinen Programmauftrag auch in Zukunft erfüllen kann. Wir müssen weg von Grabenkämpfen, die Ressourcen binden, die im Qualitätsjournalismus an anderer Stelle benötigt werden. Qualitätsjournalismus hat in den Schützengräben oder im Häuserkampf der Anstalten keinen Platz.

Zehn Forderungen als Lösungsansatz

NDR, sondern für alle öffentlich-rechtlichen Häuser. Der Landesbezirk Niedersachsen-Bremen der Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in Verdi hat die Situation deshalb sehr intensiv diskutiert. Herausgekommen ist ein Antrags- und Grundsatzpapier »für eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit Augenmaß«. (7) Das Papier ist auf dem Verdi-Bundeskongress vom 17. bis 22. September 2023 diskutiert und in den Leitantrag der Bundesfachgruppenkonferenz Medien, Journalismus und Film eingearbeitet worden. Mit der Annahme des Leitantrages sind damit auch die Positionen des Antrags- und Grundsatzpapiers übernommen worden.

Gefordert wird eine grundlegende Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steckt in einer tiefgreifenden Krise, aus der er nur mit einer umfassenden Reform herausgeführt werden kann.

»Diese Reform muss vom Informations- und Grundversorgungsauftrag ausgehen und hat eine medienpolitische und eine tarifpolitische Richtung. Verdi bekennt sich zu ihrer Verantwortung sowohl in tarifpolitischer, als auch in medienpolitischer Hinsicht und formuliert auf dieser Grundlage zehn Forderungen für eine weitreichende Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der als Stützpfeiler der demokratischen Willensbildung (Partizipationsfunktion) und der gesellschaftlichen Kontrolle (Wächterfunktion) erhalten bleiben muss.«

Daraus werden zehn Forderungen abgeleitet, die nicht nur unter den frei arbeitenden Kolleginnen und Kollegen sehr intensiv diskutiert werden. Denn diese zehn Forderungen stammen direkt aus dem journalistischen Maschinenraum. Und das dürfte auch der Grund sein, warum sie auf der Brücke von den Hierarch*innen und auf Land, von den Rundfunkpolitiker*innen, so gern überhört werden.

Denn mit diesen zehn Forderungen würde eine tiefgreifende Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks realisiert. Das würde so manchen Komfort bei den Hierarch*innen abschaffen. Das würde den Kontrollorganen echt Arbeit machen. Das würde für die Rundfunkpolitiker*innen bedeuten, dass ein sehr regierungsferner Rundfunk etabliert werden würde, eine Vorstellung, die nicht unbedingt gute Gefühle bei solchen Medienpolitiker*innen auslöst, die sich in erster Linie als Parteisoldat*in sehen.

Die zehn konkreten Reformvorschläge, die im Wesentlichen aus dem journalistischen Maschinenraum kommen, sind:

den Wildwuchs in den Hierarchien des ÖRR durch mehr Mitbestimmung beseitigen,

die Gehalts- und Honorarstrukturen anpassen sowie Luxusgehälter auf der außertariflichen Ebene abbauen,

den Parteienproporz in den Führungsetagen abschaffen und stattdessen eine Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppierungen ermöglichen,

die Programm-Macher*innen, insbesondere die Freien stärken (Autor*innen-Rundfunk),

Subunternehmen liquidieren und das Outsourcing kompletter Sendungen und Programmstrecken an Produktionsgesellschaften beenden; die Anstalten müssen tariftreu arbeiten und die Tarifflucht und das Honorardumping, das bisher durch Produktions- und Subunternehmen betrieben wurde, einstellen,

die exorbitanten Beratungskosten reduzieren, stattdessen die Kompetenzen der Mitarbeitenden stärker nutzen,

die Altersversorgung aller Mitarbeitenden auf ein vergleichbares Niveau bringen (gesetzliche Rentenversicherung, ARD-ZDF-Pensionswerk statt üppiger betrieblicher Ruhestandsgehälter),

die Rundfunkräte als echte Kontrollinstanz etablieren; allgemeine Wahlen der Rundfunkräte statt Entsendung helfen dabei,

Doppelstrukturen prüfen und unnötige Doppelstrukturen abschaffen,

die Gremienarbeit in den Rundfunkanstalten transparent machen.

Jetzt kommt es darauf an, diese Forderungen aktiv in die Reformdebatte einzubringen und mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Funkhäusern gemeinsam umzusetzen. Auch Medienpolitiker*innen und Rundfunkrät*innen werden sich zu diesen Reform-Forderungen verhalten und äußern müssen. Eine weitere empirische Basis für diese Diskussion könnte neben dem »Klimabericht«, der Situationen beschreibt, die weit über den NDR hinaus in öffentlich-rechtlichen Häusern zu finden sind, auch durch die von der Arbeitsgemeinschaft »Informationsqualität in Deutschland« gestartete Initiative »Rundfunkrat-Brief« liefern, deren Medien-Langzeitanalyse die Auswirkungen eines Teils der hier genannten Probleme auf das Programm deutlich werden lässt (Rundfunkrat-Brief 2023). Weitere empirische Forschung zu diesem Themenkomplex wird sicherlich noch im Laufe der Debatte initiiert und durchgeführt werden.

