Ist es nun eine einschneidende politische Wende, die diese Person verkörpert, oder nur ein umgefallener Sack Reis? Ich habe diese Woche Letzteres geglaubt. Das Umfragenstrohfeuer wird überbewertet, die Umfrager sagen in Interviews selbst gebetsmühlenartig, dass es sich dabei “nur um eine Momentaufnahme” handelt, die für das publizistische Marketing ihrer Firma aber immer sehr wertvoll ist.
Besonders lächerlich machen sich die “Leitmedien”, insbesondere die unter ihnen, die längst als sinkende Tanker identifiziert sind, wenn sie dieses Geschehen offenbar selbst als Nabel der Welt wahrnehmen. Immer weiter weg bewegen sie sich damit von uns und unserem Alltag, in ihren Berliner und Hamburger Raumschiffen.
Dann fand sich jedoch 1 Publizist, der langjährig und mehrmals für die SPD gearbeitet hat, Frank Stauss, auf jeden Fall ein Meister persönlicher Eigen-PR, der mir erklärt hat, dass es mit Schulz zu einem Wendepunkt in der Autosuggestion der SPD gekommen ist. Kleine persönliche Stichproben, die ich unternommen habe, bestätigten mir das. Nun mag man das lächerlich finden; wen interessiert noch die innere Verfassung der wenigen übriggelassenen SPD-Mitglieder? Das kann jedoch eine Unterschätzung sein. Deprimierte Parteimitglieder sind eine Garantie für Wahlniederlagen. Motivierte Parteimitglieder sind nicht hinreichend für Wahlsiege; aber notwendig.
Misstrauenerregend ist allenfalls, dass ein Kampagnendienstleister es mir nun schon persönlich vermitteln muss, was seiner Kundin, der SPD selbst, bisher publizistisch nicht wirklich gelungen ist.
Jetzt müssten die Grünen und die Linkspartei in ihrem Innenleben auch eine solche Wende hinbekommen: dass ihre Mitglieder plötzlich Lust und Spass am Kämpfen gewinnen. Und Intelligenz entwickeln, um die Balance zwischen Bündnispolitik und Arbeitsteilung zu finden. Und siegen wollen.
Ist das zuviel verlangt?

Update 29.1.: Schöner als Sibylle Berg hätte ichs auch nicht schreiben können. Abgewogen klug wie meistens Stefan Reinecke in der taz.
Update 31.1.: Bei oxiblog schreibt ein linker Parteigenosse von Schulz, was seine Partei in der Europolitik bisher entscheidend falsch gemacht hat. Ist Schulz da dabeigewesen? Ich glaub’ ja. Will er so weitermachen?
Update 7.2.: Eine radikale Abrechnung mit der Schulz-Nominierung liefert heute Wolfgang Michal, aus meiner Sicht mit einer Überdosis Bitterkeit, daraus zu erklären, dass so einer “zuviel” über seine Partei weiss.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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