Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Verharmlosung rechter Mörder

Ich habe seit vergangener Woche wiederholt im Fernsehen die Bilder der Einschüsse ins Büro des ehrenwerten Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby gesehen. Außer der Erklärung von Lars Klingbeil, dass er die Generalsekretäre der Parteien außer der AfD zur Beratung geladen hat, was zu tun sei, habe ich nichts mehr gehört. Am Freitag hat sich ein AfD-Politiker aus Baden-Württemberg beim SWR “entschuldigt”, weil er bei einer “Demonstration” auf Journalisten des SWR gemünzt gesagt hat, dass man sie aus ihren Jobs verjagen werde. Aber nicht für diese Absicht, die genau dem entspricht, was die Nationalsozialisten und SA-Schläger gegen Ende der Weimarer Republik demokratischen Journalisten angedroht und ab 1933 in die Tat umgesetzt haben, sondern nur dafür, dass dies mit Androhung von Gewalt geschehen solle, hat er sich entschuldigt.

Ich kann es nicht fassen, wie die Bundesrepublik Deutschland des Grundgesetzes und des Jahres 2020 zulassen kann, dass Menschen wegen ihrer Hautfarbe öffentlich diffamiert, bedroht, Mandatsträger eingeschüchtert und genötigt werden und gewählte Neonazis die Journalisten und damit die Unabhängigkeit der Berichterstattung bedrohen. Und nichts gravierendes passiert. Angriffe auf Politiker, Morddrohungen, Bedrohungen der Presse – das alles sind Verhaltensweisen der SA und der Nationalsozialisten in der Weimarer Republik. Was muss passieren, damit demokratische Politik, demokratische Verwaltung und demokratische Presse in vollem Umfang begreifen, was hier gerade scheichend wächst, wer so dem demokratische Rechtstaat längst den Krieg erklärt hat?

Von der Nazi-Hetze zum rechten Terrorismus

Beleidigung, Bedrohung, Nötigung, Mordversuche, Bildung einer terroristischen Vereinigung – alle Straftatbestände liegen auf dem Tisch. Wieso zieht im Fall Karamba Diaby nicht längst die Bundesanwaltschaft das Verfahren an sich? Ein rassistischer Mordanschlag liegt doch auf der Hand. Bei einem schwarzen Bundestagsabgeordneten eine Beteiligung des Rechtsextremismus ebenfalls. Hätte es Schüsse auf einen Vertreter des RWE gegeben, der aus der linken Szene des Hambacher Forstes Briefe bekommen hätte, wie sie Karamba Diaby von Rechten seit langem bekommt – nicht auszudenken, welche Razzien, Verhaftungen und Konzertierte Aktionen von polizeilichem Staatsschutz und Verfassungsschutz es längst gegeben hätte.

Aber es passiert nichts. Der Bundespräsident, der Bundestagspräsident und die kommunalen Spitzenverbände verurteilen, ja lamentieren über die Bedrohung von Politikern. Aber dass Rechtsextremismus und die AfD unsere freiheitliche Demokratie bedrohen, dass das gesamte rechte Netzwerk von “Identitären” über “dritten Weg”, AfD, NPD, Jungen Nationaldemokraten, AfD-Jugend, PEGIDA, und vielen anderen Hetzern im Internet versucht, die ideologische Hegemonie zu erkämpfen, um die Demokratie des Grundgesetzes und die freie Presse zu erledigen, kommt nicht in der nötigen Klarheit rüber. Darüber gibt es so gut wie keinen Diskurs. Nur lauwarme Erklärungen, vorsichtige und verschwiemelte Formeln, formales Befolgen von “Proporzregeln” in öffentlich-rechtlichen Medien, das völlig ignoriert, dass die AfD mit ihrer Geisteshaltung keine Partei wie jede andere ist, sondern immer mitten drin den Katalysator spielt und de facto längst die Rolle des legalen Arms einer neuen Art von Nationalsozialismus befördert.

AfD ist Katalysator für Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit

Die Funktion eines Katalysators ist, dass ohne ihn eine chemische Reaktion nicht möglich ist – das rasende Anwachsen von offenen rechten Parolen bis zu Volksverhetzung und rechtsterroristischen Straftaten – und er aus dieser Reaktion unbeteiligt hervorgeht – natürlich handeln AfD-Politiker stets so, dass es legal erscheint, sie selbst unbeteiligt sind, aber der gewünschte Effekt tritt ein. Die Hemmschwellen rechtsextremen Denkens und rechtsextremer Gewalt sinken mit jedem Tabubruch und jeder Verharmlosung, wie dem “Fliegenschiss” Zitat Gaulands.