Über den Autor

Peter Welchering arbeitet seit 1983 als Journalist für Radio, Fernsehen und Print (u. a. Deutschlandradio, ZDF, verschiedene ARD-Sender, Frankfurter Allgemeine Zeitung) sowie mit verschiedenen Lehraufträgen an Journalistenschulen in Deutschland und anderen Ländern. Seit 2001 arbeitet er im eigenen Medienbüro und ist mit einem seiner Arbeitsschwerpunkte in der journalistischen Aus- und Fortbildung tätig.

Literatur

Arbeitsgemeinschaft Informationsqualität in Deutschland (2023): Rundfunkrat-Brief 1: Ostdeutschland. In: informationsqualitaet.com. (02.10.2023)

Buhrow, Tom (2020): Wir müssen die große Reform wagen, jetzt. In: FAZ vom 02.11.2022.

Fromm, Anne (2015): Klar ist das trivial. Buzzfeed-Chefin über Teilen. In: taz – die Tageszeitung, 01.08.2015.

Herles, Wolfgang (2018): Wie ARD und ZDF ihren Auftrag verraten, in: Geuchen, Anna; Walther, Christian (Hrsg.): Von wegen: Lügenpresse. Analysen und Ansichten zur Renaissance eines Kampfbegriffs. Berlin: Peter Lang, Seite 29-43.

Jakobs, Hans-Jürgen (2022): »Wie in Schlumpfhausen« – Dieser Medienforscher sagt, was bei ARD und ZDF falsch läuft. In: Handelsblatt vom 26.11.2022.

Krause, Sophie (2017): Das deutsche »Buzzfeed« – Aufmerksamkeit ist alles, in: Tagesspiegel, 21.09.2017,

Ludwig, Johannes (2009): Vorwort. In: ders. (Hrsg.): Sind ARD und ZDF noch zu retten? Tabuzonen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Baden-Baden: Nomos.

Rainer, Anton; Buß, Christian (2022): Wenn wir das tun, wird es Halligalli geben. ARD-Intendanten Buhrow und Gniffke über ihre Reformpläne. In: Der Spiegel 51/2022. https://www.spiegel.de/wirtschaft/tom-buhrow-und-kai-gniffke-ueber-ihre-reformplaene-wenn-wir-das-tun-wird-es-halligalli-geben-a-3490aacf-e554-48dc-a914-fb2fe075f50b?context=issue (22.09.2023) (Paywall)

Reimers, Stephan; Cyriax, Hans-Ulrich; Brauck, Melanie; Mielke, Phelina; Prox, Henning; Rissler, Dagmar (2023): Klimabericht. Analyse von Unternehmenskultur und Betriebsklima im Norddeutschen Rundfunk. Hamburg, Drucksache des NDR.

Verdi-Senderverband WDR (2021): Hinbringen, nicht abholen. Interview mit Sabine Rollberg, 21.02.2021.

Wagner, Jörg (2023): RBB: Ein Jahr danach. In: Medienmagazin-Podcast vom 01.07.2023. (05.07.2023)

Welchering, Peter (2018): Mut-Journalismus. Warum wir unseren Berufsstand nicht einfach abschaffen lassen sollten. In: Journalistik. Zeitschrift für Journalismusforschung (2)1, S. 61-70.

Welchering, Peter (2020): Gesinnung oder Haltung. Klärung in einer journalistischen Werte- und Erkenntnisdebatte. In: Journalistik. Zeitschrift für Journalismusforschung (3)3, S. 234-249

Welchering, Peter (2021): Flachwitz statt Fachjournalismus. Zur Buzzfeedisierung des Nachrichtenjournalismus. Seminarpapier für das Seminar »Berichten über Wissenschaft. Einführung in den Wissenschaftsjournalismus«. Sozialwissenschaftliche Fakultät, Georg-August-Universität Göttingen, Wintersemester 2021/22

Fußnoten

(1) Ich arbeite seit 1983 im und für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Von 1990 bis 2001 habe ich allerdings mein Hauptaugenmerk im Verlagsbereich gehabt, zunächst als Leitender Redakteur und Volontärausbilder im Heise-Verlag, danach als Chefredakteur der Computer-Zeitung. Auch während dieser Zeit habe ich den einen oder anderen Beitrag für den ÖRR produziert, seit 1994 mit einer Nebentätigkeitsgenehmigung meiner Verlagsleitung sogar regelmäßig für Computer und Kommunikation im Deutschlandfunk. Ab 2001 dann im eignen Medienbüro. Ich habe also die guten Zeiten noch miterleben dürfen, in denen man für eine richtig tiefe Recherche auch mal zwei oder drei Wochen Zeit hatte, zu Informanten reisen konnte und sich anschließend in der Redaktion hart, aber kollegial über den Beitrag auseinandersetzte. Ich habe die Zeiten miterlebt, in denen die Ergebnisse einer Recherche, wie die Planspiele zum Verkauf biometrischer Daten im Innenministerium im Jahr 2006, redaktionsübergreifend und sogar senderübergreifend diskutiert und gesendet wurden. Auch damals gab es – teilweise massive – Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aber diese Kritik wirkte in die Funkhäuser hinein. Selbst beim knallharten Programmdirektor auf schwarzem Ticket konnte ich nach intensiver Diskussion meinen CDU-kritischen Beitrag durchsetzen. Diese Diskussionen waren hart, aber die Offenheit, sie zu führen, war da. Heute haben wir es mit einer völlig anderen Situation zu tun. Wagenburgmentalität, teilweise Gesinnungsjournalismus, Orientierung am Mainstream machen diese Diskussion immer schwieriger bis unmöglich (vgl. Welchering 2020). Aber es gibt sie noch. Auch mit Führungskräften. Nur ist das heutzutage die Ausnahmeerscheinung. Diese Diskussion muss aber wieder zum journalistischen Alltag werden in den Funkhäusern.

(2) Im Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen wurde ich davor gewarnt, das Bild des Riesentankers als Beispielbild zu nehmen. Es sei zwar zutreffend, aber auch sehr hart. Das könne zu einer Verhärtung der Fronten führen. Es gab auch Warnungen und Mahnungen, diesen Beitrag zu schreiben. Die meisten waren sogar gut gemeint und aus einer Fürsorgehaltung gegenüber meiner Person heraus formuliert. Dafür herzlichen Dank. Ich habe diese Mahnungen und Warnungen auch alle sehr intensiv erwogen. Ich habe diesen Beitrag dennoch geschrieben. Zum einen hat das mit meiner Überzeugung zu tun, dass solche Debatten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk durchaus noch möglich sind. Auch wenn die Leitplanken für solche Debatten von verschiedenen Hierarch*innen enger gezogen werden. Zum anderen stehe ich mit meinen 63 Jahren am Ende meines Berufslebens. Ich kann, um einen Hinweis des Düsseldorfer Strafverteidigers Udo Vetter mit Bezug auf den Humoristen Harald Schmidt aufzugreifen, von den »Segnungen einer abgeschlossenen Vermögensbildung« profitieren. »Also das Gefühl, dass sie dich nicht canceln können«. (Tweet vom 22.09.2023) Und das gibt Freiheitsgrade auch beim Verfertigen eines solchen Beitrags. Ja, das von der anonym bleiben wollenden Kollegin gezeichnete Bild des ÖRR ist schockierend. Aber es ist zutreffend und bringt die strukturellen Probleme gut auf den Punkt. Das kann ich nur immer wieder wiederholen. So kann es vielleicht ein Ausgangspunkt für eine Reformdebatte sein, an der maßgeblich auch wir Programmmacher, wir festen-freien Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen teilnehmen und unsere Interessen einbringen. Wenn wir aus dem journalistischen Maschinenraum diese Reformdebatte nicht endlich nach vorn bringen und für Änderungen am vielfach unhaltbaren Zustand in den Funkhäusern sorgen, wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk in wenigen Jahren an die Wand gefahren sein. Das sollten wir verhindern. Deshalb sind wir aufgerufen zur kritischen Analyse und dazu, Reformen auch wirklich durchzusetzen. Das geht nur gemeinsam. Dafür müssen wir die Probleme und Reformansätze benennen. Daran darf auch das etwas lautere Grollen so mancher Hierarch*innen nichts ändern. Erst recht dürfen wir uns davon nicht von dieser wichtigen Debatte abhalten lassen. Und wir dürfen diese Debatte nicht als »Halligalli« abtun lassen. Unsere Debattenbeiträge sind auch kein »Jaulen und Quieken«. Wir dürfen unser Reformanliegen weder von einem ARD-Vorsitzenden, noch von einzelnen Intendant*innen oder sonstigen ARD-Führungskräften verunglimpfen lassen (vgl. Rainer/Buß 2022).

(3) Den Skandal beim RBB sehe ich deshalb auch nur vordergründig in Massagesitzen und vorgeöltem Parkett. Der eigentliche Skandal liegt darin, dass sich die Kommandobrücke überbewertet und den Maschinenraum unterbewertet. Das zeigt sich in den zahlreichen Hierarchiestufen und den Finanzierungsstrukturen: Die Tochterunternehmen und deren Subunternehmen haben mit ihrem Honorardumping und ihrer Tarifflucht dazu geführt, dass so viele Journalistinnen und Journalisten unterbezahlt und unterbewertet sind.

