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ZDF-Hitparade: Die kulturelle Gegenreform der 70er

Dieser Tage feiert vor allem das ZDF den runden Geburtstag von Dieter Thomas Heck und damit auch die ZDF-Hitparade. Es ist ein Spiegel des musikkulturellen Niedergangs, wenn Heck und seine Sendung heute ganz überwiegend in den Medien als ernsthafte Musiksendung gelobt oder gar als kulturelle Errungenschaft gefeiert werden. Dabei waren Sendung und Moderator von Anfang an ein Angriff auf guten Geschmack, intellektuelles Niveau und musikalische Qualität im deutschsprachigen Fernsehen der 70er Jahre. Die ZDF Hitparade war der deutsch-spätvölkische Angriff der kulturell Ewiggestrigen gegen die progressive und vorwiegend anglophil geprägte Popkultur und Rockszene, die seit den 60er Jahren die deutschen Medien erobert und den “deutschen Schlager” ebenso wie die Marschmusik der Kriegsgeneration nahezu aus der Öffentlichkeit verdrängt hatte.

Mit dem “Beat Club” von Radio Bremen hatte sich seit den Endsechzigern eine zunächst experimentelle, sodann weitestgehend progressive Sendung mit moderner Beat- und Rockmusik etabliert, in der nicht nur Weltstars wie Status Quo, die Beatles, die Rolling Stones, Creedance Clearwater Revival, Hollies, Cream und viele andere ihr Debut feierten, sondern auch der Hauch von Freiheit und Emanzipation der 68er Generation durch das Programm wehte und in die “guten Stuben” gesendet wurde, wo er die junge Generation erreichte und in ihrer Aufmüpfigkeit gegen die ältere Generation unterstützte. Kritische Rundfunksendungen wie “Point” des Südfunk Stuttgart oder die legendären Sendungen des NDR mit dem kritischen Moderator Hennig Venske taten das ihre, um mit jugendgerechten, aber kritischen Nachrichten und guter Musik die Aufklärung voranzubringen. Aber Venske und auch “Point” wurden von den konservativen Programmchefs und konservativen Rundfunkräten mit Argusaugen beobachtet und fielen nicht zufällig bei sich bietenden Gelegenheiten “Programmreformen” in der zweiten Hälfte der 70er Jahre zum Opfer, nachdem die CDU vor allem unter der Führung des niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht, dem Vater Ursula von der Leyens, gegen den angeblichen “Rotfunk” zum Angriff blies.

 

War mit Ilja Richters “Licht aus-Spot an” 4-3-2-1-Hot &Sweet Musiksendung auch das ZDF zunächst gemäßigt auf der Popwelle geschwommen, kam absichtlich der Bruch und gewollte kulturelle Abstieg mit Dieter Thomas Heck. Die ZDF-Hitparade war seinerzeit als Speerspitze zur Wiedererweckung des deutschen Schlagers gedacht. Seine Initiatoren hatten ein klares politisches Programm: Die reaktionäre “Wende”, wie sie in den 80er Jahren Helmut Kohl nennen sollte “Geistig moralische Erneuerung”. Doch davon später. Die Regeln der ZDF-Hitparade unterschieden sich von den damaligen Popsendungen radikal: Deutsch musste gesungen werden, der Deutsche Schlager sollte wieder in den Mittelpunkt gestellt werden. Der hatte nach den 60er Jahren einen beispiellosen Abstieg hinter sich: Immer weniger Menschen wollten das deutschtümelnde Gesülze von Freddy Quinn, Roy Black, Paola, Chris Roberts, Roland Kaiser oder Marianne Rosenberg, Mary Roos und anderer Sternchen sehen oder hören-aber die sollten zurückgeholt werden. Heino als Vertreter des reaktionären Volksliedes war zu diesem Zweck allein 36 mal Gast in der ZDF-Hitparade.

 

