Ein paar Dinge fallen auf am Ergebnis der Europawahl. Die vier Parteien der rechten/linken Mitte haben schwer zu kämpfen. Die Grünen stürzen ab von ihrem Traumergebnis 2019, wo sie stark dazugewonnen hatten. Und die Sozialdemokraten sehen ihr schlechtestes Europaergebnis ever. Beiden Parteien scheinen mit 12 bzw. 14 Prozent auf ihre Kernanhängerschaft reduziert zu sein. Eine erweiterte Anhängerschaft, die darüber hinausgeht, erreichen sie im Moment nicht. Und die Union läuft zwar mit Siegerlorbeer durch die Manage, mit 30 Prozent – wo sie bei bundesweiten Wahlen noch vor wenigen Jahren an der absoluten Mehrheit schnüffeln durfte. Merz ist eben nicht Merkel, so viel dürfte heute ebenfalls klar sein.

Aber was ist jetzt eigentlich wichtiger als alles parteipolitische Wundenlecken? Für mich stehen zwei Dinge im Vordergrund.

1) Eine junge Generation, die heftigst für ihre Zukunft in Zeiten des Klimawandels gestritten hatte, wählt nun zu einem erschreckend hohen Anteil auch AfD. Da verTikTokt sich etwas. Die demokratischen Parteien sollten deshalb Ansprechpartner sein nicht zuletzt für Menschen, die sich an den Massenprotesten gegen die AfD beteiligt haben. Es braucht ein wirkliches Bündnis der Demokraten, auch wenn die Losung hohl klingt. Die vielen Menschen, die diesen rechten Spuk ablehnen, sind in der Mehrheit und müssen adressiert werden. Mit der Ankündigung, sich notfalls auch von Meloni wiederwählen zu lassen, hat von der Leyen dagegen einen Bock geschossen. Das muss man ihr sagen in den Verhandlungen über die Wahl der Kommissionpräsidentin und der Kommission, die nun ansteht. Klare Kante gegen Rechts ist nun erste BürgerInnen- und KommissionspräsidentInnen-Pflicht.

2) Der zweite Punkt ist die Fortführung des europäischen Green Deal. Ob Europa als größter Wirtschaftsraum der Welt schnell klimaneutral wird oder nicht, ist eine Frage von geradezu planetarer Wichtigkeit. Sie muss im Mittelpunkt der kommenden Verhandlungen stehen. Christdemokraten, Liberale, Sozialdemokraten und Grüne haben zusammen eine gute Mehrheit in Europa. Sie müssen sie nutzen, um bei dieser Frage in der Spur zu bleiben bzw. um in selbige zu kommen. Das ist die wahrhaft historische Aufgabe jetzt bei den Verhandlungen – jenseits aller parteipolitischen Blickverengungen.

Wenn Europa diese beiden Dinge nach vorne stellt, dann ist der heutige Abend schmerzhaft, aber nicht das Ende der Welt.

Über Reinhard Olschanski / Gastautor:

Geboren 1960, Studium der Philosophie, Musik, Politik und Germanistik in Berlin, Frankfurt und Urbino (Italien). Promotion zum Dr. phil. bei Axel Honneth. Diverse Lehrtätigkeiten. Langjährige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent im Bundestag, im Landtag NRW und im Staatsministerium Baden-Württemberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Philosophie, Musik und Kultur. Mehr über und von Reinhard Olschanski finden sie auf seiner Homepage.