(4) Diese Einschätzung ist keine Einzelmeinung. Derartige ›Führungsvorgaben‹ habe ich dutzendfach von Führungskräften der Funkhäuser gehört.

(5) Ich habe nach einer massiven Auseinandersetzung mit dem damaligen Chefredakteur von ARD-aktuell im Jahr 2013 jede Tätigkeit für diese Redaktion eingestellt. Die im NDR-Klimabricht zur Sprache gebrachten problematischen Punkte sind auch im Jahr 2013 schon in ähnlicher Weise diskutiert worden. Es handelt sich dabei nicht nur um das Versagen einzelner Führungskräfte und deren hochdefizitäre journalistische Qualifikation, sondern vor allen Dingen um strukturelle Probleme.

(6) Als Gewerkschaftsvertreter habe ich mit vielen Kolleginnen und Kollegen nicht nur beim NDR über genau diese Punkte und Pole der Auseinandersetzung gesprochen. Teilweise wurde von einem regelrechten »Kulturkampf« gesprochen. Das zeigt auf, wie schwierig hier eine Vermittlung ist. Ich habe eine Auseinandersetzungstendenz beim NDR in dieser Hinsicht in einem Seminarpapier als »Buzzfeedisierung« bezeichnet (Welchering 2021). Damit ist der Trend gemeint, den ehemalige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Portals Buzzfeed bei ihrem Wechsel als Führungskräfte zum NDR bzw. angeschlossenen Organisationseinheiten und Rechercheverbünden mitgebracht haben. Zur Veranschaulichung, ohne das gesamte Seminarpapier hier wiedergeben zu können, sei angemerkt: Juliane Leopold, vor ihrer Zeit bei ARD-aktuell bei Buzzfeed, teilte der taz am 1. August 2015 mit: »Uns geht es darum, Inhalte zu erschaffen, die Leute gern miteinander teilen«. Und wenig später räumt sie im taz-Interview ein: »Klar ist das trivial, klar ist das Unterhaltung«. Außerdem wirbt sie für eine weniger nüchterne, ja sogar enthusiastische Herangehensweise an Themen, denn »für uns ist entscheidend, dass wir mit Artikeln Emotionen ansprechen« (Fromm 2015). Es liegt auf der Hand, dass diese publizistische Orientierung mit der journalistischen Orientierung altgedienter Nachrichtenjournalisten konfligiert. Und Daniel Drepper, vor seiner Zeit im Rechercheverbund NDR, WDR, SZ ebenfalls bei Buzzfeed, bringt im Gespräch mit dem Tagesspiegel am 21.09.2017 seine publizistische Orientierung so auf den Punkt: »Wenn die Nutzer lieber einen Außenminister sehen, der 21 Flachwitze vorliest, statt über deutsche Außenpolitik zu sprechen, dann muss ich das zur Kenntnis nehmen«. Die inhaltliche Orientierung altgedienter NDR-Rechercheure, wie etwa von Patrick Baab, der den Fall Barschel vor einigen Jahren aufklärte, unterscheidet sich davon natürlich. Patrick Baab ist für viele NDR-Redakteure (trotz der Diskussion um sein Verhalten während seiner letzten Recherchereise in das Donezk-Gebiet) noch immer ein Orientierungspunkt. Das habe ich in zahlreichen Gesprächen erfahren. Eine NDR-Kollegin hat den Konflikt dieser publizistischen Buzzfeed-Orientierung mit der traditionellen Nachrichtenorientierung so auf den Punkt gebracht: »Ich bereite fachjournalistische Inhalte in der Wirtschaftsberichterstattung auf. So berichte ich beispielsweise über Hintergründe steigender Rohstoffpreise und die Auswirkungen für die Verbraucher. Das ist etwas ganz anderes in Methode und Stil als ein buzzfeedisierter Beitrag über acht Probleme, die alle Frauen mit Körperbehaarung haben«. Das zeigt vielleicht die Hauptlinie der Auseinandersetzung auf und warum an dieser »Hauptkampflinie« ein Waffenstillstand zwischen den Kombattant*innen nur schwer zu vermitteln ist bzw. diese Vermittlung bisher nicht erfolgreich war.

(7) Ich war an der Formulierung des Papiers und der Forderungen für eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunk beteiligt. Ich danke insbesondere Annette Rose, meiner Vorstandskollegin im Landesbezirk Niedersachsen-Bremen der dju in Verdi, für intensive Diskussion und gute Anregungen.

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Über Peter Welchering / Gastautor:

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