Musikalisch kann die Qualität der ZDF-Hitparade nur als “Unterirdisch” bezeichnet werden. So wurde etwa der ohnehin oberflächliche und als Disco-Pop-Hit der von Frank Farian produzierte Song der Gruppe Boney M. “By the Rivers of Babylon” für Hecks “Hitparade” auf deutsch mit einem völlig zusammenhanglosen und idiotischen Text gecovert. Die längst auf dem Altenteil ruhende Caterina Valente wurde mit einem peinlichen Song “Manuel” erfolglos wiederbelebt. Wimmerschinken der “üblichen Verdächtigen” wie Roy Black oder dem ewigen Großmutterschwarm Karel Gott bis hin zu chauvinistischen Titeln wie “Im Wagen vor mir fährt ein schönes Mädchen” (das sich irgendwann von ihrem Verfolger belästigt fühlt und die Autobahn verlässt), Jugendstar Nicole mit “Ein bisschen Frieden” dominierten das Programm. Da war Udo Jürgens schon ein qualitativer Ausreisser nach weit oben. Auch vor der peinlichsten Geschmacklosigkeit, eine kaum einen Ton treffende neunjährige Andrea Jürgens mit ihrem Schmachtsong über eine Elternscheidundg …”abei liebe ich Euch beide” vorzuführen, schreckte Dieter Thomas Heck, der sich öffentlich zu einer Wählerinitiative zugunsten der CDU und Helmut Kohls bekannte, nicht zurück. Bei der angeblichen Relevanz seines Tuns berief sich Heck auf die “repräsentativen Zahlen” der Firma “Media Control”. Wer und was ist “Media Contol”?

 

Mitte der siebziger Jahre wollten CDU-nahe Medienmacher unter Führung von Karl-Heinz Kögel der überwiegend linken und progessiven POP-Kultur entgegentreten. Kögel war zum einen Redakteur beim Sürwestfunk Baden-Baden für SWF 3 und moderierte gemeinsam mit dem Jungen Union- Mitglied Frank Laufenberg den Pop Shop, einer Mainstream-Jugendsendung, die anders als “Point” und andere auf politische Zuspitzungen und Reportagen verzichtete. Zum anderen gründete Kögel die Firma “Media Control”, deren Geschäftszweck die Erfassung von Einschaltquoten, aber auch die Auswertung von Nachrichten daraufhin, welche parteipolitischen Anteile der Politik von CDU, SPD oder FDP in den Sendungen einnahmen war. Sie nutzte hierzu bereits früh Computeranalysen und lieferte die Zahlen, mit denen Albrecht und andere CDU-Medienpolitiker die “Linke Übermacht” in den Medien zu beweisen versuchten. Das von Ihnen geprägte Stichwort war “Ausgewogenheit”.

 

Media Contol ist bis heute damit beschäftigt, im Medienbereich mehr oder weniger seriös Quoten, Zustimmungswerte und Konsumentenzahlen im Bereich der Medienwahrnehmung zu erfassen oder auch nur zu interpretieren. Sie errechnen die Reichweite von Sendern und liefern damit entscheidende Hinweise, wo es sich für welche Unternehmen lohnt, Werbung zu platzieren und welche Branchen für Medien als Werbetreibende in Frage kommen. Kögel und Laufenberg waren aber nicht nur im Bereich der Kommerzialisierung und Popularisierung von Medien tätig, sie sind auch diejenigen, die in den 90er Jahren mit SWF3 oder heute SWR3 dazu übergingen, die Musikvielfalt der Programme im öffentllich-rechtlichen wie im kommerziellen Bereich zu “glätten” und “anzupassen”. Dass WDR 2, WDR 4, SWR 1 oder SWR 3, aber auch Radio NRW immer die gleichen langweiligen Mainstream-Titel spielen, geht auf die Idee der beiden zurück, statt dem Auflegen immer nuer Platten oder CDs durch Musikredakteure die Musikspeicher der Sender auf ca. 900 Titel zu schrumpfen, die von den Analysewerten von Media Control gespeist, diese nach einem computergestützten Programmschema abspielten, das Titel nach ihrer angeblichen “Beliebtheit” bevorzugt oder benachteiligt. Damit einher ging eine weitgehende wellenspezifische Formatierung und kulturelle Verarmung der Musikspektren.

 

Kultureller Abstieg, Eintönigkeit der Musikstile, Verlust der Kreativität und Vielfalt bei gleichzeitig große Gewinne an Berechenbarkeit, Wiedererkennungswert und kommerzieller Orientierung sind die Ergebniss dieser Form der konservativen Medienpolitik. Einfache Erklärungen und einfache Musik für eine immer kompliziertere Welt. Hinzu kommt, dass das heutige Diktat der Einschaltquoten ganz ursprünglich mit der Firma Media Control in Verbindung steht.  Sie ist wie die ZDF-Hitparade ein strategisch inszeniertes Stück Gegenaufklärung. Das verdient keinen Medienpreis, sondern Aufatmen, dass es die ZDF-Hitparade nicht mehr gibt. Herzlichen Glüvkwunsch zum Geburtstag, Herr Heck!

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

5 Kommentare

  1. W. Böttger

    Sehr geehrter Herr Appel,
    woher nehmen Sie das Recht Millionen Menschen für dumm zu bezeichnen, die in den siebziger Jahren mit Begeisterung und Freude die Musiksendungen von Dieter Thomas Heck gehört und gesehen haben, und was haben Sie gegen die deutsche Sprache in Musikstücken?? Ich persönlich, bin heute 85 Jahre alt, und vermisse die deutsche Sprache in sehr vielen Bereichen unseres öffentlichen Lebens, nicht nur in der Musik.
    Walter Böttger

  2. Martin Böttger

    Wenn ich da mal vermittelnd eingreifen darf 😉
    Es gab mal auf Vinyl, ich glaube im Vertrieb von Zweitausendeins, ein “Deutsches Album” der Beatles, habs eben schon bei mir im Regal gesucht und nicht gefunden. Wer das hört, versteht, dass das “Problem” nicht die Sprache des gesungenen Textes ist, sondern die Sprache der Musik. Der grösste Single-Hit der Beatles war meines Wissens “I want to hold your hand”, in der deutschen Version übersetzt (von Camillo Felgen, damals Radio Luxemburg) zu “Komm gib mir deine Ha-ha-ha-haha-hand”.
    Der klassische deutsche Dieter-Thomas-Heck-Musiker Tony Marshall hatte 1972 (oder 73?) den grössten Singleverkaufshit aller deutschen Schlagerzeiten mit dem wörtlich exakt gleichen Titel, aber einer Heck-kompatiblen Komposition. Wer es aushält, beides hintereinander zu hören, versteht, was ich meine.
    Stark vereinfacht formuliert: Heck-Schlager mussten marschmusikähnlich und immer nachklatschbar sein. Es war die Uniformität, die uns erschreckte. Einigen gelang es daraus auszubrechen, prominentestes Beispiel war Marianne Rosenberg, die aus Selbstironie ihr eigenes Geschäftsmodell kreierte – Respekt!
    Die von Roland erwähnten Herren Kögel, Laufenberg und ihre heutige Erbin Valerie Weber (WDR-Programmdirektorin) haben es dann geschafft, uns mit der Uniformierung der Radiomusik komplett zu verjagen. Wir dürfen uns als Haushaltsabgabenzahler mit einigem Recht enteignet fühlen.
    Es gab übrigens auch damals schon gute deutschsprachige Musik (nicht nur Lindenberg): von Hein&Oss (altes Volkslied), über Hannes Wader und Knut Kiesewetter (friesisch), Floh de Cologne und Ton, Steine Scherben (Rock) bis zum klassischen Franz-Josef Degenhardt. Aber natürlich nicht bei Heck und im CDF.

  3. Martin Böttger

    Hier noch eine schöne Erinnerung, wie linksradikale deutsche Engdenker bei den Essener Songtagen 1968 mit dem leider schon verstorbenen US-Musiker Frank Zappa aneinandergerieten :
    https://jungle.world/artikel/2017/51/undeutscher-beat
    Ich habe ein Alibi, ich war erst 11.

  4. Rolf Sachsse

    Pardon, aber warum sich an solcher Negativität abarbeiten? Diese Gebrauchtwagenverkäufer (alle männlich, viele Theologen) sind doch keiner ernsthaften Erinnerung wert, und für eine mediengeschichtliche Darstellung fehlen mir zuviele Faktoren wie etwa die frühe Einsparung von Radiotechniker*innen durch die Selbstfahrer-Programmierungen ab Mitte/Ende der 1970er Jahre, von einer präzisen Fernseh-Geschichtsschreibung (etwa in der dreibändigen “Medienlandschaft Saar”) einmal ganz abgesehen. Empfehle als Gegenlektüre: David Stubbs, Future Days. Krautrock and the Building of Modern Germany, London : Faber & Faber 2014, ISBN 9-780571-283323.

  5. Roland Appel

    Lieber Herr Böttger sen., nichts gegen deutsche Sprache und deutsche Texte – auch ich leide unter dem heute üblichen “Denglisch” in der Wichtigtuerspräch. Ich war und bin nach wie vor Fan der “Neuen Deutschen Welle” der achtziger, ohne BAP, Grönemeyer, Ina Deter, Erste allgemeine Verunsicherung oder Rio Reiser wäre unsere Popkultur nicht mehr denkbar. Aber um niveauvolle Texte, wie sie Reinhard Mey – für mich ein großer Sprachkünstler – Konstantin Wecker oder andere geht es mir nicht. Die Hitparade war tumb, oberflächlich, voller Klischeehafter Texte und einfach schlechtes Musikniveau. Selbst die Lieder, die heute für den “Ohrenbär” die Einschlafsendung für Kinder auf WDR 5 geschrieben werden, sind dagen Musikkunst. Ich glaube einfach, man hätte es besser machen können und wollte es absichtlich nicht. Das war kein Zufall, sondern hatte System.
    Herzliche Grüße und nichts für ungut.

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