Die sogenannten “Sicherheitsbehörden” sind schon lange auf dem rechten Auge blind. Anders sind die Vorkommnisse um die NSU und den Mörder Amri nicht erklärbar. Der Bundesinnenminister ist auf dem rechten Auge blind, indem er bei jeder Gelegenheit rechte Mörderbanden und Neonazis mit linker Gewalt in Hamburg oder im Hambacher Forst gleichsetzt. Jede Gewalt ist zu verurteilen, aber wer die geistigen Wurzeln der NS-Terrorherrschaft mit linken Wirrköpfen gleichsetzt, hat nichts verstanden, der gibt einen Freibrief für die Rechte. Und die gesamte demokratische Öffentlichkeit ist seit den Bundestagswahlen 2017 und den Wahlergebnissen der AfD in den ostdeutschen Bundesländern wie gelähmt. Der Kurs, AfD-Wähler zu beschwichtigen, zu behaupten, dass nicht alle, die AfD wählten, auch Neonazis, Faschisten oder Nationalsozialisten seien, ist als Strategie, diese Partei einzudämmen, gescheitert.

Sie wählen des Katalysator des Rechtsextremismus und sie sind zumindest seine Sympathisanten. Wer sich die Frage stellt, woher die exorbitanten Ergebnisse der AfD im Osten kommen, braucht sich nur die Ereignisse Anfang und Mitte der neunziger Jahre in Rostock und anderswo ins Gedächtnis zu rufen. Die Gewalttäter von damals wählen heute AfD und haben es ihren Kindern wahrscheinlich auch schon vermittelt. Statt konsequentem Vorgehen gegen Straftaten folgten Verharmlosungen von PEGIDA.  Niemand hätte in Köln oder DSüsseldorf zweieinhalb Stunden lang Galgen mit “Merkel und Gabriel” – also einen öffentlichen Aufruf zu schweren Straftaten öffentlich umhertragen können, ohne dass die Polizei eingegriffen hätte. Die Verharmlosung dieses Neonazismus als quasi “sozialer Bewegung”, etwa durch den Politikwissenschaftler Patzelt taten das Ihre dazu, Problembewusstsein einzuschläfern.

Fünf vor zwölf, rechte Ideologie zum Unrecht zu erklären

Das Ergebnis vieler Versäumnisse einer klaren Haltung gegen Rechts auch seitens Teilen der CDU, SPD und FDP, seitens der Presse und seitens von Teilen der Wissenschaft, ist eine relativierte Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit, ist eine ideologische Orientierungslosigkeit der demokratischen Konservativen und ein abwegiges Proporzdenken in den Medien.  Das Ergebnis ist ein ungewolltes, aber faktisches Netzwerk “der nette Nazi von nebenan”, der morgens als AfD ein Interview im Rundfunk gibt, der als JN-Mitglied der Oma vormittags die Einkäufe in die Wohnung hoch trägt, nachmittags als “PEGIDA”, “Rechte” oder “Identitäre” Flugblätter gegen angebliche “Masseneinwanderung” und “Umvolkung” verteilt und/oder im Internet postet, und nachts Nazischmierereien oder Drohungen gegen Kommunalpoliitker und Schlimmeres unternimmt.  Bestandteil dieses Netzwerks zu sein und es politisch aktiv zu unterstützen, ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein Anschlag auf die Verfassung. Das muss allen diesen Sympathisanten der Renaissance nazistischer Politik klar und erfahrbar gemacht werden, aber das unterbleibt seit Jahren, verstärkt seit 2017 seit dem Einzug der AfD in den Bundestag.

Die mangelnde harte Abgrenzung im Osten und im Bund zu faschistischen, faschistoiden und rassistischen Denkmustern hat zu einer beispiellosen Verharmlosung von Feinden der freiheitlichen Demokratie geführt. Sie können sich frei bewegen, im Internet ihre Parolen austauschen, öffentlich hetzen und zum Rassenhass aufstacheln. Und nahezu niemand greift wirksam ein. CDU, CSU, SPD diskutieren – anders als bei Delikten der “Linken” nicht über Gesetze, wie diese Verhaltensweisen zu unterbinden, unter Strafe zu stellen sind. Sie geben nach und wieder nach. Neonazismus ist nicht neu im Osten. Er war schon in der DDR vorhanden, das habe ich als Delegationsleiter einer Jungdemokraten-Reise erlebt. 1984 (!!) hat mir der Bezirksvorsitzende der SED-Jugendorganisation FDJ aus Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) im Vertrauen eröffnet, dass er das Problem habe, weil in seiner Stadt etwa 20% der Jugendlichen Neonazis seien. Der Zentralrat der FDJ wolle davon nichts wissen, die SED mache die Augen zu. So kann Kontinuität auch aussehen.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Günther A. Classen

    Eine erschreckend treffende Zustandsbeschreibung, lieber Roland.

    Nach wie vor ist und bleibt der gemeine Pöbel und seine Herrchen völlig erkenntnisbefreit und stets blind auf dem rechten Auge, wobei es hinterher ebenfalls dann wie immer wieder heißt: “Davon haben wir nichts gewusst.”

© 2024 Beueler-Extradienst | Impressum | Datenschutz

Theme von Anders NorénHoch ↑