Ein probates Mittel der Politik?

In unserer heutigen schnelllebigen Mediengesellschaft werden wir ständig mit Problemen, Neuigkeiten, Skandalen, Katastrophen etc. überschüttet. Es bleibt uns wenig Zeit zur Unterscheidung von Wichtigkeit oder Unwichtigkeit, von Wahrheit oder Lüge, von Oberflächlichkeit oder Tiefgang, von Seriosität oder Populismus. Die Folge dieser medialen Überschüttung ist eine intellektuelle Abstumpfung, die in Lethargie und Desinteresse für komplexe politische Zusammenhänge mündet.

Die Politik hingegen verwaltet oftmals nur, reagiert mehr als sie agiert und zieht nur im Falle einer Eskalierung die Notbremse. Das beste Beispiel hierfür war der Ausstieg aus der Atomenergie nach dem GAU von Fukushima. Oder jüngst bei drohenden Dieselfahrverboten durch die Benennung von einigen deutschen Städten für einen kostenfreien ÖPNV.

Ich befasse mich derzeit mit einem arbeitsmarktpolitischen Thema, das vordergründig niemand aus dem Sessel reißt. Nämlich der Frage, warum es in 91 Prozent aller betriebsratsfähigen Unternehmen keinen Betriebsrat gibt. Im Umkehrschluss heißt das, dass nur 9 % aller Unternehmen ab 5 Beschäftigten einen demokratisch gewählten Betriebsrat haben. Selbst professionelle Politiker*innen und Gewerkschafter*innen können sich über dieses Szenario nicht aufregen, obwohl das Betriebsverfassungsgesetz seine gesetzliche Wirkung in hohem Maße offenbar verfehlt.

Die Bevölkerung neigt oftmals dazu, solche Dinge schulterzuckend zur Kenntnis zu nehmen, weder zu hinterfragen noch zu problematisieren. “Man kann dagegen nichts machen”, oder “Wir sind davon nicht betroffen,” heißt es dann. Diese Aussagen regen mich fast mehr auf, als der eigentliche Sachverhalt. Denn in einem Rechtsstaat kann es einfach nicht sein, dass Gesetze ausgehöhlt werden und ihre Wirkungskraft einbüßen, ohne dass sich dagegen Widerstand formiert.

In dieser Situation kommt die Skandalisierung ins Spiel. Dieses Instrument der politischen Auseinandersetzung ist verpönt, obwohl es häufig alternativlos ist. Ich mag den Begriff der Alternativlosigkeit zwar grundsätzlich nicht, weil es im Leben und in der Politik stets eine Alternative geben sollte. Aber der leise Tod der innerbetrieblichen Demokratie darf nicht einfach hingenommen werden. Deshalb muss die Tatsache, dass es in Tausenden Unternehmen keinen Betriebsrat gibt, weil Arbeitgeber dies vorsätzlich zu verhindern wissen, skandalisiert werden. Gleichzeitig muss das Betriebsverfassungsgesetz, in dem das Recht zur Gründung von Betriebsräten enthalten ist, verschärft werden. Konkret müssen Arbeitgeber ohne Betriebsrat begründen, warum sie keine Mitarbeitervertretung zulassen, weil sie ansonsten eine empfindliche Strafe zu erwarten haben. Und Arbeitnehmer*innen, die einen Betriebsrat gründen wollen, dürfen, da sie sich auf der Basis eines Gesetzes bewegen, nicht mit Nachteilen bis hin zur Entlassung bedroht werden.

Skandalisierung und Eskalierung – ein probates Mittel der Politik? Ja, denn die Demokratie und der Rechtsstaat benötigen Rückhalt und Fortschritt. Und dies nicht nur in den Parlamenten, sondern auch hinter Werkstoren und Bürotüren.

Über Rainer Bohnet: