Beueler-Extradienst

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Renaissance des Abteils

Wundersame Bahn L
Gerne erinnere ich mich an einen Bummelzug zwischen Köln und Bonn in einer Zeit, als die DB AG noch Deutsche Bundesbahn hiess. Der letzte IC von Köln nach Bonn war schon weg, die Lücke zum “Lumpensammler”-D-Zug um Mitternacht, der später in Brühl die Böschung runterfuhr, allzu gross. Dieser Bummelzug fuhr mit den berüchtigten Silberlingen, benannt nach ihrer Aussenverkleidung. Innen bestanden sie durchgehend aus starren 4er-Sitzgruppen mit dunkelrotem Kunstleder. Mangels Klimaanlage, die dann ja immerhin auch nicht kaputtgehen konnte, gab es regelmässig Streit, welche Fenster wie weit geöffnet werden sollten.
Dieser Zug hatte, ich weiss nicht warum, jedoch ganz vorne hinter der Lok immer einen Wagen, der zur Hälfte aus Gepäckwagenabteil, zur anderen Hälfte aus D-Zugabteilen bestand. Diese hatten mit Schiebetüren verschliessbare 6er-Abteile; die Sitze waren zusammenschiebbar, so dass sich eine Liegefläche ergab. Wer dafür Sorge trug, dass die Schuhe nicht die Sitze verschmutzten, durfte sich dort bei geringem Fahrgastaufkommen legal hinlegen, was ich an diesem späten Abend immer wieder gerne tat. Die Kunst bestand dann nur darin, den Ausstieg in Bonn Hbf. nicht zu verpassen. Eine gute Vorwarnung war – bei geöffnetem Abteilfenster – die damals schon automatisierte Bahnsteigdurchsage “Sechtem, hier Sechtem!”. Da wusste ich: jetzt nicht mehr einschlafen.
Jetzt, während sich herausstellt, dass der Zeitraum, in dem wir mit einem lebensgefährlichen Virus lernen müssen zu koexistieren, müssen sich alle Verkehrsbetriebe nach solchen Abteilen zurücksehnen. Sie wären baulich auch in Strassen- und U-Bahnen sowie in Bussen des Nahverkehrs einrichtbar, so wie auch z.B. um die damaligen 4er-Sitzgruppen; Plexiglas wie an den Supermarktkassen würde genügen. Solche Abteile könnten von sog. “Infektionsgruppen” voll besetzt werden, wie ich sie hier schon einmal kurz skizziert habe. Auf diese Weise können sie sich von anderen Gruppen isolieren. Wenn sie sich intern anstecken, hat es sie eben erwischt: alle in Quarantäne.
Der Verkehrsbetriebe und ihre Bus- und Bahnbauer werden nicht darum herumkommen, solche Sicherheitsräume anzubieten, um wieder Land gegenüber der grassierenden Autoepidemie zu gewinnen. Es ist lebenswichtig. Denn auch die Luftverschmutzung (und der Klimawandel) bringt Menschen um, begünstigt ausserdem Transport und Wirksamkeit des Virus. Also bitte etwas Tempo, vor allem beim Denken.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Helmut Lorscheid

    Ja das waren schöne Bahnfahrer-Zeiten. Diese Abteile hatten auch hochklappare Sitze, man konnte also auch mit viel Gepäcj reisen. Ich bin mal mit Interrail in solch einem Abteilwagen bis Paris und weiter mit ähnlichen Waggons bis Lissabon gefahren, Das war 1975 zum ersten Wahlkampf nach der portugiesischen Diktatur. Zeitweise lag ich im Gepäckfach, hoch über der Schiebetür und über dem Gang – denn das Fach reichte vom Abteil aus beladbar über den Gang. Die sehr internationale Gruppe der Mitreisenden hat sich köstlichg amsiert, als ein Schaffner mich suchte…Sie zeigten nach oben, aber es dauere, bis er verstanden hatte, wo ich mich aufhielt. Ich glaube heute wäre es mit dort zu eng, vielleichtr würde ich auch nicht mehr ganz reinpassen, irgendwas ist mit meinem Bauch…

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